Stück
karpatenflecken
von Thomas Perle
Erschienen in: Theater der Zeit: Frank Castorf – „Wallenstein“ in Dresden (06/2022)
Assoziationen: Europa Sprechtheater Dramatik Deutsches Theater (Berlin)
figuren
der wald / kolonist / der rumäne
der berg / kolonist / ein arbeiter
die mutter / kolonistin / die fremde / die tante
die tochter / die enkelin / kolonistin
greti / margarethe / margit / margareta, die großmutter
der name der figur variiert je nach politischer lage / besatzungsmacht / ort.
//
sprachen
manche figuren sprechen rumänisch und/oder ungarisch.
mit diesen sprachen soll frei und kunstvoll
umgegangen werden. muttersprachler nicht
ausdrücklich gewünscht. ebenso wird zipserisch/wischaudeutsch gesprochen. ein altösterreichischer dialekt, der durch seinen oralen charakter von sich aus schon wandelbar ist.
mit ihm soll als kunstsprache umgegangen werden.
prolog.
ein land nach uns. nach unserer zeit.
nichts. da nichts mehr. wo einst. menschen. stimmen. sprache. sprachen.
nichts mehr da. verschwunden alles. am wurzelort.
reste noch. vielleicht noch reste irgendwo. reste von
von stein. von holz. häusern. vielleicht irgendwo.
vergraben. versteckt. noch.
ja. vielleicht. muss vielleicht nur ein wenig genauer.
suchen dort im satten grün.
im sommer. dort unten im tal. genauer schauen. dort unten. im tal.
der wald schau
der berg wo?
der wald na schau doch
genau
dort.
der berg wo?
wo soll ich denn hin
der wald schau!
dort unten
dein fuß
schau dort an deinem fuß
der berg meinen fuß anschauen?
der wald deinen fuß. ja.
da.
der berg hier?
der wald ja.
genau
da
siehst du es?
der berg was soll ich denn
was soll ich da
sehn?
der wald na da
noch reste
da an einem fuß.
kannst du sie?
der berg kann nichts.
seh’ da nichts.
der wald ganz klein sieht man
da
an deinem fuß
noch was.
ich kann es noch
erkennen.
erinnerst du dich?
erinnerst dich?
der berg an was erinnern jetzt?
was hast du auf einmal?
heut bist aber sehr
auf einmal
der wald was?
auf einmal
was bin ich heut?
was?
der berg jetzt schrei nicht gleich
werd mir nicht gleich so
nervös!
der wald närveeß.
der berg was?
der wald erinnerst dich nicht mehr?
der berg an wås?
der wald da!
der berg wås?
der wald ha! es ist was da
etwas ist noch da
ißt pliebn.
der berg übrig
noch
ßichär.
jå.
awåß.
lachen.
der wald war doch schön
nicht?
schweigen.
der wald wie lang ist das jetzt?
der berg lang.
lang ist’s
der wald lang.
schweigen.
der wald wie lang genau?
der berg ein stückchen bin ich
gewachsen
seither.
so viel gewachsen seither.
zeigt, wie viel er gewachsen seither.
der wald so viel?
wirklich?
so viel
gewachsenseither?
das ist
der berg eine zeit
eine zeit vergangen ja
der wald verrückt
der berg grinst. farruckt.
der wald grinst. farruckt.
vermiss’ sie schon
ein wenig
schon
vermiss’ ich sie.
der berg du?
echt?
du
vermisst sie?
du?!
der wald ja.
wieso du?!
wieso betonst das
du
so?
du!
ja du! so
wieso?
der berg du vermisst sie?
du?
obwohl
sie
dich
so behandelt?
so schlecht behandelt
dann
am ende dann?
der wald ja.
komisch
nicht?
schon seltsam.
meinst, sie kommen wieder?
irgendwann?
der berg glaub nicht.
glaub ich nicht.
glaub die haben sich jetzt
endgültig glaube ich.
glaube das war der schluss.
glaub die gibt es gar nicht mehr.
der wald allgemein?
meinst im allgemeinen, dass sie
der berg weg?
ja.
ganz im allgemeinen glaub’ ich
dass sie alle weg
verschwunden
überall.
sich gegenseitig
der wald nein!
das glaub ich nicht.
ich glaub das nicht.
die können doch nicht!
der berg hast doch gesehen, was sie
der wald mit denen
ihresgleichen
gemacht?
ja.
das hab ich.
der berg wozu sie imstande.
der wald ja.
schweigen.
der wald weiß auch nicht, warum ich jetzt an sie
warum ich plötzlich denk an sie
ganz plötzlich.
weil ich da an deinem fuß etwas entdeckt
der berg da ist nichts
rein gar nichts
da
an meinem fuß.
der wald doch schau.
da.
der berg nichts
da
ist nichts da.
der wald jetzt stell dich nicht so an
und schau genau.
jetzt schau da mal genau.
da ist etwas von ihnen
der berg parasiten!
der wald bitte?
der berg parasiten hab ich gesagt!
waren schon sehr parasitisch
der wald parasitär.
sagt man
kenn mich gut
sehr gut
aus
mit parasiten.
mein holz sie mir immer genommen.
am anfang noch wenig.
aber dann immer mehr und mehr
und mehr und mehr
und mehr und mehr
und mehr und mehr und
der berg hab schon verstanden.
der wald mehr und mehr und mehr
der berg jaha!
der wald selbst als sie selbst immer weniger
immer weniger parasiten
trotzdem immer mehr holz
immer mehr und mehr und mehr
und mehr
der berg hab’s verstanden!
der wald und mehr. und mehr. und mehr
der berg ich hab schon
der wald bis fast nichts mehr da.
schweigen.
der berg kannst dich glücklich schätzen
dass die zeit
der wald kann mich glücklich, dass die zeit
da hast du recht.
schweigen.
der wald ach.
bin ganz froh, dass die jetzt weg.
tut mir leid
der berg was tut dir?
der wald das erinnern.
tut mir leid für die erinnerung.
ich mach’ am fuß dir das weg.
schau.
so.
wieder weg.
alles weg
weg wie sie.
chor der frauen I.
♪
dort oben
dort oben
an der himmlischen tür
steht eine arme seele
schaut traurig herfür.
die großmutter immer schon ein altes weib.
greti ich bin ein altes weib.
die enkelin bist zwanzig.
greti sag ich ja. ein altes weib bin ich.
die enkelin oma
wieso bist noch nicht
greti varheiralt? warum ich nit varheiralt?
kibt ka mensch.
die enkelin keinen menschen.
greti ka mensch.
ka teitscher månn
tå im tål.
die enkelin kein deutscher mann hier im tal.
greti wie ßind kummen tie hitleristen
die enkelin als das horthyregime hier
greti ter hitler wår jå weit weit wék.
die enkelin weit weit weg.
greti amol is kummen anär
die enkelin kam einmal einer
greti håt er tie hånt aßo hinauf
aßo hinauf
die enkelin der seine hand so
greti inni luft aßo
die enkelin in die luft so
greti inni heeh
die enkelin in die höhe
greti weißt
die enkelin jå.
greti wie tie hitleristen aßo.
håb ich ihm ång’schaut
håt er mich ång’schaut
ßoll ich auch aßo hebn tie hånt.
greti, wås iß mit tir?
heeb tie hånt.
ßo håt er ksågt.
die enkelin und?
greti ich
ich håb nit k’hobn!
die enkelin die hand die hob ich nicht wie er.
nein.
meine hand blieb unten.
greti håb ich ihm zum fondi kschickt.
die enkelin zum teufel hab ich ihn gejagt.
greti noch forn krieg wår tås.
die enkelin das war noch vor dem krieg.
der hitler dann ja alle deutschen
greti tie scheenen pubn
ålli in krieg hat er k’schickt.
ter teivel.
ich wår ka hitleristin nit.
ich nit.
nor a romener.
oder a rußnak!
na!
a romener
a walåch
heiral ich nit!
ich pin a teitschi ßeel.
våterland
die enkelin mit zwanzig ich ein altes weib.
wer hätt’ mich
wer hätte mich
schon heiraten
sollen?
sag du
mir.
wer?
alle burschen
die deutschen burschen im krieg gefallen.
wegen dem hitler
vaterland.
fürs vaterland.
wo war das vaterland für uns?
sag!
deutschland unser vaterland auf einmal?
hier
das
greti tås
schau tort.
ßiekst in perg tort?
tås is mein våterlånd.
und schau
tort.
oben
ter wåld.
tås mein våterlånd.
die enkelin meine seele ist mein vaterland.
mir doch wurscht
ob das ein ungar
das ein jude
ein ruthene.
greti nor a romener
a walåch
die enkelin nur einen rumänen
einen walachen
heirate ich sicher nicht!
einen rumänen
sicher
nicht.
alle sie das blut gesehen. ausgeblutet dann das deutsch.
in jenem jahr. in dem alles anders. weil der krieg. ein kalter diesmal. zu ende.
eine mauer. die mauer. gefallen.
und in diesem land. in diesem armen land. am wurzelort. eine revolution.
im fernseher die lebensgenossen tot.
vor den fernsehern, den televizoren, das ganze land. in die röhren schaut.
die mutter ich schau
und glaub nicht.
kann nicht.
incredibil.
extraordinar.
mir durch den kopf.
die dauerwelle
schüttle ich
und kann nicht glauben
was da
atme nicht.
atmet keiner
niemand hier.
jeder hält die luft
im ersten moment
hält jeder die luft
an.
diese puppen
die glotzen
diese glotzenden
puppen.
marionetten
leichen.
zeigen uns da leichen.
leichen
da
im televizor.
mit meinen augen schau ich
und halt meiner tochter die augen nicht
kann meiner tochter die augen nicht
zu
halten.
schüttle nur die dauerwelle
die auf meinem kopf
der ganz leer
und nicht weiß, was er denken soll.
freu ich mich?
ich weiß es nicht.
kann nicht sagen, ob das freude.
mir jetzt freuden
tränen
die wange
herunter.
glaube nicht, dass das freuden
aber wissen tue ich es nicht.
kann nicht wegschauen.
um mich herum jubeln sie
bejubeln sie den tod.
ich versteh’ das nicht.
die tochter und schaute nur noch auf meine mutter
die ungläubig da
in die röhre
stumm.
weiß nicht, ob das freude
muss
musste
musste doch
freude!
das ganze land freute sich doch
über diese beiden leichen
da im fernseher.
sie sich doch alle gefreut.
der diktator und seine frau
geflüchtet.geflüchtet
gefunden
tot.
sie
vor allem sie
seine frau sollte tot.
am meisten freuten wir uns
darüber, dass sie da tot.
sie. ja. sie sollte tot.
konnte ruhig tot.
er hingegen hätte ruhig noch
leben
ein wenig.
oder?
die mutter dieser prozess
was war das für
die tochter der lächerliche prozess
den sie
schnell schnell
lächerlich.
tot musste er
tot musste sie
die größte wissenschaftlerin im land
unsere aller mutter.
auch ich hasste sie. schon als kind. ja.
das hatte ich von meiner mutter gelernt.
ein wenig gejubelt meine mutter
als der lebensgenossin die hände gebunden.
und das goldene armband im fernsehen in großaufnahme.
als sie geschrien. ihre kinder
angeschrien
da die freude groß.
die mutter das ist also der moment
auf den wir alle
auf den wir alle sehnsüchtig.
haben wir uns das so gewünscht?
mal ehrlich
haben wir es uns so gewünscht?
nach all den jahren
schnell schnell
und schüsse in die knie
und tot in die kamera
pfui.
die tochter pfui.
// die mutter pfui.
die tochter und ging dann aus dem zimmer
weinend aus dem zimmer.
seh’ sie vor mir im garten stehen
unter dem nussbaum dort
im garten
stehen.
still.
am nächsten tag dann
packte sie.
sollt euch eine heimat machen.
die kaiserin befahl „mit dem waldwesen vertraut. im bau von holzriesen, schleusen, rechen und klausen. im holzwirtschaftlichen betrieb geschult. eyn gar wildes thal erschließen“.
schickte volksgut fort.
die kolonisten wir packen
packen
unsere sieben
sachen.
in ischl.
in gmunden.
in ebensee.
ob der enns.
in tirol.
in der steiermark.
wir
die ersten kolonisten.
gen osten!
gen osten!
wandern
wandern
wandern
aus
in diesem großen
großen reich.
schau wie kroß!
ter traunsee.
mit dem schiff darüber
schau tie fisch!
auf der donau.
der donau entlang.
vier tage
bis nach wien.
wien! wien!
tå schau wie scheen!
aßo scheen
ßo scheen!
fui. ß’ a schiechi stådt!
und weiter
weiter
sechs tage weiter.
pescht!
schau schau
tie donau!
wie scheen!
aßo scheen
ßo scheen!
fui. ß’ a schiechi stådt!
in ’n wåld! in ’n wåld!
weitär! weitär!
auf fuhrwerken weiter
immer weiter
weiter
weiter.
weitär.
weitär.
immär weitär
richtung marmarosch!
und heimat machen!
pagus vissó circa annum MDCCLXX primos accepit colonos germanos ex austria.
im jahre 1770 circa kamen die ersten deutschen kolonisten aus österreich hier an.
die kolonisten was ist das
hier?
was soll das
hier?
kein brot.
kein brot.
ka prot!
ka prot!
die wahre noth!
in den westen.
1990.
die tochter im neuen jahr ließ ich die uniform
die schuluniform meine
blieb im schrank.
mama sagte
die müsse ich nicht mehr
die mutter musst nit.
die tochter zur schule gehen soll ich
ja
die mutter jå
die tochter zur schule gehen
noch.
die mutter kånnst
die tochter kann ich
muss ich
aber nicht mehr lang.
die ersten bänke waren leer
schon am ersten tag im neuen jahr.
lächelte der diktator an der wand
nicht mehr
war verschwunden.
sollten jetzt das lineal in die hand
und die füller.
durchstreichen!
fingen an
durchzustreichen
die propaganda aus den schulbüchern.
verschwinden lassen
zeile für zeile.
auch erste freundinnen waren verschwunden.
zwischen flüssen.
1790.
die kolonisten wir heimatlosen
fremdlinge
auf diesem flecken erde
hier
am rande der welt
am rande der monarchie
machten uns
schafften uns
einen
unseren
neuen
wurzelort.
in diesem tal
hier.
schau wie scheen.
aßo scheen.
ter wåld.
tie luft.
tås wåßär
die luft so gut.
wir trauern nicht
um die alte heimat
alte heimat
trauern wir
nicht.
eine kolonistin ich wein ein bisschen
ein kolonist ich auch
nur mein wein
ist der schnaps.
die kolonisten die sprache
eine kolonistin språch!
ein kolonist pahålt-mer ßich.
die kolonisten erhalten wir
uns stolz.
und machen
schöne
blonde
kinder.
bauen häuser
ein kolonist zimmär!
die kolonisten unsere zimmer
die
bauen wir in einer reihe
ordentlich.
mit einer stubn
und einer kuchl.
jenseits hier
im jenseits der wälder
wo nachts die wölfe heulen
eine kolonistin und kummän tir pis vorn fenster
tie welf!
ein kolonist jå!
die kolonisten bis vors fenster kommen sie nachts
die wölfe.
im winter
wenn oben
oben dort im wald
nichts mehr zu fressen
eine kolonistin fressnt unseri kinder!
ein kolonist tie blondn scheenän.
die kolonisten spielen viele blonde kinder
jetzt
auf unseren gassen
die morastig
ungangbar
wenn es regnet.
bloßfußig rennen sie da
zwischen unseren höfen.
arm sind wir
doch kinderreich.
die kolonisten zwischen
unseren gärten
die wir bewirtschaften.
das gehört uns.
eine kolonistin unseri fisolen tås!
die kolonisten das ist unser.
was wir wirtschaften
zum fressen
für uns.
unsere höfe
die wir fegen
sauber
ordentlich
eine kolonistin teitsch.
die kolonisten und singen
singen
singen
deutsche volkslieder
erklingen
von dort
von da
und dort.
und wem wir begegnen
dem rufen wir
fröhlich
grüßgott
ein kolonist krießkott!
die kolonisten zu.
tardius supervenerunt germani et slavi e scepusio. später noch anderes deutsches volk und slawen hier ins tal gewandert.
die kolonisten moment moment
wer kommt denn
wer kommt
von dort?
schaut’s
tort!
eine kolonistin schaut’s tort!
wär ßeits eeß?
die kolonisten wer seid ihr?
ein kolonist kommen andere
schau da
von dort
von anderswo
die kolonisten kommen noch mehr
angesiedelt
hier.
und sprechen
ja was
sprecht ihr?
welche sprache ihr?
deutsch
teitsch
wie wir?
nein.
ihr seid fremd
eine kolonistin fremdi ßeids!
wék! keht’s wék!
wék wék
fun tå!
die kolonisten weg von hier.
baut woanders eure reihen!
das hier unsere heimat
jetzt!
deutschland dann heimat aller deutschen. nach dem krieg. nach ihrer ausreise sitzt die großmutter dem deutschen beamten gegenüber.
margarethe ßind wir aus siebenbürgen.
und tort wu haben sich unseri vorfahren angesiedelt
aus eesterreich
ßind kommen deutsches volk
auch von anderscht
heute slowakei. ein paar aus polen
galizien.
die habent ßich nicht vermengt.
teitsches volk und teitsches volk
af tie goschn habnt ßich gebn.
die kolonisten af tie goschn!
af tie goschn
kriegts!
alte wunden gerissen wie grenzen.
der schiedsspruch gesprochen. der zweite. im fernen wien. weit weg von hier.
am wurzelort es sommer. in der nacht die herbstluft kalt und frisch schon durch die blätter weht. am 30. august 1940.
schranken werden aufgetan. soldaten marschieren. marschieren ein im wurzelort.
margit wie ßind kummen die madjoren
die enkelin als die ungarn
kamen
margit wår ßummär.
die enkelin war sommer.
margit håb ich k’årbeit’ af tie póduri oben k’maht tås gråß
die enkelin habe ich oben auf der póduri
dem plateau
das gras gemäht.
margit håm-mer k’håbt tie teitschi schul wår-mer jå teitsches volk
nit?
wår-mer teitsches volk.
ich håb ßähr kud håb ich k’lernt.
ßähr ßähr kud.
die enkelin ich ging auf die deutsche schule
waren ja deutsches volk
nicht?
margit nor wie ßind kummen tie madjoren
war nix mähr teitsch.
auf amol wår tås dorf voll mit
tschendern.
die enkelin schändern.
gendarmen
mit ihren pfeilkreuzen
die nyilaschen.
die ungarische miliz.
margit ålles af amol nor madjorisch
herst?
jeder kuhtreeck håt missn ßein madjorisch!
die enkelin jeder kuhdreck musste ungarisch auf einmal.
damals lebten vielleicht fünfzig ungarn
hier
im dorf.
ein dorf
mit ein paar tausend seelen.
der rest
margit teitsches volk
die enkelin deutsche
rumänen
margit walåchn
zigeinern
die enkelin roma
margit rußnaken
die enkelin ruthenen
margit polackn
die enkelin polen
margit auch armenär
die enkelin armenier
margit und tie judn
die enkelin juden.
margit und ßind kummen
tie feinen madjoren.
ßich auszeigt af tie gåssn.
madjorisieren håbnt wolln ålläs.
und tås teitschi volk ißt wordn madjorisch.
margit håbnt mich kmåcht.
meini schwester erika ißt wordn a ildikó.
aufpassen håst missn.
wånn håbn tich k’härt reden teitsch
inni schul
håst kriegt
håst kriegt af die goschn
håst kriegt.
oder håb’n tich zogen pan tie håårn ieberm ohr.
tå.
zieht die enkelin an den haaren über dem ohr.
die enkelin au!
margit aßo håb’n tich zogen.
ich lern tich awåß.
loos mich.
die enkelin ich bring dir etwas bei.
hör mir gut zu.
margit loos här!
die enkelin die ungarn
die magyaren gingen ganz herrschaftlich
herrschaftlich und fein gekleidet in ihren uniformen
auf den gassen. hielten sich für besser.
auf der straße hast dich nicht mehr getraut zu reden
und auch im haus hattest du angst.
ständig diese angst.
die deutsche schule haben sie zugesperrt.
alle namen sie geändert.
alles nur noch ungarisch.
doch trotz allem magyarisieren
gab es im ganzen tal nur stinkiges volk
margit stinkertes volk
die enkelin plötzlich
fing es zu stinken an
im tal.
wenn ein ungar
auf der gasse
hast du nur gehört
margit büdös czipszer.
die enkelin stinkender zipser.
margit büdös olah.
die enkelin stinkender rumäne.
margit büdös zsidó
büdös czigány
büdös.
die enkelin büdös.
margit büdösch.
die enkelin büdösch.
// margit büdösch.
margit büdösch
büdösch büdösch
büdösch büdösch
büdösch
büdösch
büdösch
büdösch
büdösch
büdösch
büdösch.
der wald gefällt. gefällt. gefällt.
baum fällt!
baum fällt
fällt
fällt.
baum fällt!
fällt
fällt.
baum fällt!
fällt
fällt.
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen.
fällt
fällt
fällt.
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen.
fällt
fällt
fällt!
baum fällt!
fällt
fällt.
baum fällt!
fällt
fällt.
baum fällt!
baum fällt!
baum fällt!
feld.
feld.
feld.
baum fällt!
fällt
fällt.
baum fällt!
fällt
fällt.
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen.
ein alois
auf dem karren
tot
tot ins tal
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen.
ein alfred
auf dem karren
tot
tot ins tal
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen.
ter bubi!
auf dem karren
tot
tot ins tal
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen!
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen!
und fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen!
fallen die bomben
fallen die burschen
fallen die bomben
fallen die burschen
fallen die bäume
fallen die bäume
fallen die bäume
fallen die bomben
fallen die burschen
fallen die bäume.
still.
shabbat ausgelöscht das licht für immer.
auf der póduri. ein bergplateau mit feldern. wo kartoffeln. wo mais.
dort die großmutter krumm auf dem krummbirnfeld. in der zeit nach dem krieg.
die mutter im bauch noch ungeboren drückt auf die blase.
die großmutter hackt. wühlt erde auf. so kommen sie zum vorschein die knollen. gegen den hunger den ewigen. den man gelitten. so gelitten auf der flucht.
am feld vorbei fährt ein auto. weiß. glänzt in der sonne, die herbstlich schon.
wühlt den staub auf. der wirbelt in der luft.
greti nå tå schau här.
sie folgt dem auto. will wissen wer das ist. wem das schöne auto gehört. mit fremdem kennzeichen. bleibt dort stehen, wo niemand sonst mehr stehen bleibt.
greti und steigt aus a scheenes weib. kånz ellegánsch
im weißn måntl.
und schau ich wie keeht ßie zun tie grébär.
und ßieg ich ßes wie legt ßie a staan af a gråb.
und wie kummt ßie zuruck mit sunnänglésär af tie augn
macht sie aßo
die fremde winkt. na komm schon
komm!
kumm
greti freindlich
die fremde glück sollst haben
mehr als ich.
mit deinem kind.
siehst dort das grab
dort?
liegt mein vater.
der hatte noch ein glück.
starb früh
zu seinem glück
achtundreißig.
für meine mutter gibt’s kein grab.
die war zu alt
fürs arbeiten zu
alt
für sie.
auch kein grab für meinen mann
keine gräber für meine beiden söhne.
weiß nicht einmal in welche richtung der wind
ihre asche geblasen.
greti und meini goschn weiß nit wås zun ßågn.
die fremde brauchst nichts sagen.
sitz ein bisschen
sitz nur ein wenig hier mit mir.
sitz.
und lausch dem wind.
schweigen. sie lauschen.
hörst ihn?
auch du
ihr
werdet einmal weg von hier
verschwunden sein
wie wir.
greti und ich fång zun låchn ån.
und ßåg ich ihr uns ßamer kaam zuruck kummen vun fliecht.
werd-mer nimmär weg fun tå.
die fremde schweigt. drückt der großmutter eine schokolade in die hand.
die schaut verwundert und bleibt zurück im staub.
westen.
1990.
die tochter geh dorthin zurück woher du gekommen!
geh dorthin zurück!
zurück zurück!
geh dorthin
dorthin zurück
mit dir!
denke mir
ich bin
doch
von hier
bin ich doch.
teitsch
in deutschland.
ist nicht dasselbe.
wollen helfen bei den blühenden landschaften
herr kohl!
tauschten einen bauern gegen dicken kohl.
meine mutter geht jetzt fleißig arbeiten
steht am fließband jetzt.
und putzt
nebenbei putzen wir.
das diplom meines vaters haben sie anerkannt
zum glück!
was für ein glück wir haben.
das diplom kann er sich jetzt anschauen der vater
zuhause
spätabends
nach seiner schicht.
auch er sortiert im lager pappkartons.
wir bleiben.
ich gehe sicher nicht mehr zurück!
osten.
am wurzelort die brücken wieder aufgebaut. in den fenstern wieder scheiben.
in dem dorf es wieder menschen, die zurück. und vergessen wollen.
das elend. den krieg. das flüchten. die großmutter ist auf unterhaltung. auf einer hochzeit. ein rumäne hat ein auge auf sie geworfen.
die enkelin und kamen zurück.
wollten nicht in der fremde
fremde
wollten nicht dort
ihr leben
kamen zurück
margareta zuruck zahaus
und fargessn.
die enkelin und tanzt die großmutter
und dreht sich
tanzt und vergisst.
vergisst nicht
wird nie vergessen
ihr lebtag wird sie alles in sich
wie alle
wird sie alles in sich
doch für einen augenblick
da
schaut sie
sieht den gendarmen
in seiner uniform
dort stehen.
der schaut
sie an
margareta liebe.
auf den ersten blick
tie liebe.
die enkelin wirklich?
margareta jå.
die enkelin und schaut verliebt sie an
macht ihr
der großmutter
der jungen frau
schöne augen.
margareta und kummt er zun mir
der rumäne tu cine ești?
die enkelin fragt die großmutter wer sie
margareta margareta.
die enkelin und verlieben sich an ort und stelle.
margareta und heiral ich toch a walåch.
die enkelin und heiratet
doch
die großmutter
einen rumänen
den großvater.
der rumäne kauft ein haus.
der rumäne sucht ein haus für sich und seine frau und bald familie.
sucht in einer straße. findet viele häuser leer. kauft sich eins davon.
niemand spricht warum die häuser leer. darüber hat das volk zu schweigen in der rumänischen volksrepublik.
der rumäne versucht eine dicke mauer einzureißen und flucht
dumnezeu
ce dracu’?
să-mi bag picioru’
rahat cu praf în pizdă
die enkelin pschsch!
zum teufel was für eine scheiße und so weiter mutterfotze
der rumäne la naiba
ce dracu’
ce-i asta?
die enkelin fragt den teufel was zum teufel das
ein arbeiter asta a fost casă de jidani
jidani au stat aici
înainte de război
die enkelin ein judenhaus das einst
hier juden gewohnt vor dem krieg
antwortet der arbeiter
der rumäne niciodată!
taci din gură!
die enkelin und flucht den arbeiter an.
der rumäne aici niciodată jidani
die enkelin hier niemals es juden
an diesem ort es
der rumäne numai nemți și români
die enkelin nur rumänen und deutsche
ein paar
der rumäne în rest nimeni!
die enkelin sonst niemand
hier!
hinter den bergen donner.
oktober 1944.
greti unß håm-mer kut k’lebt
zusammen
ålleß volk.
die enkelin wir lebten sehr gut zusammen
greti ålleß volk.
jeder håt ßich schaut ßoll ßeini årbeit måchn.
a jeder håt k’håbt ßein feiertåg.
reschpektiert
håm-mer ßich uns.
die enkelin hatten
respekt voreinander.
sprachen alle mindestens zwei sprachen
greti trei språch
a jeder
die enkelin mindestens zwei.
selbst ein einfacher holzarbeiter musste
wusste
mehrere sprachen.
greti kosmopoliten
die enkelin ein internationales
dorf
greti und wårent jå auch vieli judn in ort.
trei sinagoganer wårnt.
nor wie ßind kummen tie ungarn tie magyaren
håm-ment wegfiert tie leit.
af årbeit. ßo håmment k’ßågt.
erscht kroßi stårki jidische ménnär.
tåß zweiti mol ålli leit.
die enkelin beim zweiten transport haben sie gesagt
die familien würden zusammengeführt.
so haben sie gesagt.
die enkelin
//greti zusammenführung.
greti ålli weibern. ålli kindern. ålli åltn.
ålles jidischi volk
håmment zåmmklaubt
vun ieberåll
und eink’sperrt tort.
vun shtetl håmment k’måcht a ghetto.
ßo wår tåß.
tåß kånnst toch nit fargessn.
håmment tie leit låssn farhungern.
meini mutter ißt kången
a couragierti
kången tort zun zaun
mit a labl prot und a liter milich.
kébn fer die årmen leit.
tås erschti mol håt er ßes noch klåssn
ter ßoldåt
tås zweiti mol håt er kschrien
nem szabad!
greti ßie terf tåß nit måchn.
wånn noch amol kummt ßie
ßo werd er ßes auch hinein tort
tort hintern zaun.
die enkelin und nåchtän?
greti einwaggoniert tie leit und wék.
die enkelin dann kam der donner
greti ßo a tunnär hinter tie pergär.
ter ruß
håm-mer kwusst
kummt
ter ruß.
werd ich nit sterben
ná
die enkelin und dachte als junges mädchen
fünfzehn war ich
werd noch nicht
sagte mir
greti greti
ná
marl
tu
ich
sterb noch nit.
die enkelin der mensch hält mehr aus als er denkt.
hinter den bergen fing es zu donnern an
und die hitleristen
deutsche soldaten jetzt
gingen durch die gassen. sachen packen!
schnell
schnell!
der russe kommt!
greti ter ruß!
ter ruß!
die enkelin half meiner mutter noch
das geschirr zu zerbrechen.
einen teller nach dem anderen.
unser vieh freigelassen
greti tie viecher unseri
schweiner, kieh, huntn
ålles
und unß
die enkelin schaute meine kleinen schwestern an
zwei kleine mädchen
vier und zwei
greti unß teitsches volk jetzt
einwaggoniert.
die enkelin alles deutsche jetzt evakuiert.
in den westen evakuiert.
ich packte meine berge mir ins herz
nahm meine karpaten mit.
und fuhren so
und fuhren so
tagelang.
am anfang noch als deutsches volk
greti af polen.
in polen pin ich ståndn nackert.
die enkelin wås?
greti tås håb ich ter niemols nit tarzehlt.
die enkelin still.
stand nackt neben der mutter
mit den beiden schwestern
eine links
eine rechts
greti ich sterb noch nit
die enkelin in polen stand ich nackt
bei den duschen stand ich nackt.
zwischen all den anderen frauen
standen wir dort
und froren
warteten
greti tie språch
unseri språch
die enkelin unsere sprache ähnlich
jener
greti farwechsalt.
die enkelin und vor der türe dort
diskutierten sie.
wir standen und warteten
dann gingen die türen auf.
greti af tie popiern håbnt ksegn.
die enkelin in unseren dokumenten
deutsche vertriebene
rumänische
flüchtlinge
auf dem weg nach nirgendwo
flüchtig auf der flucht
für immer gegangen.
greti håm-mer tenkt unß keh-mer ewig unß
ewig unß wék fun tiesi welt.
die enkelin dachte ich sehe meine berge
meinen wald nie wieder.
von einem lager in ein anderes.
am ende des krieges
verstummte unser deutsch
sprachen ungarisch
wurden rumänen
greti romener
håm-mer mißn ßein
unß
romener.
unß teitsches volk.
die enkelin die menschen hatten einen solchen hass
auf alles deutsche einen
die enkelin großen hass.
//greti kroßi gål.
greti nå wåß machst? inni fremdn?
wu? wu ißt tein ort?
ßeimer zuruck.
chor der frauen II.
♪
arme seele
arme seele
komm zu mir herein.
denn da werden deine kleider
ja alle so rein.
so rein und so
weiß
so weiß wie der schnee.
und so wollen wir miteinander
ins himmelreich gehn.
bitte ankreuzen. bekennen sie sich zum deutschtum?
die wende machte grenzen auf. und viele dort am wurzelort packten.
packten die kinder ein. packten für die kinder ihre sachen.
schnell schnell. nicht zu spät sein. pünktlich sein. noch rechtzeitig hinaus, bevor die grenzen wieder dicht.
die enkelin bekamen papiere
die großmutter und die mutter.
sie
schrieben
kreuzten an
standen schlange
saßen beamten gegenüber.
margarethe ich bekenn mich
ja
zum deutschtum
ja.
zahaus nor teitsch
nur deutsch
zuhause
wir deutsch g’sprochn
deutsch gesprochen
und deutsche bräuche
teitsches volk
deutsch.
jå
ja.
die enkelin wir packten
unsere sachen
mama packte
unsere sachen
und fuhren durch unseren wald
in der roten dacia
serpetinen
in den westen.
vollbepackt
mit geschirr dem guten
samt mamas porzellanfiguren.
bluteten
das land
aus.
flossen in den westen.
standen schlange dort
für die neue staatsbürgerschaft.
margarethe sind deutsch
ja.
teitschi
sagen wir.
die enkelin österreich ja eigentlich
margarethe alles deutschland
einmal
nicht?
lacht.
da schaut er beeß
mich an
der beamte.
und drückt mir den vertriebenenausweis in die händ’.
die mutter ich bekenne mich zum deutschtum ja
doch mein herz
das blutet
rumänisch
noch.
die mutter wir sind
margarethe angekommen
die enkelin ich noch nicht.
und sollt’ doch.
nicht?
so war doch euer plan.
nicht?
für mich
uns kinder
seid ihr doch
weg.
für uns.
ich bin nicht angekommen.
bin noch nicht angekommen.
margarethe wie ich pin kummen af teitschlånd
die enkelin meine großmutter hat erzählt,
dass sie unter einem tisch schlafen musste
als sie in deutschland angekommen.
margarethe tortn wår mein plåtz
untern tisch
håb ich missn schlåfn.
die enkelin hatte ein halbes jahr dort unter dem tisch
die großmutter.
hatte geld gespart.
arbeit gefunden
und gespart.
auf einer matratze unterm tisch geschlafen.
margarethe fer énk.
die enkelin für uns
hatte sie gesagt.
hatte schon schlimmeres erlebt.
margarethe außer haus red-mer hochteitsch jetzt!
die enkelin den osten
hörten sie
auf meiner zunge.
lachten.
sah den ostblock mir an.
die karpaten wie flecken auf meiner haut
ließen sich nicht weg
ostblock
ostblock
ostblock
die mutter jogging
ziehst den jogginganzug an.
so kleidet man sich hier.
die tochter und zog den jogginganzug an ich
den pinken
und föhnte meinen pony rund.
und war plötzlich in diesem land
von dem ich immer geträumt.
flimmern.
die tochter schau mir die mutter
schau meine mutter
ganz genau
mir ganz genau
ohne scham
an.
wie sie dort sitzt
und starrt.
ihr starrer blick
in den kasten
der rumänisch spricht
die ganze zeit.
und leben jetzt seit
fünfundzwanzig?
ja
fünfundzwanzig jahren
hier.
kmen an
hier.
mt dem auto
an.
das flimmern bringt sie dorthin zurück
woher wir weg.
in ihrem kopf
sie wieder drüben
dort.
lebt mehr im drüben
als im hier.
im kopf.
ihr herz hat sie dort als pfand gelassen.
darum sind wir jedes jahr zurück.
greti wie tie storchn. wer amol trinkt tås wåsser vun tortn
kummt immär zuruck
auch fremdi, wåß ßind kummen
håmänd aßo ksågt.
die tochter dort sie es sich wieder in die brust gesteckt
und frei geatmet
immer ein wenig freier und glücklicher
geatmet dort.
greti uns wår-mer tie erschtn mit a televizor inni gåssn.
die tochter wir waren die ersten mit fernseher in der gasse.
wenn ich als kind den fernseher an
tanzten ameisen im schnee
ganz schnell.
nur zwei stunden am tag
gab es programm.
am abend.
ein bisschen kommunistische propaganda
danach dallas.
der fernseher ging aus
das licht ging aus
die heizung ging aus.
lebten in einem sparsamen land.
unser diktator hatte einen plan.
damals sagte man noch ganz offen
sagte man diktator
dictatoru’.
ceauşescu nannte sich conducător.
führer.
greti ich auf meini åltn teeg håb ßo vieli diktatorn tarlebt
die tochter im fernseher lächelt ceauşescu
meine mutter lächelt auch
ein wenig
sehe ein lächeln
in ihren augen
die glasig.
und verschwindet wieder.
der fernseher zeigt wie wir gelebt
im drüben.
wie das war
damals.
zeigt die wahrheit der vergangenheit.
die goldene ära
kitschkommunismus
in der ich kind gewesen.
schwestern.
ein wohnzimmer. aus vergangenen zeiten. im vierten stock. im block. am wurzelort.
hinter spitzenvorhängen. zwischen makramee und perserteppich.
vor sich neskaffee in porzellan. parfümierte rosenkränze in plastikdosen. aus plastik auch der lavour im waschbecken im bad, das rosa gekachelt.
die tante almástészta?
die enkelin apfelkuchen?
gerne.
danke.
sehr lieb.
vielen dank auch!
köszönöm.
die tante porcukor nélkül?
die enkelin ohne puderzucker?
puderzucker wichtig
ganz wichtig
essenziell.
der muss sich über alles
legen
der zucker
weiß.
die tante fehér.
fontos.
nagyon fontos
fehér
fehér.
die enkelin die dauerwelle der großmutter schimmert weißer
als die ihrer schwester.
hat sich gut
noch gut gehalten
die großmutter
ist ein wenig gebogen schon
der rücken.
die stiegen hoch ging es schwerer als sonst.
die tante nehész nagyon nehész
felmenni
a lépcsőn
die enkelin schwer sehr schwer
die treppen so steil
die tante meredek
die enkelin steil schon
zu steil.
kann sie nicht mehr
die tante
sie nicht mehr steigen
die stiegen.
die tante de vasárnap
die enkelin am sonntag aber
die qual
am sonntag das hinuntersteigen
essenziell!
für sie.
die tante vasárnap
minden vasárnap
a kín!
le
a lépcsőn
fontos!
die enkelin essenziell das treppensteigenhinunter
hinuntersteigen
hinunter durch das dunkle stiegenhaus.
die tante a lépcsőjárás minden vasárnap
a templomba
die enkelin jeden sonntag in die kirche!
greti in welchi meeß kehst?
die enkelin fragt die großmutter ihre kleine schwester
und die schwester
die tante
schaut sie bös’
ganz böse schaut sie ihre große schwester an.
die tante fél kilenckór!
die enkelin um halb neun!
die tante hát persze!
die enkelin in die messe um halb neun
natürlich!
die tante magyar misére
die enkelin die ungarische messe
selbstverständlich!
die tante hova máshova?
die enkelin wohin sonst?
greti tie teitschi um zehn!
warum schlåfst nit aus und kehst inni teitschi meeß?
die tante waal pin ich a ungarin!
die enkelin schreit die tante in ihrer muttersprache
der sprache ihrer mutter.
greti aßo
die tante jå
die enkelin na da schau her.
die dame jetzt eine ungarin.lacht die großmutter
lacht
die kleine schwester
die tante aus.
die tante schaut
schaut ihre schwester an
ganz böse ihre große schwester an.
greti ich måch a spaß.
tie ungarn farstehn ka spaß nit.
die enkelin sagt sie zu mir und erwartet lachen.
doch stille
bleibt stille im raum.
in der man sich die bilder
an den wänden das hochzeitsbild von tante und onkel.
in der ecke rechts darin ein bild
das zwanzig jahre ganz bestimmt schon her
der onkel ja bereits lange schon
jetzt so lange auch schon tot.
und sitzt und schweigt.
greti noch a stickl påcherei?
die enkelin kern.
die tante vegyétek
die enkelin die tante legt noch ein stück apfelkuchen auf das porzellan mit dem silbernen rand.
schaltet den fernseher selbstverständlich an.
wir hatten das nicht.
kannten das nicht.
fernsehen.
wurde uns verboten
fernzusehen.
die freiheit genommen zu jeder zeit fernzusehen.
darum läuft er jetzt
muss er jetzt
im heute
permanent
im hintergrund
laufen.
sonst verpassen wir etwas.
was wir nicht hatten, holen wir uns jetzt.
die tante migránsok.
die enkelin der donaukanal
spricht.
nebenbei
ganz
migráns
sok
migráció.
die tante nyolckór kimegyek
az első misére.
die enkelin um acht uhr aus dem haus
zur ersten messe
die ungarische.
die ungarn immer als erste auf.
die ungarn wissen immer als erste bescheid.
greti und tu pist jetzt a kroßi ungarin.
vun wånn ån?
die enkelin seit wann die tante ungarin schon?
weil sie einen ungarn geheiratet? deswegen?
deswegen soll sie
die großmutter
jetzt auch rumänin sein?
weil sie
greti håb kheirlt a walåch?
niemols nit.
die tante felvettem a magyar honpolgárságot.
die enkelin und die augen der großmutter werden ganz
großwerden sie.
und die großmutter kann nicht glauben
was ihre ohren da hören.
was ihre schwester da
auf einmal spricht.
ihre schwester sich die staatsbürgerschaft geholt
die ungarische.
greti uns ßei-mer teitschi toch!
die enkelin und tobt
die großmutter
schreit die kleine schwester an.
greti erika!
die tante ildikó!
die enkelin wie sie sowas nur
machen
konnte!
ihre herkunft so
verleugnen
die deutsche!
und schüttelt mit dem kopf.
und schüttelt mit dem kopf.
greti tu wårst zu jung pán fliecht
zu jung
ungarisch redn jå.
åber tås keht zu weit.
die tante csak ő véd meg minket
óv minket
magyarokat.
mi
hozza
tartozunk
magyarországhos.
magyarok vagyunk.
die enkelin weil nur er uns schützt
uns ungarn
überall.
gehören dazu
zum ungarland.
sind magyaren
greti ßie!
jå
die enkelin und zeigt auf mich die großmutter mit dem finger auf mich
greti tås marl kånn sågn is ßie a ungarin
mit a ungarischn våter.
åber tu?
die enkelin blutungarin
ich.
so sagen sie.
könnte mir
laut verfassung
der neuen
die ungarische staatsbürgerschaft holen.
nur wozu?
die tante mert a románok
fenyegetnek
minket
mint a kommunizmusba!
die enkelin in rumänien
sie alle bedroht
von den rumänen
umzingelt
vom orthodoxen
doch sie als ungarische
katholische
die tante római-katolikus!
die enkelin römisch-katholische ungarin
fühlt sich bedroht in ihrer eigenen heimat.
fühlt sich dorthin zugehörig.
greti tu pist farruckt wor’n.
farruckt!
die tante magyar katolikusok.
die enkelin zum ungarland
gehöre sie.
wie im kommunismus werde sie bedroht.
die tante sorba álltunk tanácsház előtt szavazni.
die enkelin deshalb stand sie schlange vor dem rathaus
wie viele andere ungarinnen
die tante hivatalosan magyar asszony lettem.
die enkelin und wurde offiziell ganz ungarin.
greti af teitschlånd hét ich tich hinausnehmen ßolln!
die enkelin und standen wieder schlange dort
um ihn zu wählen.
können ihn nur wählen
weil nur er uns schützt.
uns alle christen
schützt vor denen
die da kommen.
er.
orbán.
greti jå tås måcht er kut!
die enkelin wie bitte?!
und denk jetzt ich hör schlecht
aber
greti tås is richtig.
prauch-mer ka fremdårtiges volk nit
tå pán uns.
die enkelin jetzt mach ich die augen groß
ganz groß meine augen
und kann nicht glauben
was meine großmutter da jetzt
spricht.
wie kånnst aßo redn?
greti richtig red ich. tie wåhrheit red ich.
tie schwårzn und arabern
prauch-mer nit
pán uns.
die enkelin und kann meine großmutter nicht fassen.
pist toch ßelbär. éß zwei alli zwei ßeids ßelbär fliecht!
ward doch flüchtlinge selbst
alle beide!
greti
// die tante tås wår awåß kånz ånderes!
greti kånz
die tante kånz
greti
// die tante ånderes!
greti uns ßei-mer
christen
//die tante christen.
die enkelin und schüttel nur den kopf
jetzt ich.
schüttel meinen kopf.
greti warum sind sie nicht blieben dort
drüben?
warum sind sie kommen
hierher?
den alten menschen den arsch gewischt!
dafier haben sie mich braucht.
die enkelin und immer noch gefragt
nach so vielen jahren
noch
warum wir hergekommen
greti gehen sie doch zuruck.
die enkelin haben sie schon uns gesagt.
chor der frauen III.
stehen in schwarz verwurzelt die frauen aller generationen oben auf dem friedhofsberg am wurzelort. dort. stehen zwischen eisenkreuzen. zwischen beton. zwischen erdhaufen. stehen im schnee. stehen im hohen gras. stehen im stroh.
singen diese zeilen. immer diese zeilen.
die enkelin im westen stehe ich
singe mit ihnen
den frauen
singe ich
wie großmutter es auch
immer getan.
mit dem klumpen erde in der hand
stehe ich.
und fällt die erde
herab
herab
hier
vor mir
herab
auf großmutters sarg.
♪
dort oben
dort oben
an der himmlischen tür
steht eine arme seele
schaut traurig herfür.
arme seele
arme seele
komm zu mir herein.
denn da werden deine kleider
ja alle so rein.
so rein und so
weiß
so weiß als wie der schnee.
und so wollen wir miteinander
ins himmelreich eingehn.
ins himmelreich
ins himmelreich
ins himmlische paradies.
wo gott vater, wo gott sohn
wo gott, heiliger geist ist.
annex. dort oben.
© S. Fischer Verlag 2019
Entstanden mit der Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien