Theater der Zeit

Nachruf

Meister der Igel

Nachruf auf Wolfgang Bordel, Deutschlands dienstältester Intendant

von Juliane Voigt

Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)

Assoziationen: Akteure Mecklenburg-Vorpommern Vorpommerische Landesbühne

Wolfgang Bordel (1951–2022).
Wolfgang Bordel (1951–2022).Foto: Jens Koehler

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Sein cleverster Coup, gleich nach der Gründung des Theaterkombinats (um das es gleich noch gehen wird), war wohl der, sein Lebenswerk früh genug an die junge Generation abgegeben und sich, zumindest offi­ziell, vor vier Jahren in den Ruhestand verabschiedet zu haben. Die im Land, sagte er hände­reibend und meinte die Kulturpolitik, würden nämlich sicher denken, dass dieser ­Bordel nicht aufhören könne, bis er eines Tages tot umfalle, und dass sich das mit dem Anklamer Theater dann von selbst er­ledigen würde. Jetzt ist er umgefallen. Und nach der ersten Schockstarre ging schon am nächsten Abend der Vorhang wieder hoch. Für die Schiller-Premiere „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“, wo es heißt: „Du räumst einen Platz in meinem Herzen, den das Menschengeschlecht dreifach genommen nicht mehr besetzen wird.“ Ein Mantra für das Ensemble. Für die Bordelianer ist der Tod von Wolfgang Bordel in etwa so, als sei ein heiliger Baum gefällt worden.

Von 1983 an war Wolfgang Bordel ­Intendant. Insgesamt 36 Jahre, der dienstälteste in Deutschland. Wobei „Prinzipal“ wohl eher die richtige Bezeichnung wäre, denn das Anklamer Theater hat sich im ­Intendantenkarussell der deutschen Stadttheater nicht nennenswert mitgedreht. Anklam war für die Außenwelt viele Jahre da, wo Frank Castorf in den Achzigern war und ­Andreas Dresen seinen ersten Film gedreht hat. Eine Stadt, die man nicht unbedingt gesehen haben muss. Und mit sinkender Einwohnerzahl schon gar nicht der Ort, an dem ein Theater öffentlich subventioniert werden dürfe, hieß es 1990 vom Deutschen Bühnenverein – mit der Empfehlung, das Theater zu schließen. Das war der Moment, in dem Wolfgang Bordel in seiner Lieblings-Ackerfurche auf Position ging. Dass er Mumm hatte, war schon an seinem wuchernden Backenbart zu erkennen. Nur ganz Mutige tragen ihn! Dazu gesellten sich geruhsame Unbeugsamkeit und gut gelaunte Wortakrobatik.

Während andere Theater sich damals nämlich unter Murren oder Protest auflösten oder der großen Fusionitis zum Opfer fielen, ­besann sich Bordel seines Lieblingsmärchens „Der Hase und der Igel“. In welchem es bekanntlich darauf ankommt, eine große Familie zusammenzutrommeln, wenn man gewinnen will. Die just entlassene Belegschaft warf daraufhin ihre Abfindungen in einen Hut, gründete die Vorpommersche Kulturfabrik e. V., kaufte ein Theaterzelt und zog an den ­Heringsdorfer Strand, wo Scharen von Urlaubern nach langen Tagen der Erholung abendliche Unterhaltung suchten.

Heute ist das „Chapeau Rouge“ eine von sieben Spielstätten der Vorpommerschen Landesbühne zwischen Darß und Usedom. Fast 30 Jahre lang strickte Bordel jedes Jahr eine neue Vineta-Episode aus Fantasy und Realpolitik zusammen, eine Saga über eine Stadt, die an ihrem Reichtum zugrunde geht. Das helfe einem armen kleinen Theater, nicht so viel zu jammern, erklärte er mit heiterer Selbstironie und ließ Vineta alle paar Jahre mit großem Pyro-Spektakel untergehen. In „Die Peene brennt“ besiegten die tapferen Anklamer jedes Jahr aufs Neue die Schweden, die Preußen und die Schweriner Landespolitik. Er brachte halb Anklam zum Theaterspielen und etablierte in der Thea­­terakademie – einzigartig in Deutschland – Schauspiel als zusätzlichen Ausbildungsberuf. Nebenbei inszenierte er volksnahe Komödien und politisches Theater. Und hielt, als promovierter Philosoph, der er nach einigen prekären Vorberufen war, in der vorpommerschen Abgeschiedenheit die letzte kommunistische Enklave hoch: Jeder kriegt das gleiche Geld, alle halten zusammen und rufen zur richtigen Zeit aus ihrer Ackerfurche: „Ich bin allhier!“

Bis die Vorpommersche Landesbühne vor zwei Jahren im Theaterpakt des Landes mit den Stadttheatern gleichgestellt wurde und inzwischen knapp zwei Millionen Euro öffent­liche Fördermittel bekommt, war es ein langer Lauf. Den Wolfgang Bordel in fast 40 Jahren gewonnen hat. 2020 erhielt er für sein kulturelles Engagement auf dem flachen Land den Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vor­pom­mern. Er war berühmt für sein großes Herz, seine Unbeugsamkeit, seine Gulaschsuppe und seine „fröhliche Cola“, die als Zaubertrank immer in Reichweite stand, ­welche ­Mischung auch immer dahintersteckte. Am 28. Oktober ist Wolfgang Bordel über­raschend in seinem Haus in der Nähe von Anklam im Alter von 71 Jahren gestorben. //

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