Auftritt
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: Kammerspiel in Großverzerrung
„MiniMe“ von Kata Wéber – Regie Kornél Mundruczó, Bühne Mona-Marie Hartmann, Stéphane Laimé
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Berlin Volksbühne Berlin
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Kornél Mundruczó, dieser ungarische Wanderer zwischen Bühne und Film („Evolution“ sein neuester), hat an der Berliner Volksbühne sein Debüt als Gastregisseur gegeben. Seine Arbeits- und Lebenspartnerin Kata Wéber schrieb das Stück, ein Kammerspiel der Abgründe in einer Kleinfamilie, die irgendwo in den Vorstädten in einer Art Luxusbunker haust. Das Thema steht gleich im Untertitel: Zehn Lektionen in Unterwerfung. Das ungefähr zehnjährige Mädchen Mini wird von seiner Mutter Clau in häuslicher Abgeschiedenheit für schulische Leistungen und die Performance bei Kinderstar-Wettbewerben getrimmt, während der Vater Josef buchstäblich auf der Jagd ist. Clau, ausgestattet mit einer vorgeblich in der Mutterschaft versandeten Model- und Schauspielkarriere, verfügt über alle Motivationsparameter für die Tochterdressur, die auch eine sadistische Rache für das eigene Geschick ist und außerdem, falls es dann doch gut geht, eine Selbst-Bestätigung sein könnte.
Aber natürlich geht es nicht gut, am wenigsten für MiniMe (lies: kleines Ich). Und auch nicht für die Produktion als Ganzes. Denn der von Mona-Marie Hartmann und Stéphane Laimé auf die Bühne geklotzte Wohnbunker samt kalt moderner Einrichtung macht zwar optisch etwas für die Volksbühne her, wo sich auch Bühnenbilder noch extra in einer großen Tradition behaupten müssen, aber für die Anlage eines Kammerspiels ist ein solches Setting schwierig. Da wirkt es wie ein behelfsmäßiger Trick, wenn Mundruczó die ersten Szenen aus dem Inneren der Trutzburg gefilmt auf die später hochgezogene Außenwand projizieren lässt.
Die größte Überraschung ist indes das Spiel von Maia Rae Domagala als Mini. Mit geradezu umwerfender Natürlichkeit strahlt sie das stürmisch erwachende Selbstbewusstsein ihres Pre-Teens von der Bühne. Auswendig gelernte Gedichte aufsagen und Temporaladverbien bestimmen? Wie öde! Aber tanzen, sich Moves ausdenken, Styles analysieren, das ist etwas, wo ihre Mutter schon nicht mehr mitkommt. Kathrin Angerer spielt diese Clau als – Kathrin Angerer. Sozusagen als Hausmarke, die auch dieser Gastregie damit noch das Flair einer ganzen Schauspielbiografie bis zurück in die neunziger Jahre verleiht. Da hat der männliche Widerpart einfach nichts dazuzusetzen. Daniel Sträßer (sonst Wiener Burgtheater) kann für seinen jagenden Josef weder einen Figurenhintergrund vorweisen noch mit einer volksbühnischen Spielkonnotation punkten. Dass der heimkehrende Jäger ansonsten der Großverdiener ist und einst auch die schöne Clau erlegte, das muss man sich aus der ohnehin klischeehaft angedeuteten Vorgeschichte zusammenklauben. Interessanter macht es ihn, den Auslöser der Katastrophe, selbstverständlich mit einem Jagdgewehr, keinesfalls. Das Stück von Mutter und Tochter wäre ohne ihn vermutlich sogar intensiver.
Es ist nun nicht so, dass der ungarische Meisterregisseur sich hier verhoben hätte. Von der Inszenierung, die sich an einigen Stellen wie der im großen Theaterraum als Stillstand wirkenden Botox-Spritzung der Tochter im Format verirrt, geht auf jeden Fall die für Mundruczó typische, von unterschwelligen Aggressionen geprägte Atmosphäre aus. Die Jagdgeschichte wird mit einer wie nebenbei wirkenden Erzählung von einem missglückten Schuss auf einen Hirsch am Ende, als sich die ganze Bühne noch einmal öffnet, ins Mythische gesteigert. Da hebt die Inszenierung wie ein kleines Wunder aus ihrer quälerischen Optimierungshölle ab.
Für die atmosphärisch-stimmige Live-Musik sitzt Daniel Freitag wie ein Kinoklavierspieler mit dezenter Begleitung vor der Bühne. Aber die hier mit den Mitteln des filmischen Kammerspiels, durchbrochen von Momenten des Horrorthrillers, gebotene Geschichte scheint arg weit weg von den verschiedenen Milieus, die sich gerade mit großen Erwartungen oder wachsendem Unmut über das ausbleibende Angebot in der Volksbühne versammeln. //