Theater der Zeit

Auftritt

Theater an der Ruhr Mülheim: Lost in Weirdness

„Kein Plan (Kafkas Handy)“ von Kathrin Röggla (UA) – Regie Philipp Preuss, Bühne Sara Aubrecht, Kostüm Eva Karobath, Video Konny Keller, Musik Kornelius Heidebrecht

von Stefan Keim

Assoziationen: Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Philipp Preuss Kathrin Röggla Theater an der Ruhr

Die Spieler:innen J. Zilinske, F. Menendez und M. Schulte-Werning in der Uraufführung „Kein Plan (Kafkas Handy)“ am Theater an der Ruhr Mühlheim.
Die Spieler:innen J. Zilinske, F. Menendez und M. Schulte-Werning in der Uraufführung „Kein Plan (Kafkas Handy)“ am Theater an der Ruhr Mühlheim.Foto: Franziska Götzen

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Cringe. Lost. Safe. Diese Worte sollen ältere Leute bitte nicht benutzen. „Ihr seid nicht wie wir“, ruft ein junger Mann namens Asta der betagteren Generation entgegen. Wobei der Schauspieler Fabio Menéndez auch schon die 50 überschritten hat. Aber auf Realismus kommt es bei der Uraufführung des Stücks „Kein Plan (Kafkas Handy)“ von Kathrin Röggla nicht an. Vier Geschwister stranden auf dem Rücksitz eines Autos im Irgendwo. Die Eltern hauen einfach ab und lassen sie zurück. Es bleibt Verwirrung, völlige Orientierungslosigkeit. Die vier sind völlig lost. (Der 57-jährige Autor dieser Kritik entschuldigt sich für die verbale Übergriffigkeit.)

Schluss mit dem Scherz, das Stück verhandelt eine ernste Sache. Denn die vier Geschwister sind eine Metapher für junge Menschen, die sich verloren fühlen. Sie kriegen mit, dass die Elterngeneration keinen Plan hat, nicht weiß, wo sie das Auto hinsteuert und dann plötzlich weg ist. Die jungen Leute verstehen die Welt nicht, sie erscheint ihnen skurril, seltsam, bedrohlich. Sie geraten in einen Gerichtsprozess und haben keine Ahnung, was verhandelt wird. Sie scheinen die Angeklagten zu sein, werden befragt, verstehen die Hintergründe nicht. Müssen sie in den Knast, oder droht gar die Todesstrafe? Wenn Kafkas Handy irgendwo rumliegt, könnte es mal klingeln.

Was real passiert und was in der Fantasie stattfindet, bleibt unklar. Vielleicht wird die jüngste zur Terroristin, vielleicht ist es ein Alptraum der anderen drei. Die Geschwister beschreiben, wie sie – anscheinend mit Sprengstoff im Rucksack – auf einem Damm steht, um ihn in die Luft zu jagen. Dabei steht die junge Frau am anderen Ende des Saals, hinter dem Publikum, ruft, sie sei doch hier, sie würde so etwas nie machen. Aber ihre Geschwister reagieren nicht.

Auf Sara Aubrechts Bühne gibt es kein Auto, dafür einen ziemlich realistischen und aufwändig gestalteten Wald. Bäume, Dickicht, Unterholz, Natur. Aber es liegt auch ein orientalischer Teppich auf dem Boden, ein Sessel steht darauf. Ein atmosphärisch starker Spielraum, der ähnlich wie die Kostüme von Eva Karobath viel andeutet und zwischen Traumartigkeit und Realität oszilliert. Manchmal wird die Bühne vom Saal durch einen weißen Vorhang getrennt, auf den Videos (Konny Keller) projiziert werden. Die vier tragen manchmal Masken, dann absurd große Winterjacken. Schon die Kleidung scheint ihrer Kontrolle zu entgleiten. Das gilt auch für die Körper. Manche Bewegungen wiederholt das Ensemble in Schleife, als wären sie KI-generierte Wesen, und die App hat ne Macke. Dann spielen sie plötzlich wieder ganz natürlich, und es kommt sogar kurz so etwas wie eine Geschwisterdynamik in Gang.

„Kein Plan (Kafkas Handy)“ ist ein Stück das vom Publikum viel Konzentration und Mitdenken erfordert. Kathrin Röggla hat eine stark gebundene, rhythmische, feine Sprache, die ständig die Tonalität wechselt. Fabio Menéndez, Marie Schulte-Werning, Joshua Zilinske und Lea Reihl spielen mit großer Aufmerksamkeit und Durchlässigkeit. Man spürt, wie genau sie mit Regisseur Philipp Preuss an dem komplexen Text gearbeitet haben. Während Kornelius Heidebrecht eine pulsierende, subkutan Impulse setzende Musik komponiert hat.

Hier stehen Menschen auf der Bühne, die nicht selbstverständlich Teil einer liberalen, demokratischen Gesellschaft sind. Im Gegenteil, diese Jugendlichen sind für Verschwörungserzählungen empfänglich. Dabei treibt sie weder Wut noch Hass, sondern eine tief sitzende Verstörtheit. Sie finden einfach keinen Zugang zur absurden Welt um sie herum. Niemand erklärt ihnen die Regeln, und vielleicht geht das auch gar nicht, weil es keine Regeln mehr gibt. Es wäre schon eine absurde Vorstellung, wenn am Ende ein Theaterpädagoge als deus ex machina erschiene, und das Quartett wieder in den Schoss der Gesellschaft führt. Oder es eine andere einfache Lösung gäbe. Nicht nur die Eltern haben sich verfahren, das ganze Leben erscheint den jungen Leuten als eine völlig verfahrene Angelegenheit. „Kein Plan (Kafkas Handy)“ ist eine sehr produktive politische Verstörung, ein Stück mit viel Diskussionspotenzial.

Erschienen am 21.2.2025

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