Nachruf
Ein kluger Ermöglicher des kritischen Theaters
Dieter Görne, ab 1990 elf Jahre Intendant des Dresdner Staatsschauspiels, ist mit 86 Jahren gestorben
von Michael Bartsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)
Assoziationen: Sachsen Akteure Dieter Görne Staatsschauspiel Dresden
Schon einige Zeit vermisste man nach einer Premiere im Dresdner Staatsschauspiel die kurze Plauderei mit Dieter Görne. Wobei der ehemalige Intendant nie den besserwissenden Kritiker seiner Nachfolger spielte, sondern nur aus seiner erfahrenen Sicht Aspekte zum Stück beisteuerte. Mit seiner unverwechselbar knarrenden Stimme, die mit dem weichen sächsischen Idiom leicht kollidierte. Der 1936 in Heidenau bei Dresden Geborene legte es nie ab, und es gibt Sachsen wie ihn, bei denen hört man es gern.
Seit dem 4. Januar ist Dieter Görne nun verstummt. Auch offiziellen Nachrufen ist neben der Aufzählung von Fakten ein selten gewordener Hauch von Wärme anzumerken. Er wirkte eben wie ein ausgleichender Vater, suchte nie den Affront. Untypisch erscheint eine Erinnerung der Sächsischen Zeitung an eine der ersten „Dresdner Reden“ von 1992. Für Willy Brandt war es eine seiner letzten Reden, und der Intendant selbst warf hoch erregt einige Studenten aus dem Schauspielhaus, die gegen die Politik des ehemaligen Bundeskanzlers laut protestierten.
Bei seinen Entscheidungen konnte sich Dieter Görne auf eine solide germanistisch-kunsthistorische Ausbildung verlassen. Um die Namen Ernst Bloch und Hans Mayer, bei denen er in Leipzig ab 1953 studierte, muss man Dieter Görne postum noch beneiden. Solide klassische Bildung bot das Fundament für erste dramaturgische Engagements an den Theatern Anklam und Plauen und am Nationaltheater Weimar. Nicht von ungefähr übernahm er 1968 für sechs Jahre eine Arbeitsgruppe am Weimarer Goethe-Schiller-Archiv, die sämtliche an Goethe gerichtete Korrespondenz editierte. Seine Promotion 1971 in Jena befasste sich mit der „Faust”-Rezeption im sozialistischen Theater.
An Profil und Beliebtheit muss Görne schon als Chefdramaturg in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, gewonnen haben, bevor er 1984 in gleicher Funktion nach Dresden wechselte. In dem halben Jahrzehnt bis zum Herbstaufbruch 1989 erwarb sich das Dresdner Staatsschauspiel den Ruf des mutigsten und intelligent-kritischsten Theaters in der DDR. Der Chefdramaturg trug ebenso dazu bei wie Intendant Gerhard Wolfram oder die Regisseure Horst Schönemann, Klaus-Dieter Kirst und Wolfgang Engel.
Im Wiedervereinigungsjahr 1990 schlug dann die Stunde des Dieter Görne als Mann des Übergangs im besten Sinn. Es wird sein Verdienst bleiben, wie er diesen als verantwortlicher Intendant meisterte. Von gesellschaftlichen Umbrüchen und Existenzsorgen besetzt, besuchte das Publikum wie heute in Krisenphasen zögerlicher das Theater. Neue Themen drängten auf die Bühne. 25 Jahre vor der „Me-too“-Welle stand beispielsweise David Mamets „Oleanna“ auf dem Spielplan. Freie Theater und Boulevardbühnen gründeten sich. Von Konkurrenz aber wollte Dieter Görne nicht sprechen, eher von Ergänzung und Arbeitsteilung.
Zwei große Umbauphasen fielen in seine Amtszeit. Das Große Haus am Postplatz wurde wieder in den prächtigen Originalzustand von 1913 zurückversetzt, das Ensemble spielte währenddessen im Arena-Zirkuszelt. Ab 1999 stand die Komplettsanierung des Kleinen Hauses an. Als Ersatzspielstätte entfaltete die ehemalige Schütz-Kapelle des Schlosses ein eigenes Flair. Wie ein Abschiedsgeschenk für Dieter Görne mag 2001 die Nominierung der hier inszenierten Thalheimer-Adaption des Filmes „Das Fest“ gewirkt haben.
Ein Denkmal, leider nur ein vorübergehendes, setzte er sich bereits 1994 mit der Einrichtung des Theaters in der Fabrik TIF als risikofreudige Experimentierbühne, lange vor der „Baracke“ am Deutschen Theater Berlin.