Theater der Zeit

Auftritt

Schauspiel Frankfurt: Bagel statt Hegel

„Der kleine Snack“ von Nele Stuhler & Jan Koslowski – Regie Nele Stuhler & Jan Koslowski, Bühne Chasper Bertschinger, Kostüme Svenja Gassen

von Shirin Sojitrawalla

Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Nele Stuhler Schauspiel Frankfurt

Das Ensemble von „Der kleine Snack“ von Nele Stuhler & Jan Koslowski in eigener Regie am Schauspiel Frankfurt. Foto Robert Schmittko
Das Ensemble von „Der kleine Snack“ von Nele Stuhler & Jan Koslowski in eigener Regie am Schauspiel FrankfurtFoto: Robert Schittko

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Es ist natürlich kein Zufall, dass die Bühne in den Knallfarben Gelb und Rot daherkommt: Gelb-rot wie die berüchtigte Maggi-Würze, gelb-rot wie das berühmteste Fastfood-Universum von McDonald's, gelb-rot wie Pommes mit Ketchup. Womit wir beim Thema wären: Essen. Nach ihren Produktionen „Der alte Schinken“ und „1994 – Futuro al dente“ runden Jan Koslowski und Nele Stuhler ihre Essens-Trilogie am Schauspiel Frankfurt mit „Der kleine Snack“ ab. Chasper Bertschinger gestaltet dem Regie- und Text-Duo die Bühne in einer Mischung aus Zirkusarena und Kochstudio. Von der Decke senkt sich eine riesige Dunstabzugshaube und schwebt später über einer luxuriösen Kochinsel wie ein Damoklesschwert. Untendrunter versammelt sich das fabelhaft aufgelegte Ensemble wie um ein wärmendes Feuer.

Doch zuvor labern sich die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler mit Früchten und Gemüse auf dem Kopf (Kostüme: Svenja Gassen) rund um die zentralen Fragen der Verdauung, Stichwort Scheiße. Ihre jeweilige Ausdrucksform und Konsistenz steht auf dem Programm, wenig appetitanregend und doch die Kreislaufwirtschaft an einem empfindlichen Punkt erwischend. Analhumor? Ja!

Von der ersten Minute an stehen hier alle Zeichen auf „Unernst“. Ein wie aufgezogen wirkendes Ensemble, reihum gesprochene Texthappen, schwingende Tanzbeine, Menschen, die mit Nudelholz in der Hand im Kreis laufen. Ein Tohuwabohu des schlechten Geschmacks. Codewort Alessi. So oder so besticht der Abend weniger mit seinem Inhalt als mit seinen überragenden Figuren. Das Frauenpaar Palmela Olió di Palma (Heidi Ecks) und Sugar Sieglinde Ferrero (Lotte Schubert) ist schon namensmäßig 1a. Pamela hat dem Kind versehentlich Kalbsgeschnetzeltes in die Lunchbox gepackt, was natürlich ein No-Go ist. Anhand dieses Konflikts werden die Essensgewohnheiten der Großstädter abgearbeitet, was humormäßig nicht über ein gut abgehangenes Kabarettprogramm hinausgeht. Historische Kontinuitäten zum Thema Revolution und Ernährung werden dabei eher pflichtschuldig abgenudelt. Ja, der Neoliberalismus ist sowieso an allem schuld. In Haltung und Wesensart erinnert das zuweilen ans Diskurstheater von Meister René Pollesch, aber auch an den überkandidelten Spaß an der Sache der Regisseurin Claudia Bauer. An deren Inszenierung „Tartuffe oder Das Schwein der Weisen“ mit den Texten von PeterLicht muss man an diesem Frankfurter Abend öfter denken. Wenn die Schauspielerin Anna Kubin einen Kartoffelchip umwirbt und bald nicht mehr klar ist, wer hier wen anmacht, meint man PeterLichts geniales Chipslied zu hören. Auch die Idee, einen Kochworkshop zum Thema anzubieten, erinnert an Tartuffes dem Kapitalismus dienenden Motivationsworkshop. Bei Koslowski und Stuhler verfolgt er das geheime Ziel, Edelküchen zu verkaufen. Das dazugehörige Gemansche am Herd führt dann aber bloß zu bretonischem Freundschaftssalat, den man nicht geschenkt essen möchte. Dazu gibt es Musik: Klassik, Pop, et cetera, hauptsache laut. Den widrigen Umständen zum Trotz entlockt das Ensemble dem Ganzen immer wieder schöne Kalauer („Gott des Geschnetzels“, Pointen (Bagel statt Hegel) und gequirlte Sprichwörter („jemanden einen Braten aufbinden“). Zu lachen gibt es an diesem heiteren Abend also genug. Der Schauspieler Christoph Pütthoff macht seine Sache dabei wieder sagenhaft, schnitzelt sich in extravagante Posen, während Mark Tumba ebenso sagenhaft dumme Gesichter zieht. Anna Kubin rollt dazu mit ihren hungry eyes und Heidi Ecks und Lotte Schubert spielen sich abwechselnd herrlich auf. Das alles kommt nicht aus einem Guss daher, auch weil Koslowski und Stuhler den Stücktext wie gewöhnlich erst während der Proben entwickeln. Es wirkt vielmehr wie ein wildes und buntes Brainstorming zum Thema Essen und Verdauung. Darmflora trifft hier auf Foodshaming. In den vielen leerlaufenden Momenten indes ist es einfach Quatsch mit Soße.

 

Erschienen am 4.1.2023

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