Thema
Regie! Regie?
Mutmaßungen zu einem scheinbar ungeliebten Begriff
Aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet der Theaterwissenschaftler André Studt (FAU Erlangen-Nürnberg) das Phänomen „Regie“, mit dem er sich auch in seiner Arbeit an der Schnittstelle von Theorie und Praxis seit längerem auseinandersetzt.
von André Studt
Erschienen in: double 44: Regie? – Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick (11/2021)
Assoziationen: Regie Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Statt Begriffe subjektiv, auf die eigene Erfahrung bezogen auszulegen, um sie dann operativ in der (künstlerischen) Arbeit wirksam werden zu lassen, besteht der Luxus der Geisteswissenschaft vor dem Diskurs in der schweifenden Beobachtung eines Feldes und der beschreibenden Zuordnung von wahrgenommenen Phänomenen sowie in vorhandener Fachsprache: Da, wo die eigene Disziplin sprachlich / denkend schon einmal war, wandert der Blick meist weiter, bis man eine Lücke im vermeintlich Bekannten entdeckt zu haben scheint, die eine forschende Aufmerksamkeit verdient. Das, was unvertraut erscheint, wird fokussiert, auf denkbare Perspektiven der Betrachtung befragt. So werden, das noch fremde Phänomen umkreisend, abstrahierende Systematiken der Modellierung und möglichen Versprachlichung entwickelt, um die eigene reflexive Befangenheit anderen ggf. daran interessierten Kolleg*innen mitzuteilen. Diese können, wenn überhaupt darauf aufmerksam geworden, dann Zustimmung und – viel wichtiger – Widerspruch artikulieren. Und dann beginnt das, was als Diskurs bezeichnet werden kann. Dieser hat einen paradoxen Nebeneffekt: Das eben noch faszinierend Fremde wird zu einer routiniert verarbeiteten Form der Wirklichkeit, die banal erscheint und die man verstanden zu haben glaubt, so dass man sich auf die Suche nach neuen Lücken macht … In meinem fachlich motivierten Interesse für Theater-Regie – sowohl als expliziter Begriff der Personifikation als auch von (impliziter) Kompetenz, Anspruch und Funktion – stecke ich tief im hermeneutischen Zirkel, dem Teufelskreis der Wiederholung von empfundener Faszination und Banalität. Aus einer akademischen Distanz erscheint das Leben nur manchmal leichter …
Als ich mit der Vorbereitung für diese double-Ausgabe zu dem Heft-Thema „Regie?“ begann und wir entschieden, dass ich zu dem immer wieder aufkommenden Unbehagen bei der Nutzung dieses selbst theaterwissenschaftlich eher ungeklärten Begriffs#1 einen Artikel beitragen würde, durfte ich feststellen, dass auch im Bereich des Figuren-, Objekt- und Materialtheaters in puncto Regie (als Begriff, Person, Funktion und Diskurs) alles andere als klar ist, was man darunter genau verstehen möchte. Das ist für mich spannend, weil vor allem hinsichtlich einer tendenziell ablehnenden Haltung dem Begriff gegenüber eher Muster als Einzelfall … So möchte dieser Text ein Versuch sein, dieses Muster sowie dem Begriff inhärente Paradigmen und Konnotationen skizzenhaft aufzuschlüsseln und punktuell auf eine spezifische Tradierung der Regie im Genre selbst zu beziehen.
Personifikation von Regie
Denkt man den Regie-Begriff auf der Ebene der Personifikation, überwiegt oft das Bild eines übergriffigen, toxisch männlichen Zampanos, der, wenn nicht die aktuelle Kulturberichterstattung massive Verfehlungen und menschenverachtend scheinende Anmaßungen einzelner Akteure thematisiert, in der Theaterwissenschaft sogar über eine historiographisch modellierte Tradition verfügt. So wurde die Genese der modernen Regie als Entwicklung „Vom Diener zum Despoten“1 (Jens Roselt) beschrieben, dessen zunehmend cholerisch artikulierter Wille zur Kunst die künstlerischen Absichten und Eigenheiten der am gemeinsamen Realisationsprozess Beteiligten überschreibt und schlimmstenfalls unsichtbar macht. Einen Grundimpuls dieser Entwicklung findet man in den Überlegungen von Edward Gordon Craig, dessen kunsttheoretische Schriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Bestreben der Errichtung einer autonom wirksamen Regie-Position als Machtinstanz Auskunft geben. Auch dessen Überlegungen zur ‚Übermarionette‘ lassen sich als Verdrängung der virtuosen Schauspieler*innen als bestimmende produktionsästhetische Instanz im damaligen Theater lesen; ihren Geltungsanspruch hieß es einzuhegen, auf dass sich überhaupt ein diskursiver Raum für die Regie ergeben konnte. Natürlich ist der etymologische Raum des Regie-Begriffs vom Lateinischen ‚regere‘ geprägt, und sicherlich färben die Semantiken der Leitung, der Führung und Disziplinierung auf die Personen, die diesen Praktiken professionell Aufmerksamkeit schenken müssen, ab. Craig wendet, auch wenn er die militärische Färbung der Argumentation von Befehl und Fügsamkeit übernimmt, diese Umstände ins Ästhetische, da seiner Ansicht nach sich das Theater als Kunst nur erneuern könne, wenn „unter Disziplin ein freiwilliger oder zuverlässiger Gehorsam gegenüber dem Regisseur oder Kapitän verstanden wird.“2 Auch von dieser Position abweichende Regie-Auffassungen, wie sie beispielsweise im Verständnis der ‚Spielleitung‘ durch Brecht als Alternative aufscheinen, wo den Darstellenden ein gewisses Maß an Mitspracherecht bei der Ausgestaltung ihrer Rollen gegeben (wenn nicht sogar konzeptionell im Sinne der Dialektik des Spiels notwendig) ist, änderten nicht viel an den Motiven, der reklamierten Autorität von Regie generell mit Misstrauen zu begegnen.
Ein Beispiel für einen autokratischen Regie-Stil mit absolutem Kunstanspruch markiert Tadeuz Kantor bzw. dessen ‚Theater des Todes‘, etwa mit der Produktion Umarła Klasa (Die tote Klasse, 1975). Ich würde ihn als Praktiker im Sinne der von Edward Gordon Craig etablierten Tradition einer Autoren-Regie verstehen, die den Schauspieler*innen in Produktionen einen subalternen Platz zuwies, um sie als formbares Material für eigene künstlerische Absichten verwenden zu können. So war Kantor selbst als Regisseur in seinen Inszenierungen auf der Bühne sichtbar, um die Ordnung dessen, was er als (seine) Kunst verstanden wissen wollte, aufrecht zu erhalten. Bezeichnenderweise trägt eine posthum erschienene Filmdokumentation über sein Wirken den Titel ‚Tadeusz Kantor. Ein begnadeter Tyrann‘ (Regie: Andrzej Bialko, 1997) – damit wäre man freilich wieder bei den romantischen Vorstellungen vom Künstler als Genie (und dessen diskursiver Reproduktion) …
Institutionalisierung der Regie
Inzwischen hat sich auf der rezeptionsästhetischen Ebene, vor allem im Echoraum bzw. Expert*innendiskurs einer Bewertung von durch Regieanspruch und -führung sichtbar werdenden Arbeitserzeugnissen, die Bezeichnung ‚Regie-Theater‘ als Schimpfwort mit eigenen Konjunkturzyklen im Feuilleton etabliert. Befeuert durch die aktuelle Berichterstattung über Machtmissbrauch, Übergriffigkeiten und andere Demütigungen, die das oben skizzierte Bild von Regie weiter verfestigen, rückt so die Ebene der Institutionalisierung der Regie in den Fokus. Sie erinnert daran, dass diese nicht ohne Rahmen und Kontext stattfindet bzw. sich – im besonderen Fall – als Skandal äußert, der nicht nur die Binnenlogik der Theater und ihrer Produktions- und Arbeitsweisen tangiert, sondern eine größere Öffentlichkeit, genauer: vielleicht (nur) das Bildungsbürgertum(?)#2, gegen sich aufzubringen weiß. Natürlich sind derartige Effekte von Regie nicht Bestandteil der mittlerweile ebenfalls institutionalisierten Ausbildung; hier findet eine an den Arbeitsgegenständen (v.a. Text, Körper, Raum) orientierte Profilierung von Regiepositionen statt, derer sich der Markt (auch im Theater gilt das ökonomische Gesetz von Angebot und Nachfrage) annehmen kann. So werden Menschen als Regisseur*innen engagiert, von denen sich die Institution etwas Spezifisches verspricht bzw. der eigenen – u.U. per Abonnement verpflichteten – Klientel vermitteln möchte. Und das, was als ‚freies Theater‘ seinen Anfang nahm und dem man in jüngster Vergangenheit eine Aufweichung von solistischen Regieauffassungen zugunsten alternativer Arbeitsweisen wie collective creation, Ensemble-Regie, etc. zu verdanken hat, wird für die Betriebsmechanismen der Institution gefügig gemacht: So werden künstlerische Absichten meist zu Regie-Konzepten, welche als Arbeitsgrundlage dienen und Verbindlichkeit nach innen und außen schaffen sollen.
Regie als künstlerische Handlung
Richtig unübersichtlich wird es, wenn man sich der Ebene der Kompetenzen, Ansprüche und Wirksamkeiten, die Regie als (künstlerische) Handlung hervorruft, widmet: Nachdem eine (sprachlos bzw. staunend machende) Orientierung an den Setzungen eines romantischen Künstlerideals, dem Genie, im Falle der Theater-Regie schon immer auf Widerspruch gestoßen ist (auch wenn E.G. Craig und seine Apologeten vielleicht noch damit liebäugelten), gilt es den Gründen dieser Gegenwehr nachzugehen. Theater ist – und gerade das hier im Heft thematisierte Genre des Figuren-, Material- und Objekttheaters im besonderen Maße – immer eine an menschliche Subjekte gekoppelte Aus-Handlung von eigenwilligen und an die involvierten Subjekte gebundenen Aktivitäten und Absichten. Dabei teilt sich das, was sich Regie nennt, im Ergebnis der Aufführung nur implizit mit, da die Regie führenden Personen in der Regel nicht selbst, sondern nur in den angebahnten szenischen Verlautbarungen sichtbar (bzw. rekonstruierbar) werden. Dass dies für Puppen führende bzw. ein Objekt animierende Spieler*innen in einigen Formaten des Genres auch gilt, weil sich die dahinter liegende Absicht im besten Fall über das sichtbar werdende Spiel mitteilt, scheint für die einzelne Aktion strukturell analog. Daraus jedoch abzuleiten, dass jeder Animationsvorgang damit als Regieprozess anzusehen sei, führt meines Erachtens in eine Sackgasse, da mit dieser Deutung die sozialen (z.B. im arbeitsteiligen Prozess des Umgang mit Akteur*innen der Institution und Öffentlichkeit, Schauspieler*innen, Ensemblespiel), somatischen (z.B. den Hilfestellungen im Umgang mit Scham, Angst und Lampenfieber) und energetischen (z.B. die Motivation für ein Anliegen, das in den Proben zu einem kollektiven Phänomen gemacht werden sollte) Dimensionen der Regieführung, die viele Einzelphänomene produktiv zu integrieren hat, ausgeblendet werden.
Auch wenn es Defizite (und berechtigten Anlass für Kritik) in diesen Bereichen gibt und auch eine zeitgenössische Regie nicht vor den Gefahren der mit dieser Funktionsrolle#3 einhergehenden Hybris gefeit ist, sind es eben diese dialogischen Eigenschaften (Potenziale?) der Regie, denen man – sowohl pädagogisch als auch ästhetisch – eine größere Aufmerksamkeit schenken sollte.
1 Dessen stark rezipierter Aufsatz ‚Vom Diener zum Despoten. Zur ‚Vorgeschichte der modernen Theaterregie im 19. Jahrhundert‘ (in: N. Gronemeyer / B. Stegemann (Hg.): Lektionen 2 Regie. Berlin (Theater der Zeit) 2009, S. 23-37) präfiguriert die Regie als Figur, die sich das Probengeschehen untertan macht. Die stark männliche Konnotation von Regie wurde von Dennis Hänzi in der Studie ‚Die Ordnung des Theaters‘ (2013) soziologisch herausgearbeitet.
2 E.G. Craig in Jens Roselt: Regie-Theorien. Regie im Theater. Geschichte-Theorie-Praxis. Berlin (Alexander Verlag), 2015, S. 190. Hier lässt sich ein Spektrum von verschiedensten Regie-Auffassungen rekonstruieren, deren Heterogenität wahrscheinlich dafür verantwortlich ist, dass es keine generelle Theorie der Regie geben kann.