Auftritt
Bayerische Staatsoper München: Mit viel Chouchou
„La fille du régiment“ von Gaetano Donizetti, Libretto von Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Jean-François Bayard – Musikalische Leitung Stefano Montanari, Inszenierung Damiano Michieletto, Bühne Paolo Fantin, Kostüm Agostino Cavalca, Licht Alessandro Carletti, Choreografie Thomas Wilhelm
Assoziationen: Theaterkritiken Bayern Musiktheater Bayerische Staatsoper München
Fast hätte sie dem singenden Personal des Abends den Rang abgelaufen: Schauspielerin Sunnyi Melles als blasierte Adelige und zickige Schabracke in der Sprechrolle der Duchesse de Crakentorp. Hochgebauscht und hochtoupiert, rauschte sie in ihrem Taft-Reifrock und mit wackelnder Rokokoperücke auf der Bühne auf und ab. Ganz und gar die aristokratische Repräsentantin der „alten Herrschaft“ – des Ancien Régime. Donizettis Oper spielt irgendwann zwischen 1805 und 1815 in Tirol. Längst haben Napoleons Truppen halb Europa überrannt und auch die Französische Revolution liegt Jahrzehnte zurück. Doch die alte feudal-absolutistische Ordnung verschwindet so schnell nicht aus den Köpfen. Und so sind die Manieren der Duchesse wenig ladylike, wenn sie französelnd und auch mal jodelnd (!) über die tumben Tiroler Bauern herzieht und über die Auflösung der Standesgrenzen lamentiert. Wie dégoutant! Chouchou! „Das Einzige, was im Leben zählt, ist zu wissen, wer man ist.“ Hinreißend, wie Melles das macht. Eine einzigartige One-Woman-Show!
War da sonst noch was? Das möchte man sich fragen bei der Premiere von Gaetano Donizettis liebenswerter „Opéra comique“ über das Standesdünkel „La Fille du régiment“. Tatsächlich bleibt Melles die treibende Kraft in der buchstäblich blassen, blutleeren Inszenierung von Damiano Michieletto. Der Abend kommt nämlich nicht in Fahrt, holpert so dahin und findet zu keinem rechten Timing. Eigentlich das A und O einer Komödie. Marie (Pretty Yende) ist, voilà, die „Regimentstochter“: ein Waisenmädchen, das während der Napoleonischen Kriege vom 21. Regiment, jener legendären französischen Einheit, die einst zur Garde des Kaisers gehörte, großgezogen wurde. Doch eigentlich ist Marie von adliger Herkunft: die Frucht einer Liebesnacht zwischen einem französischen Hauptmann und der Marquise de Berkenfield. Das Leben unter Soldaten als Marketenderin hat Marie (im zeittypischen Kostüm von Agostino Cavalca) hat sie alle Weiblichkeit verlieren lassen und zu einem echten „Kerl“ mit rustikalen Manieren gemacht, weshalb auch die Liebschaft zu dem Tiroler Naturburschen Tonio (Xabier Anduaga) auf einer aseptisch kühl und hell ausgeleuchteten Bühne (Bühne Paolo Fantin) irgendwie nicht zünden will. Genderfluidness hin oder her. Da mag auch Tonio mit seiner halsbrecherischen Tenor-Bravour-Arie „Ah! mes amis, quel jour de fête!“, in der er neun hohe Cs innerhalb von zwei Minuten raushaut, nicht viel ausrichten. Immerhin: langanhaltender Szenenapplaus für diese tenorale Showpiece und die sportive Spitzenleistung. „Das ist die Arie, die ich in meinem Leben am meisten gesungen habe. Immer, wenn ich ein Konzert oder eine Gala singe, wird dieses ,Ah! Mes amis‘ gewünscht“, erzählt der 29-jährige Spanier. Mehr Farbe und mehr Nuancen hätte man sich bei Anduagas Liebesduett „Quoi? Vous m’aimez?" gewünscht. Pretty Yende, die die Partie der Marie sehr oft gesungen hat, glänzte mit stupenden, ebenfalls halsbrecherischen Koloraturen und in den lyrischen Momenten. Ihre Interpretation hatte allerdings etwas Routiniertes an sich. Sie scheint der Rolle langsam zu entwachsen. Die Nebenrollen sind mit Dorothea Röschmann als Marquise de Berkenfield und Misha Kiria als Sergeant Sulpice und Ziehvater Maries überzeugend besetzt. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters Dirigent Stefano Montanari. Mit Esprit führte er durch die kontrastreiche Partitur: Harfenklänge für den Adel, Trommelwirbel, Trompetensignale und Märsche fürs Militär und Hörner für die Tiroler Alpen.
„Auf jedem gelungenem Fest darf es an Trivialité nicht fehlen“, sagt die Duchesse an einer Stelle. Zwei Tage vor Weihnachten auch mal gut, wenn die Krisen auf der Welt diesmal nicht in der oft prätentiösen Regisseurmanier auf die Bühne hineinbrachen, sondern alles ziemlich harmlos blieb.
Erschienen am 30.12.2024