Theater der Zeit

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Auftritt

Theater Paderborn: Vier Beine gut, zwei Beine schlecht!

„Farm der Tiere“ nach George Orwell – Regie Henri Hüster, Bühne und Kostüme Lea Burkhalter, Komposition und Sounddesign Florentin Berger-Monit und Johannes Wernicke, Choreografie Gustavo Gomes

von Stefan Keim

Assoziationen: Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Henri Hüster Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele

Schluss mit Ausbeutung und Unterdrückung – die Tiere jagen ihren Peiniger: Orwells „Farm der Tiere“ als Wutbürger-Parabel am Theater Paderborn.
Schluss mit Ausbeutung und Unterdrückung – die Tiere jagen ihren Peiniger: Orwells „Farm der Tiere“ als Wutbürger-Parabel am Theater Paderborn.Foto: Theater Paderborn / Kreft

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Romane beherrschen auch in der neuen Spielzeit die meisten Theaterspielpläne. Die Parabel „Farm der Tiere“ von George Orwell drängt sich aus inhaltlichen Gründen nicht gerade für eine Bearbeitung auf. Sie hat zwar gerade Jubiläum, vor 80 Jahren wurde das Buch erstmals veröffentlicht. Doch das Gleichnis ist ohne historischen Hintergrund schwer zu verstehen. Orwell kämpfte im spanischen Bürgerkrieg mit einer zwar sozialistischen, aber nicht stalintreuen Bewegung – der POUM-Miliz – gegen die Faschisten. Die meisten seiner Kameraden wurden verhaftet und ermordet, weil die moskautreuen Kämpfer sie verraten haben. Dieses Erlebnis brachte Orwell dazu, vor der stalinistischen Sowjetunion und dem Verrat kommunistischer Ideale zu warnen – in seinen berühmten Romanen „1984“ und eben „Farm der Tiere“.

Hier formuliert ein sterbender Eber – den man als Allegorie auf Karl Marx und Lenin lesen kann – sieben Gebote, die den Tieren als Leitlinien dienen sollen. Sie vertreiben den Bauern, übernehmen die Farm, arbeiten in Selbstverwaltung. Doch die schlauen Schweine übernehmen langsam die Kontrolle. Erst streiten zwei Rivalen um die Vorherrschaft, Schneeball und Napoleon, die unschwer als Trotzki und Stalin zu identifizieren sind. Schneeball wird vertrieben, und die Schweine errichten eine neue Diktatur, die noch brutaler ist als die Herrschaft des Bauern.

Es wäre reizvoll, die Geschichte unter dem Gesichtspunkt neu zu erzählen, dass fake news keine Erfindung von Donald Trump sind. Die Propaganda der Schweine besteht aus absurden Lügen und verfängt dennoch. Weil manche Tiere zu dumm sind, die sieben Gebote zu verstehen, werden sie auf sechs Worte reduziert. „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht!“ Das bietet Napoleon und seinem Gefolge genug Raum, um ihre Terrorherrschaft aufzuziehen. 

Henri Hüster folgt in seiner Inszenierung am Theater Paderborn ziemlich genau der Handlung des Romans. Aus den Erzähltexten und dem Traum des Ebers hat er eine chorische Sprechpartitur gemacht. Das Ensemble trägt Kopfbedeckungen, Hufschuhe und Pfotenhandschuhe, die auf die dargestellten Tiere verweisen. Fast unablässig sind alle in Bewegung, die Choreografie erinnert an animalische Bewegungen ohne ins Putzige oder Witzige zu rutschen. Die Anlage der Aufführung wirkt wie episches Theater, und tatsächlich soll hier ja auch ein Gleichnis verhandelt werden. 

Irgendwie okay und ein bisschen langweilig läuft der Abend an. Oft steht das nicht besonders originelle Gezappel auf der Bühne dem Text im Weg, das Ensemble wirkt nervös und stolpert hier und da. Schnell schält sich dann heraus, wohin die Aufführung zielt. Die Bauern beschweren sich darüber, dass die Tiere gendern und sich als nonbinär begreifen. Und spätestens wenn sie sich mit Napoleon und den Schweinen verbünden, entsteht hier eine Mischung aus neuen und alten Machthabern, ein Rechts-Rechts-Bündnis. Henri Hüster legt Schweinen und Bauern Parolen der AfD in den Mund, aber auch Zitate, die an Friedrich Merz angelehnt sind.

Kurz vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen warnt das Theater Paderborn also vor einer nicht-demokratischen Mehrheit. Peinlich wirkt allerdings, wie plump und plakativ das geschieht. Mit Orwells Handlung passt die neue Botschaft nur sehr bedingt zusammen, denn die Bezüge fallen weg. So wird eine zwar angestaubte, aber doch präzise Parabel zur blassen Folie für Agitprop. Das Schlimmste allerdings ist, dass Henri Hüster hier die verlogene Vereinfachung der Fascho-Schweine kritisiert, um sie dann selbst unreflektiert auszuüben. „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht.“ Mehr Debattierfreude steckt nicht in diesem besserwisserischen und auch ästhetisch nicht sonderlich interessanten Theaterabend.

Erschienen am 2.9.2025

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