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Crystal-Rausch in Ostsachsen
Das 9. Sächsische Theatertreffen im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen
von Andreas Herrmann
Erschienen in: Theater der Zeit: Peter Kurth: Die Verwandlung (09/2016)
Assoziationen: Sachsen Sprechtheater Akteure Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen
Das Sächsische Theatertreffen, im Jahre 2000 unter Leitung des damaligen Leipziger Schauspielintendanten Wolfgang Engel begründet, findet aus Termingründen immer parallel zu dem Berliner Theatertreffen statt. Es unterscheidet sich dadurch, dass es nur alle zwei Jahre stattfindet, wobei der Ort des Treffens wechselt und die Einladungen in Absprache mit den elf Schauspielbühnen des Landes erfolgen. Denn nicht alle Inszenierungen passen in ein Bühnenhaus wie das des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen, welches nach 2002 – damals noch gemeinsam mit Görlitz und Zittau – Mitte Mai nun um zweiten Mal Gastgeber war.
Seitdem man sich weg von der thematischen Vorgabe und hin zum Wettbewerb orientiert hat, wobei die Jury freie Hand hat, was genau sie prämiert, gewinnt das Intermezzo der städtischen Schauspielbühnen merklich an Interesse. Und wie in Leipzig 2014 – dort wurde Stefan Migge als Hamlet in Bogdan Kocas Chemnitzer Inszenierung mit dem Preis des Theatertreffens gekürt – gab es zum Abschluss eine gebührende Auszeichnung, weil sich nach zwei ausverkauften und gefeierten Vorstellungen von Heike Hennigs Performance „Crystal – Variationen über Rausch“ mit je drei freien Tänzern und festen Spielern vom Theater der Jungen Welt Leipzig fast alle einig zeigten, etwas Besonderes erlebt zu haben. Gehörigen Anteil daran hatte der Berliner Breakdancer Hong Nguyen Thai, der mit seiner Artistik das Bautzener Publikum mehrfach zu erstauntem Szenenapplaus trieb.
Der zweite Sieger war zweifelsohne der Gastgeber selbst: Es ist nicht nur das einzige bilinguale Theater der neuen, großen Bundesrepublik, sondern hat auch zwei frisch gebaute bzw. sanierte Spielstätten und mit dem 2013 bei Theater der Zeit erschienen Band „Baut- zener Theater Geschichten“, für das der Ehrenschauspieler Michael Lorenz zwölf Jahre recherchierte, auch eines der umfangreichsten Werke zur eigenen, über 600-jährigen Bühnengeschichte zu bieten. Nun zeigte das Volkstheater allen Gästen, warum es so erfolgreich ist: Man vermag es, die Säle zu füllen – besonders im Kinder- und Jugendbereich arbeitet das Theater logistisch perfekt. Die Puppenspieler, im 2003 neugebauten Burgtheater zu Hause, touren wie die Schauspieler fleißig durch die Ober- wie Niederlausitzer Provinz, das Theater organisiert zudem die Bus- als Klassenfahrten ins eigene Haus selbständig.
Das alles hätte man gebührend feiern können, doch der neue Schirmherr, Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der als Sorbe seinen Wahlkreis in unmittelbarer Nachbarschaft hat, verschwand nach seiner Begrüßungsrede rasch und ohne jede Begründung vor der Aufführung aus dem Saal, was für erregte Diskussionen bis hin zur Empörung sorgte. Denn damit verpasste er auch ein Stück zum wichtigsten Problem der Region: Die sorbisch-deutsche Fortschrittselegie „Mein vermessenes Land“ von Jurij Koch, in behutsamer Regie von Gastgeber Lutz Hillmann als Eröffnungsstück gegeben, bei der es um den nun fast hundert Jahre währenden staatlichen Landraub zugunsten des Braunkohleabbaus geht, betrifft Lausitzer samt Sorben auch heute noch (und immer wieder neu). Zudem ist das Stück auch wegen seiner eigenen Historie mit den Aufführungen in Halle 1977 sowie Bautzen 1978 und 1985 ein Phänomen, welches aus heutiger Sicht mystisch angehaucht und somit etwas verklärend wirkt.
Das 10. Sächsische Theatertreffen findet im Mai 2018 in Dresden statt – im neuen Kraftwerk Mitte, welches nach der geplanten Eröffnung im Dezember das Theater Junge Generation und die Staatsoperette beherbergen wird. Dass die Jury dann wesentlich radikalere Stücke zur Lage der vereinten Nation(en) vorgesetzt bekommen wird, zeigte schon das diesjährige Symposium „Willkommen anderswo“ und ist somit eine nicht sonderlich gewagte Prognose, die auch durch die vorliegenden Premierenpläne genährt wird. //