Theater der Zeit

Gespräch

„Gesellschaft besteht aus Menschen und Menschen können Dinge ändern“

Ulf Schmidt ist seit dieser Spielzeit Chefdramaturg und Chefautor am Saarländischen Staatstheater. Sein kürzlich von Volker Lösch uraufgeführtes Stück „Käsch und Naziss“ beschäftigt sich in zwei Teilen mit der Zerstörung der Demokratie von innen und deren Konsequenzen – eine Gegenüberstellung von politischer Farce und Dokumentartheater. Ein Gespräch über Demokratieverlust, Handlungsmöglichkeiten und die Rolle von Kunst in Zeiten der Zunahme autoritärer Kräfte.

von Ulf Schmidt und Nathalie Eckstein

Assoziationen: Debatte Dossier: Uraufführungen Volker Lösch Saarländisches Staatstheater

Raimund Widra, Laura Sundermann in der Uraufführung von „Käsch und Naziss“ von Ulf Schmidt in der Regie von Volker Lösch am Saarländischen Staatstheater. Foto Martin Sigmund
Raimund Widra, Laura Sundermann in der Uraufführung von „Käsch und Naziss“ von Ulf Schmidt in der Regie von Volker Lösch am Saarländischen StaatstheaterFoto: Martin Sigmund

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Ihr Text der Uraufführung „Käsch und Naziss“ spielt heute und in der nahen Zukunft, 2029. Wie blicken Sie auf die politischen Zeiten, in denen wir leben?

Ulf Schmidt: Wenn ich Zeitung lese, überwiegt Verzweiflung, gelegentlich ein Gefühl der Apathie. Und wenn ich in dem Abend sitze, auch. Bis zu den letzten zehn Minuten. Und dann ist es wieder die Hoffnung.

Wie haben Sie es geschafft, angesichts der Verzweiflung und Apathie, einen solchen Abend zu schreiben?

U.S.: Letzten Endes ist es ein Willensakt. Sich nicht damit zufrieden zu geben, in dieser Apathie zu versinken. Das Stück zu schreiben hat ungefähr ein Jahr gedauert. Und in dieser Zeit sind natürlich die emotionalen Lagen auch sehr unterschiedlich. In Wahlkampfzeit von Trump 2024 war es weniger Apathie. Man sitzt vorm Fernseher und denkt sich, das kann ja alles nicht wahr sein, was dieser Mensch da erzählt. Man kann das Lachen nicht unterdrücken, denkt sich, was soll das für ein Schwachsinn sein. Ich versuche gerade einen schwachsinnigen Text zu schreiben, aber der Typ ist ja noch schwachsinniger als ich. Das ist ein Wettrennen, wo ich das Gefühl habe, ich kann nur auf den zweiten Platz rauskommen.

In der Zeit des deutschen Bundestagswahlkampfes wuchs die Wut über den Diskurs, der geführt wird, und die Diskurse, die nicht geführt werden. Beim Schreiben des zweiten Teils von Käsch war es dann die absolute Verzweiflung beim Ausblick Richtung 2029.

Welche politischen Diskurse würden Sie sich wünschen?

U.S.: Ich würde mir natürlich einen Diskurs über die Probleme wünschen, die in dieser Republik mit Händen zu greifen sind. Themen wie das Gesundheitssystem, der Infrastruktur, Schulen, Bildung, Vermögensungleichheit insbesondere und Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe. Es macht mich verzweifelt, dass die Politik sich durch fast alle Parteien hindurch darauf eingestellt hat, nur noch nach unten zu treten. Und den Diskurs führt, an allem müsse gespart werden, es muss alles abgebaut werden, statt tatsächlich eine Politik zu machen, die diese Probleme löst und sie nicht auf Sündenböcke abwälzt.

Der erste Untertitel des Stücks ist „Über die Selbstabschaffung der Demokratie“. Was sind die Parameter dieser Selbstabschaffung?

U.S.: Auf der einen Ebene ist Demokratie für die Bevölkerung mit der Zeit ein abstraktes Konstrukt geworden. Das lässt sich irgendwie ganz gut verteidigen in Sonntagsreden und sagen, Demokratie ist das Beste, was wir haben. Aber es hat etwas Abstraktes.

Auf der politischen Ebene bemerke ich ein Schwinden von demokratischen Grundüberzeugungen. Das hat zu tun mit der sozialen Sicherung, mit digitaler Überwachung, mit den Sicherheitsgesetzen, mit den Menschenrechten – da bekommt man tatsächlich den Eindruck, demokratische Grundsätze sind auch in der Politik nicht mehr präsent. Es besteht eine hohe Bereitschaft, Dinge über Bord zu werfen, die man nicht über Bord werfen sollte.

Menschenrechte zum Beispiel.

U.S.: Menschenrechte sind unser aller Rechte. Wer das Asylrecht momentan nicht in Anspruch nehmen muss, sollte froh darüber sein. Froh darüber, in diesem glücklichen historischen Moment in einem Land zu leben, aus dem nicht geflohen wird, sondern in das schutzsuchende Menschen fliehen. Wenn man unbedingt Nationalstolz braucht, wäre das ein Grund für Stolz, anstatt von Deportation und Remigration zu faseln. Denn es ist ja nicht ausgeschlossen, dass man das Asylrecht selbst irgendwann in Anspruch nehmen muss. Oder dass Kinder oder Enkel es in Anspruch nehmen müssen. Wenn diese Rechte weg sind, dann sind sie für alle weg.

 Der erste Teil der Inszenierung – eine Groteske über den Aufstieg der Populistin Naziss im Zusammenschluss mit dem libertären Investor Käsch, einer Gruppe freiheitssuchender Bürger:innen und einem rechten Schlägertrupp – führt Liberalismus, toxische Männlichkeit, Ängste und Verschwörungstheorien eng. Welche Rolle spielen diese Faktoren für Sie genau?

U.S.: Sie sind Teil einer Gemengelage, die wir auf der rechten Seite wiederfinden. Wo sich unterschiedlichste Gruppen mit unterschiedlichsten Unzufriedenheiten zusammentun, die eigentlich überhaupt keine gemeinsamen Interessen haben.

In den USA wählen Menschen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage verzweifelt sind, einen Multimilliardär, der Politik für Multimilliardäre macht. Und glauben, das wäre der Mann, der alles für sie tun würde. Hier in Deutschland ist dieselbe Absurdität mit Händen greifbar. Denn diese rechte Bewegung hat es geschafft, nicht auf gemeinsame Interessen zu setzen, sondern auf ein gemeinsames Gefühl und gemeinsame Feinde. Wobei das Feindbild beweglich ist.  Das können Migrant:innen sein, das können Leute sein, die gendern. Das können LGBTQI+ und Frauen sein. Das können Leute sein, die keine Wurst essen oder sich für Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe stark machen. Das Feindbild ist beweglich, konstant ist der Hass. Man vereint sich in diesem im Hassgefühl und sucht sich immer neue „Gegenstände“ für den Hass

Welche Rolle kann Theater in solchen Verhältnissen spielen?

U.S.: Laut Deutschem Bühnenverein sind Theater Erfahrungsräume der Demokratie. Nehmen wir das Ernst: Wir sind Erfahrungsräume der Demokratie und wir stellen in Gesprächen, die wir in der Kantine oder wo auch immer führen, fest, dass diese Demokratie gefährdet ist. Was bedeutet das? Sind wir bereit, zu Hofnarren und Pausenclowns einer Autokratie zu werden? Und wenn wir zu dem Schluss kommen, dass wir das nicht wollen, muss man sich auf der Bühne dazu verhalten und muss sich klar positionieren.

Der zweite Teil basiert auf Recherchen und zeigt detailliert, die wie eine rechte Regierung 2029 in Deutschland aussehen könnte …

U.S.: Man liest und hört ja oft den Versuch, eine Parallele zu 1933 herzustellen. Und stellt fest: das geht nicht so richtig auf. Die Rechten laufen nicht in Stiefeln und Uniformen rum und die machen keine Fackelaufmärsche. Deswegen steht im zweiten Teil die Frage im Mittelpunkt: Wie funktioniert denn tatsächlich eine Regierung der AfD, wie wird Demokratie von innen zerstört? Sie werden sich am Tag nach der gewonnenen Wahl nicht hinstellen und das Grundgesetz öffentlich verbrennen. Sondern sie suchen und finden zahllose Schräubchen im System, die gedreht werden können, um dieses fragile Gebilde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Einsturz zu bringen. Das lässt sich in einem Kunstraum plastisch und konkret zeigen.

Und Sie haben ja mit dem Text eine künstlerische Form für all das gefunden, das Sie beschreiben. Sie arbeiten mit Recherchen und Fakten, aber auch mit Überspitzung, mit Satire, mit Kalauern und Humor, mit sprachlichen Verschiebungen. Wie war die sprachliche Arbeit an dem Text zu dem Thema?

U.S.: Der erste Teil war beim Schreiben auch ein großes Vergnügen. Die Arbeit an Schwachsinn und Überzeichnung macht Spaß. Das hat auch damit zu tun, dass viele von diesen Rechten großartige Entertainer sind. Sie schaffen es, in Entertainmentform ihre Zerstörungswut auszuleben. Und mit dieser Zerstörungswut kreieren sie  ein Momentum, das in die Gesellschaft hineinwirkt. Und dem begegne ich mit einer anderen Form von Zerstörungslust. Nämlich mit dem Versuch, sie mit der Überzeichnung selbst der Lächerlichkeit preiszugeben.

Und der zweite Teil?

U.S.: Vor allem viel mühsame und extrem belastende Arbeit. Montagearbeit und der Versuch, das überbordende Material dann für einen Theaterabend zusammenzudampfen und ihn so aufzubereiten, dass das Publikum inhaltlich dabeibleibt.

Regisseur Volker Lösch und Sie haben mit einem Bürger:innenchor gearbeitet. Der Bürger:innenchor wehrt sich am Schluss des Abends gegen die Abschaffung der Demokratie. Wie war die Zusammenarbeit?

U.S.: Es gab zunächst ein Casting mit den Chorist:innen. Es handelt sich nicht um Statist*innen, sondern das sind Menschen, die eingeladen wurden, sich zu diesem Thema auf die Bühne zu stellen. Dafür wurde von mir erstmal als Casting-Text ein Entwurf gemacht, damit man was auf dem Tisch liegen hat, damit klar ist, in welche Richtung das gehen kann. Die Texte wurden gemeinsam besprochen. Wir haben dann per E-Mail Fragen verschickt und die Ergebnisse der Befragten in den Text einfließen lassen. Man kann nicht sagen, dass der Text ganz konsequent crowd-gesourced ist, das geht in einem solchen Prozess erfahrungsgemäß nicht. Demokratie heißt für mich nicht: jeder sagt irgendwas und schmeißen wir schmeißen es zusammen. Sondern Demokratie heißt, man tauscht sich über etwas aus und kommt zu einer gemeinsamen Lösung.

Wie kam die Entscheidung zustande, das Stück mit einem Bürger:innenchor enden zu lassen?

U.S.: Der zweite Teil konnte nicht der Schluss sein. Das hätte in die Depression geführt.

Ich halte es auch für falsch, Dystopien zu bauen. Dystopie ist gerade etwas, das von der rechten Seite des politischen Diskurses genutzt wird. Die Zukunft, die bedrohlich auf uns zukommt. Wir brauchen aber einen Ansatz für eine Selbstermächtigung und für die menschliche Gestaltbarkeit von Zukunft. Gesellschaft besteht aus Menschen und Menschen können Dinge ändern.

Geht es um Selbstwirksamkeit?

U. S.: Auch, ja.  Gestern im Nachgespräch sagte einer der Choristen, er sei in den Chor gekommen, weil er unzufrieden war und sich hilflos gefühlt hat. Und nach den Proben und den bisher vier Vorstellungen ist er am Tag der deutschen Einheit mit ein paar anderen Choristen zum Stand der AfD auf dem Fest gegangen und hat da einen Teil des Schlusschors vorgetragen. Und er sagte, wie glücklich er war, jetzt den Eindruck zu haben, tatsächlich etwas tun zu können, an einer Stelle, an der das womöglich auch wirksam ist.

Der Abend läuft Gefahr, nur die Menschen anzusprechen, die ohnehin nicht die AfD wählen … 

U. S.: Ja, so what? Es sind 80 Prozent, die sich lauter äußern könnten. Wenn die in mein Theater kommen und sich hinterher lauter äußern, bin ich damit zufrieden. Ich muss nicht Alice Weidel in der ersten Reihe sitzen haben und ihr ein Erweckungserlebnis verpassen.  An der Stelle bin ich eben auch nicht so belehrend, dass ich denken würde, ich muss Menschen umerziehen. Ich glaube aber immer noch, dass Menschen im Kern ihres Wesens eigentlich zum Guten befähigt sind und hoffe, diejenigen, die dafür ansprechbar sind dazu zu motivieren.

Erschienen am 15.10.2025

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