Theater der Zeit

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Auftritt

Luzerner Theater: Nachspiel als Vorspiel

„Biedermann und die Brandstifter“ nach Max Frisch – Regie Corinna von Rad, Bühne Ralf Käselau, Kostüme Sabine Blickenstorfer

von Leonard Haverkamp

Assoziationen: Schweiz Theaterkritiken Max Frisch Luzerner Theater

Aus dem Lehrstück ohne Lehre ein paar Denkansätze herausschütteln: „Biedermann und die Brandstifter“, Regie Corinna von Rad am Theater Luzern. Foto Ingo Hoehn
Aus dem Lehrstück ohne Lehre ein paar Denkansätze herausschütteln: „Biedermann und die Brandstifter“, Regie Corinna von Rad am Theater LuzernFoto: Ingo Hoehn

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Die Hölle macht dicht! Kein Personal mehr. Nicht, weil sich die Menschen zum Besseren gewandelt hätten. Oben werden einfach alle, zumindest die, die Rang und Namen haben, begnadigt! Das verkündigt ein vor Wut, naja, entflammter Teufel, der in flauschigem Pelzmantel mit Löwenstofftierkopf von harten Verhandlungen aus dem Himmel zurückkehrt, wo er zwar einige seiner Pappenheimer getroffen hat, aber „die da oben im Himmel geben keinen einzigen Verbrecher heraus“. Wieder in der Hölle, hat er zwei, oder mindestens einen vor sich, bei dem zumindest eine Mittäterschaft naheliegt (der, obgleich Millionär und Gutbürger, am Ende aber wohl nicht wichtig genug war, um begnadigt zu werden). Gottlieb (Robert Rožićs) und Babette (Wiebke Kayser) Biedermann wähnten sich als gute Christen zwar zunächst im Himmel, mussten aber schnell feststellen, dass es der ja wohl nicht sein kann, woraufhin Herr Biedermann zu reklamieren beginnt. Leider ist er bei der Helvetia und nicht bei der Allianz versichert – Ohohoh, der Name verspreche viel, eigentlich sei aber nix dahinter, erklärt augenzwinkernd ein Teufelsadjutant mit Hasenkopf.

In Corinna von Rads Inszenierung von Max Frischs „Lehrstück ohne Lehre“, mit dem das Luzerner Theater die Spielzeit ganz unaufgeregt in der Box eröffnet, wird das Nachspiel zum Vorspiel. Dieses hatte Max Frisch in Reaktion auf die Uraufführung 1958 in Zürich für die deutsche Erstaufführung im selben Jahr nachgeschoben, nachdem er erkennen musste, dass das Zürcher Publikum doch eine Lehre ableitete: Selbst Schuld, wenn du Kommunisten in dein Haus lässt! In dem so entstandenen Epilog finden sich die Biedermanns, nachdem Gottlieb den Brandstiftern höchstselbst die Streichhölzchen in die Hand gegeben hat und diese die ganze Stadt abgefackelt haben, in der Hölle wieder. Was wohl den Interpretationsspielraum in Sachen Mitschuld verengen sollte.

Zurück nach Luzern. Weil sich nun bei all den Begnadigungen der schwer begüterten Schwerverbrecher die ganze Heizerei einfach nicht mehr lohne, heißt es also: Ofen aus! Für die Leuterer geht es „halt auf die Erde“.

Zurück auf der Erde, setzt hier der Klassiker nach einem Umbau an, wie man ihn kennt. Während man textlich – mit ein paar interessanten Strichen – relativ nah am Originalstück entlang erzählt, werden inszenatorisch Sätze und Motive quasi orthogonal vertieft oder hochgeschraubt, sodass sie in die Gegenwart hinein zu uns sprechen. Statt im gutbürgerlichen Haus leben die Biedermanns in einer futuristisch-dystopischen, sterilen Wohnung in Pink und Rosa, die zwar mit allen Sicherheitssystemen ausgestattet ist, die derzeit denkbar sind (inkl. Sprachsteuerung auf Schweizerdeutsch), – das hält Brandstifter Schmitz (Bastian Inglin) aber nicht davon ab, mit langsamen Schritten von rechts über die breite Bühne in die zu zwei Wänden offene Guckkastenwohnung auf der linken Seite von Ralf Käselaus Bühne hineinzuschreiten.

Immer wieder sind es einfache, kluge Kniffe, mit denen vielleicht keine Lehren, aber zumindest Denkanstöße aus dem Klassiker herausgeschüttelt werden. So wird zum Beispiel konstruktiver Optimusmus mit einer oft aufs Negative fokussierten Medienrealität abgewogen, während Brandstifter Schmitz Biedermann bei Brot und Senf um den Finger wickelt, der under the influence anfängt, Michael Jacksons „Earth Song“ zu singen: „What about sunrise? ...“ Begleitet wird er dabei von Annalisa Derossis (als Haushälterin Anna), die am Klavier oder dem danebenstehenden Keyboard mit populären Melodien immer wieder das Geschehen kommentiert. Tatsächlich hat Dramaturgin Eva Böhmer aber die meisten Passagen gestrichen, in denen sich Biedermann einlullen lässt, und die schon bei Frisch mehr der Plausibilität als der Entlastung Biedermanns dienen. Als der zum Beispiel im Begriff ist, die Brandstifter rauszuschmeißen und mit der Polizei droht, die dann aus einem anderen Grund an der Tür schellt, als sich Biedermann umringt von Benzin-Kanistern auf seinem Dachboden wiederfindet – gibt er den Brandbeschleuniger nicht in einem Anflug von Panik als Haarwasser aus (im Original im Grund der letzte Sargnagel). Ein Verweis auf steten Handlungsspielraum? Statt rückgratloser Verstrickung sehen wir noch deutlicher den Prototypen des bürgerlichen Steigbügelhalters für die Radikalen.

Dass sich dieser Abend nicht davor verwehrt, konkrete Schlüsse abzuleiten, zeigt sich auch in der finalen Dinnerszene (hier eine Dinnershow inkl. mega cringem Campari Soda-Duett der Biedermanns). Statt sich die Tischdecke überzuwerfen und als Geist Biedermann einen Schrecken einzujagen, spielen die Brandstifter:innen (Congenial: Amélie Hug) das Märchen vom Froschkönig: Ähnlich wie die Prinzessin, deren Goldkugel in den Brunnen fällt, scheinen die Biedermänner dieser Welt zwar bereit zu sein, Schmuck und andere Habseligkeiten herzuschenken, um ihre eigentlichen Schätze zu bewahren. Nur mit den niederen Klassen zusammenleben: das können sie nicht.  

Erschienen am 17.9.2025

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