Theater der Zeit

Magazin

Homo Fabre

Das Wiener Festival ImPulsTanz widmet sich dem Werk von Jan Fabre

von Theresa Luise Gindlstrasser

Erschienen in: Theater der Zeit: Götterdämmerung – Polen und der Kampf um die Theater (10/2017)

Assoziationen: Österreich Tanz Performance Akteure

Anzeige

Anzeige

„Ceci n’est pas un pays“ – das sei kein Land, behauptet der Künstler und Choreograf Jan Fabre über sein Herkunftsland Belgien. Für die knapp vierstündige Performance „Belgian Rules / Belgium Rules“, die im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Wiener Volkstheater uraufgeführt wurde, versammelt er belgische Folklore, Kostüme und Klischees. Und so viel Bier, wie ein Bühnenboden nur auszuhalten vermag. Mit der Parole, dass dies kein Land sei, zitiert er die Pointe des Bildes „La trahison des images“ des ebenfalls belgischen Surrealisten René Magritte aus dem Jahr 1929: Was hat eine Darstellung mit dem Dargestellten zu tun und ist nicht etwa die Darstellung das Dargestellte?

Dem produktiven Performance-Künstler Fabre widmete ImPulsTanz 2017 einen Programmschwerpunkt. Die Ausstellung „Stigmata – Actions & Performances 1976–2016“ des Kurators Germano Celant gastierte zur Festivalzeit im Wiener Leopold Museum. Für die Fabre-Ausstellung versammelt Celant Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Kostüme aus vierzig Jahren Homo Fabre. Aus Lautsprechern unruhiges Geraune. An den Wänden Notizen und Zitate: „Bruges, 14 May 1978: I want to subject my body to tortures“. Auch Ausschnitte aus dem Film „Doctor Fabre Will Cure You“ von Pierre Coulibeuf aus dem Jahr 2013 zeichnen eine künstlerische Biografie von verletzlich-verletzender Verausgabung.

Unter der Kategorie Art & Dance interessiert sich das 1984 gegründete Festival vermehrt für die Schnittstellen zwischen bildender und darstellender Kunst. Auch Ivo Dimchevs Ausdauer-Überdauer-Projekt „Avoiding deLIFEath“, ein Gesamtkunstwerk aus Ausstellung und Performance, fällt da hinein. Von solch einer überschwänglichen Versuchsanordnung weit entfernt, werden manche andere Produktionen in Museumsräume programmiert, ohne mit diesen in ein besonderes, erkennbar notwendiges Verhältnis zu treten.

Ein Beispiel für solche Unverbundenheit ist Gaëtan Rusquets „As We Were Moving Ahead Occasionally We Saw Brief Glimpses of Beauty (in process)“. Nominiert für den Prix Jardin d’Europe, arrangiert die Performance Wiederholung, Steigerung und Abweichung zu einer hypnotischen Abfolge. Drei Performer halten je eine Mini-Kamera in einer Hand, bewegen sie um sich herum und zu ihren Mündern und Ärschen. In der Projektion wird von Kamera eins zu zwei zu drei zu vorgefilmtem Material gewechselt, und es entsteht ein verwirrendes Bild.

Überhaupt scheint sich eine neue Sparte beim ImPulsTanz anzukündigen: Cinema & Dance. Insgesamt fünf Filme gab es im Programm, darunter auch einer von Rainer Werner Fassbinder. Die Eröffnungsproduktion „Fassbinder, Faust and the Animists“ von Michael Laub und Remote Control Productions synchronisiert, reinszeniert und resignifiziert auf wundersam melancholische Weise Ausschnitte aus „Warnung vor einer heiligen Nutte“. Ohne filmgeschichtliche Vorlage, sondern schlicht zweigleisig arbeitet die Künstlerin Samira Elagoz, die mit ihrer Performance „Cock, Cock.. Who’s There?“ den Prix Jardin d’Europe schlussendlich gewann. Ihr Film „Craigslist Allstars“, der beim International Documentary Filmfestival Amsterdam 2017 erstmals gezeigt wurde, dokumentiert Begegnungen mit Männern, die über Online-Kontaktaufnahme zustande gekommen sind. Thema ist sexuelle Gewalt, als Lösung wird Selbstermächtigung vorgeschlagen.

Auch bei „CLASH“, einer Arbeit von Christine Gaigg und 2nd nature, geht es um Selbstbehauptung. Entlang einer Auseinandersetzung mit dem Attentat von Orlando vom 12. Juni 2016 werden Fernsehbeiträge, Performances und Hate-Speech-Predigten reenactet. Das Zitieren von homosexuellenfeindlicher Gewalt endet im Verlesen der Namen der Opfer des Anschlags. Und in einem Ausblick auf Liebe. Umarmungen für alle.

Solch zärtlich-utopische Töne kennt Fabre nicht. Gewalt und körperliche Überforderung haben in seinem Werk einen anderen, aber wichtigen Stellenwert. Weil Im-PulsTanz immer auch ein Workshop-Festival ist, hat er in einem zehntägigen Kurs seine Methode „From Act to Acting“ zur Übersteigerung der körperlichen Kompetenzen unterrichtet. Am Ende gab es eine Vorführung mit den Teilnehmenden unter dem Titel „I am blood – A medieval fairytale“. Ein Fest von Blut, Schweiß, starken Männern, schwachen Frauen und mit Schwertern. Eine Darstellung, die das Dargestellte betoniert. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Pledge and Play"