Theater der Zeit

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Auftritt

Volkstheater Wien: Apokalypse und Zuversicht

„Ich möchte zur Milchstraße wandern!“ mit Texten von Jura Soyfer – Regie Jan Philipp Gloger, Bühne Marie Roth, Kostüm Justina Klimczyk, Live-Musik Kostia Rapoport

von Michael Hametner

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Jan Philipp Gloger Volksoper Wien

Naive Lebenslust und klarsichtige politische Analyse: „Ich möchte zur Milchstraße wandern“, Regie Jan Philipp Gloger am Volkstheater Wien. Foto Marcella Ruiz Cruz
Naive Lebenslust und klarsichtige politische Analyse: „Ich möchte zur Milchstraße wandern“, Regie Jan Philipp Gloger am Volkstheater WienFoto: Marcella Ruiz Cruz

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Der Auftakt der neuen Intendanz vom Volkstheater Wien durch Jan Philipp Gloger ist programmatisch. Da will einer etwas für das durch den Abgang nach nur vier Jahren Intendanz von Kay Voges schnell verwaisten Volkstheaters. Ausgerechnet der Theatermann aus Deutschland – Gloger kommt vom Staatstheater Nürnberg – will seinem Publikum österreichisches Volkstheater bringen. Dafür benutzt er nicht die in Wien eingefahrene Spur zu Nestroy und Raimund, sondern hat sich einen ihrer Nachfolger gewählt: Jura Soyfer. Der 1939 mit nur 26 Jahren im KZ Buchenwald ermordete Dichter stellt mit seinen in den späten 30er Jahren entstandenen Stücken zwar seit Jahren für Österreich keine Neuentdeckung mehr dar, ist aber immer wieder bestens einsetzbar, wenn es gegen akute Bedrohungen durch Demokratiefeinde geht. Und davon hat Österreich, das nach der letzten Nationalratswahl beinahe der völkischen FPÖ in die Hände gefallen wäre, gegenwärtig nicht wenige. Soyfer attackiert den Typus des geschichtsvergessenen Kleinbürgers und des noch aus dem drohenden Weltuntergang ein Geschäft ziehenden Großbürgers mit den Mitteln der politischen Komödie. Seine Mischung aus Apokalypse und Zuversicht hat Gloger angesteckt und seine Collage aus Texten des Dichters inspiriert. Sie verbindet die drei Theaterstücke „Weltuntergang“, „Astoria“ und „Vineta“ und die Szene „Geschichtsstunde im Jahr 2032“ zu einem zweistündigen Theaterabend. Aber wie das oft so ist, Konzept und Umsetzung sind nicht immer deckungsgleich.

Die in Soyfers Theatertexten steckende einmalige Mischung aus ungebrochener naiver Lebenslust und klarsichtiger politischer Analyse hat Regisseur Gloger freigelegt. Er kommt für die vielen Rollen mit sieben Darsteller:innen und einem grandiosen Pianisten (Kostia Rapoport) aus. Seine Bühnenbildnerin Marie Roth bedient Glogers Absichten mit einem Objekt, das aussieht wie ein Raumschiff und zugleich mit rotem Plüschvorhang wie eine Nudelbrett-Bühne. Die kleine Bühne auf der großen Bühne macht schon das Problem deutlich, das der Regisseur sich einhandelt. Soyfer, dessen Bühnensprache dem Kabarett nähersteht als dem klassischen Schauspiel, hat für Kammerspielstätten geschrieben. Bei Kleinkunstbühnen für weniger als 99 Zuschauer:innen kam die Zensur nicht. Gloger weiß, dass er räumliche Übersetzungsarbeit leisten muss. Der Abend fängt gut an, wenn Sonne und Planeten – von Kostümbildnerin Justina Klimczyk bestens „verkleidet“ – ihr Ballett aufführen und den in Alufolie gewickelten Kometen (hier überzeugt Samouil Stoyanow wie auch später in seinen Rollen) beauftragen, zur Erde zu fliegen, um sie für das verantwortungslose Tun ihrer Menschen zu zerschmettern. Da sieht man Witz und Tempo eines Impro-Theaters. Aber diese Spielweise vermag der Regisseur auf der großen Bühne nicht durchzuhalten. Statt einer unprätentiösen Spielweise schickt er seine Darsteller:innen oft ins klassische Rollenspiel und die Inszenierung verliert an Tempo. Slapstick-Einfälle lassen schmunzeln, aber danach ziehen steife Dialoge Tempo aus dem Spiel. Der Regisseur hätte hören müssen, dass Soyfers Bühnensprache nicht durchweg Dichte besitzt und es vor allem seine grandiosen Spielideen sind, die vorantreiben.

Glogers Collage bleibt größtenteils beim Originaltext, was sehr schön ist. In der zwischen die Stückausschnitte gesetzten Szene „Geschichtsstunde im Jahr 2032“ hat er sich von der aktuellen Jahreszahl verführen lassen, aus der überhöhten Spielweise auszusteigen. Etwas sehr platt wird das fehlende Geschichtswissen vorgeführt, wenn eine Schulklasse darauf geprüft wird, was sie über die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts weiß. Nämlich nichts. Wofür der Lehrer ein „sehr gut“ gibt. Viel eindrücklicher gelingt die Vorführung des Vergessens in den Szenen aus Soyfers Stück „Vineta“. Plötzlich bricht Verzweiflung das Komödiantische, was sich nicht zuletzt der Intensität des Spiels von Andrej Agranowski verdankt.

Der Regisseur – kluger Schachzug der Collage – endet nicht mit Hoffnungslosigkeit. Er kehrt mit dem Lied von der Erde aus dem Stück „Weltuntergang“ zum Anfang des Abends zurück. Darin die Schlussverse: „Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde. Und ihre Zukunft ist herrlich und groß“. Dann allerdings wird ein improvisiertes Schild an das „Raumschiff“ gelehnt, darauf der Satz: „Seine Rakete ist nie gestartet“. Es folgt die Mitteilung, dass der Dichter 1939 im KZ ermordet wurde.

Plötzlich endet nach zwei Stunden das ausgelassene Spiel in der individuellen Tragik des Dichters Jura Soyfer. Ein eindrücklicher Schluss, der dem Regisseur gelingt. In der Premiere folgte Jubel. Gloger hat den Geist des Dichters in seiner Inszenierung durchaus nicht verfehlt. Er kennt seinen Soyfer. Aber oft verdeckt er ihn mit zu großer Theatergeste. Für Soyfer treffend ist ein Text auf der Gedenktafel an einem Wohnhaus in Wien: „Voll Leben und voll Tod ist diese Erde und ihre Zukunft ist herrlich und groß“. 

Erschienen am 13.9.2025

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