Theater der Zeit

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Auftritt

Staatstheater Nürnberg: Spiel ohne Unschuld

„Die erste Liebe hält 5 Jahre“ von Ewald Arenz, Helwig Arenz, Katja Brunner, Max Czollek, Jchj Vé Dussel, Natasha A. Kelly und Kiki Miru Miroslava Svolikova (UA) – Regie Jessica Samantha Starr Weisskirchen, Bühne und Kostüme Wanda Traub, Live-Musik Alex Röser Vatiché

von Sabine Leucht

Assoziationen: Theaterkritiken Bayern Jessica Weisskirchen Staatstheater Nürnberg

Eine „politische Toy-Story“: „Die erste Liebe hält 5 Jahre“ unter der Regie von Jessica Samantha Starr Weisskirchen eröffnet die neue Spielzeit am Staatstheater Nürnberg.
Eine „politische Toy-Story“: „Die erste Liebe hält 5 Jahre“ unter der Regie von Jessica Samantha Starr Weisskirchen eröffnet die neue Spielzeit am Staatstheater Nürnberg. Foto: Konrad Fersterer

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Zarte Papierschmetterlinge und einen blau-rot-gelben Sticker mit dem neuen Theaterlogo, der ein wenig dem von Superman ähnelt, schenkt das Nürnberger Staatstheater seinen Premierenbesucher:innen zur Eröffnung der Saison. Es ist die erste unter der neuen Schauspieldirektorin Lene Grösch, die als Nachfolgerin des ans Wiener Burgtheater gewechselten Jan Philipp Gloger und als erste Frau in dieser Position zum Einstand Optimismus und Leichtigkeit versprüht. Nicht nur mit den Schmetterlingen. Ein paar Superkräfte wird sie womöglich auch brauchen. Wie das Theater gerade überhaupt.

Grösch, die zuletzt am Stadttheater Heidelberg als geschäftsführende Dramaturgin unter anderem für das iberoamerikanische Festival ¡Adelante! verantwortlich war, stammt aus Nürnberg und demonstriert gleich mit der ersten Premiere ihre Vertrautheit mit der Stadt und ihre Nähe zum Autorentheater.

Nürnberg gilt seit dem Mittelalter als die Spielzeugstadt und noch heute als Hochburg der Spielwarenindustrie in Deutschland. Die weltweit größte Spielwarenmesse findet hier statt und das Nürnberger Spielzeugmuseum ist fast so bekannt wie der Christkindlesmarkt. Da liegt es nah, mit einem Abend über das Spielen zu eröffnen. „Die erste Liebe hält 5 Jahre“ – in den achtziger Jahren ein Slogan von Lego – ist aber ein wahres Überraschungspaket. Und das mit Ansage: Für diese „politische Toy-Story“ wurden Texte bei einer so illustren wie hochkarätigen Autor:innenschar in Auftrag gegeben. Ewald und sein Bruder Helwig Arenz stammen ebenfalls aus der Region, aber auch die Schweizer Autorin Katja Brunner, der Berliner Publizist Max Czollek, Autorj und Performer Jchj Vé Dussel, die politisch aktive Kommunikationswissenschaflerin Natasha A. Kelly und die österreichische Künstlerin Kiki Miru Miroslava Svolikova tauchten in konkrete und philosophische Erinnerungen an ihr erstes Spielzeug ab. Oder sie betätigten sich – in Czolleks Fall – als Spielverderber, weil sein Text auf Schiller rekurrierend das ganze Theater als moralische Anstalt an die Grenze zum politisch Manipulativen rückt. Und da ist ja was dran: Sich vor den Karren welcher Moral und Politik auch immer spannen zu lassen, ist das Ende der Freiheit der Kunst.

Das Team um Regisseurin Jessica Samantha Starr Weisskirchen hat Czolleks essayförmige Abschweifung klug an das Ende des Abends geschoben und die in Stil, Länge, Gegenstand und Gewicht extrem heterogenen Mikro-Dramen durch ein Bühnenbild amalgamiert, das einem extra-knallig entgegenspringt. Auf der schwarzen Drehbühne verteilte Kunstgras-Inselchen riechen nach Teletubby-Land, aber es gibt auch Spieluhr-Vibes, die sich verstärken, wenn im Verlauf des Abends noch ein greller Paradiesbaum in einen Hügel gerammt wird und ein doppelköpfiger T-Rex oder ein pinkes Barbie-Pferd dazukommen (Bühne und Kostüme: Wanda Traub).

Als Erstes am Start sind die Figuren aus Svolikovas „gen e sis“, ein im nudefarbenen Onesie steckender haarloser Gott und die ihm gleichenden taumelnden Apfelmusmenschen, die ihm aus Langeweile und Lust am Spielen so unterlaufen sind. Ebenso wie die Welt selbst, die er unter Ächzen und Stöhnen als rote Clownsnase herauswürgt. Ihr Zeitvertreib: Sich zu erniedrigen und gegenseitig umzubringen.

Das siebenköpfige Ensemble, neue wie altgediente Kräfte gleichermaßen, wirft sich mit Verve in die Rollen. Es treten auf: Ein Schwein und der stolze Bauernstand, ein Luftgewehr, das man in den siebzigern noch im Quelle-Katalog bestellen konnte, und das Authentizitätstheater, das keiner aussprechen kann. Aber „wehe denen, die sich nicht verkörpern“. Außerdem mit dabei: Ein riesiger Karton als Erinnerung an das Puppenhaus, das sich Kelly in ihrer Kindheit gebastelt hat, und die geballte feministische Barbie-Power, die bei Brunner ihre „Selbstsexualisierung“ thematisiert. Die Masken- und Kostümabteilung hat sich hier richtig ins Zeug gelegt: Die Damen tragen im wildesten Schwung erstarrte Frisuren und grelles Pink mit Spitzbrüsten und Meerjungfrauen-Schwanz. Eine von ihnen beklagt sich zwischen zusammengepressten Zähnen über „die Beschränkung auf so eine kleine Farbpalette“ und alle träumen von Kartoffelpuffern.

Es ist ein bunter Abend, in dem vieles, was beim Lesen unvereinbar schien, doch irgendwie ineinanderfließt. Aber kein optimistisch-leichter. Auch die Live-Musik neigt zum Brodeln und wenn das Ensemble „Der Mond ist aufgegangen“ singt, klingt das gebrochene Verhältnis der Deutschen zu ihrer kulturellen Vergangenheit durch.

Im Gedenken an den jüngst verstorbenen Schauspieler Thomas Nunner, mit dem vereinbart war, Ewald Arenzʼ Szene „Junge auf der Fensterbank“ nur an Abenden zu spielen, an denen er sich bereit dazu fühlt, bleibt für ein paar stille Minuten die Fensterbank leer. So viel Anstand und Mitgefühl scheint die Menschheit noch aufbringen zu können, der Dussel in „MenschenversTand – durchgebrannt“ volles Versagen in Sachen Klima und Kapitalismus diagnostiziert und wofür Jchj. neue „Nürni-Prozesse anregt. Ja, der spielende Mensch ist kein unschuldiges Kind, sondern baut richtig viel Mist. Und Spielzeuge vom Harlekin bis zum Theater haben ihren je eigenen historischen und ideologischen Ballast. Doch was wären wir ohne das Spiel? Und dass dieser Abend Spaß macht, ohne Widersprüche platt zu klopfen, verdankt sich schließlich auch Weisskirchens glücklichem Spielleiterinnenhändchen.

Erschienen am 7.10.2025

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