Theater der Zeit

deutsche oper

Wandertheater der Ratlosigkeit

An der Berliner Deutschen Oper ringt Stefan Herheim mit Wagners „Ring“

von Friedrich Dieckmann

Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)

Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Musiktheater Deutsche Oper Berlin

Hundings Haus als eine Kofferburg: Nina Stemme als Brünnhilde in Stefan Herheims Inszenierung von Wagners „Ring“. Foto Bernd Uhlig
Hundings Haus als eine Kofferburg: Nina Stemme als Brünnhilde in Stefan Herheims Inszenierung von Wagners „Ring“.Foto: Bernd Uhlig

Die Flüchtlinge und der Flügel

Am Anfang jeder „Ring“-Inszenierung stehen die Fragen: Wer sind die Götter? Wer sind die Nibelungen? Was ist das Gold? Es sind diese drei Fragen, durch die sich das monströse, durchaus überkandidelte Opus des in Deutschland steckbrieflich gesuchten politischen Flüchtlings über seine musikalische Substanz hinaus rechtfertigt. Seit George Bernard Shaw nimmt man das Bühnenfestspiel symbolisch und tut es mit Recht: Es ist so gemeint. Es liegt auf der Hand: Die Götter sind die Exponenten der auf Ver­trägen, auf Rechtsverhältnissen beruhenden bürgerlich-feudalen Gesellschaft, die Nibelungen im Plural sind vordergründig Bergwerkssklaven und stehen hintergründig für das ausgebeutete Proletariat in seiner Gesamtheit, das Gold aber ist die Währungsbasis in den Tresoren der Banken. Alberich, der Nibelung im Singular, ist nach dem Ringraub Bergwerksbesitzer, Bankdirektor und – kraft des Tarnhelms – Sicherheitschef in einer Person.

Das ist auf unsere Zeit mühelos übertragbar, doch ist es Brauch geworden, alle diese Positionen aus der jeweiligen Zeit­situation neu zu besetzen. Patrice Chéreau hat das in Bayreuth anno 1976 getan, indem er die ursprüngliche Realbesetzung in ihrer Spannweite vom 19. bis tief ins 20. Jahrhundert kenntlich machte. Jürgen Flimm hat im Jahr 2000 ebendort den Bogen bis in die Gegenwart gespannt; Wotans Büro war...

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