Künstlerporträts
Verstecken und Fliehen
Die Kun-Oper zwischen Tradition und Avantgarde
von Ke Jun
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: China (12/2015)
Assoziationen: Musiktheater Asien Akteure
Im Frühling und im Sommer 2015 tourte ich mit meinen Aufführungen durch Europa. Im Mai nahm ich an den KunstFestSpielen in Hannover teil. Zahlreiche Theatermacher aus verschiedenen Ländern kamen nach Hannover und sahen unsere Produktion „Nachtflucht“, die ich gemeinsam mit dem berühmten Hongkonger Regisseur Danny Yung entwickelt hatte. Im Juni und Juli begleitete ich als künstlerischer Leiter der Jiangsu Performing Arts Group die Oper „Fluss des Schicksals“ (Yun zhi he) bei ihren Aufführungen in der Schweiz, in Belgien und Italien. An dieser Produktion sind zweihundert Menschen beteiligt, die Reaktionen waren begeistert. Osten, Westen, Tradition, Avantgarde, Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich in einem Raum.
In einem kleinen Theater gegenüber vom Piccolo Teatro in Mailand wurde zur gleichen Zeit eine experimentelle Pekingoper der Shanghaier Theaterakademie aufgeführt, dort traf ich zahlreiche mir bekannte Lehrer und Studenten. Ein mir bis dahin nicht bekannter Professor namens William Sun meinte zu mir: „Du heißt Ke Jun, ich kenne dich! An der Shanghaier Theaterakademie habe ich dein experimentelles Stück ‚Nachtflucht‘ gesehen. Um ehrlich zu sein, ich bin gegen diese Art der Darstellung!“ Diese direkte Aussage des Professors verblüffte mich, doch er fuhr fort und fragte mich streng: „Warum manipuliert man traditionelle chinesische Kunst durch westliche Theaterkonzepte, du...