Theater der Zeit

Von Thieme lernen heißt leben lernen

Der Versuch einer Annäherung

von Bernd Kauffmann

Erschienen in: ICH FAUST - Thomas Thieme – Gespräche (10/2008)

Assoziationen: Thüringen Sprechtheater Akteure

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1.
Thieme nennen wir ihn. Keine Vornamen, keine Titel, kein Zierrat. Es steht ihm nicht. Er ist kein Zierrat-Kokettierer, kein Titel-Spreizling und kein Duz-Kumpel. Aber auch kein Monolith. Ein Mensch. Voilà un homme.

Was über ihn zu sagen ist, muss Facetten-Sammlung, Facetten-Galerie bleiben. Sie zeigt einen staunenden Weisen, einen gewieften Toren, einen veritablen Bösewicht und - lapidarer Kommentar zum grassierenden Gutmenschentum - einen herzensguten Schlechtmenschen.

Von Thieme zu sagen, er sei Schauspieler, hieße ihm und seinem Verständnis von dieser Profession ein Untertreibungs-Missverständnis anzutun. Natürlich kann er schauspielen, und ganz vorzüglich, aber so, wie ein Schriftsteller lesen und schreiben kann.

Und da er kein Schriftsteller ist, und kein Maler oder Bildhauer, aber gleichwohl etwas zu sagen und darzustellen hat, bedient er sich der Bühne, anstatt zu schreiben oder zu modellieren. Es ist eine besonders präsente, besonders schonungslose, besonders selbstmissbräuchliche Art, etwas mitzuteilen, vor allem dann, wenn Abgründe nicht ausgespart bleiben. Seine Medien sind Sprache und Körper. Wort und Gestus. Schall und Vision. Artikulation und Modulation.

2.
Thieme versteht wie keiner die Sprache des Menschen zu sprechen, und zwar in Klage und Verzweiflung, in zynischer Kälte und naiver Gemeinheit, in perfider Eleganz und tiefer Menschenzärtlichkeit. Er zeigt wie keiner die mickrig-deutsche Spießerseligkeit in Trieb und Lust. Sein tückisch freundliches Gemüt kann binnen Augenblicken in die brutalen Tonlagen der unverhüllten Macht umschlagen.

Er ist ein Meister des schwierigen Doppeltons, es klingt dem Gretchen im Schwärmen des Verliebten die geile Kälte des Verführers mit. Doch das nicht instinkt-dumpf, sondern durchreflektiert zwischen mephistophelischem Höhenflug und dem Absturz einer gottverlassenen Seele.

Er liebt die Sprachmuster der Verkürzung, kann todernst in der Komik sein. Götterdämmerung kommt selten mit dem Hohen Ton daher, aber nicht selten in der Sprache der Gosse. Er weiß den »Glanz edler Worte« zu schätzen und zu nutzen, doch er scheut nicht den Dreck des Fäkalischen. Wem's stinkt, der leide eben.

Wenn es ihm angemessen erscheint, schlägt Thieme einen geschmeidig gemeinen, rußig sämigen Ton an: So klingen seine Geschichten vom Verfall. Dann wieder rührend hinreißende Jugendlichkeit, und gleich daneben das harte, klirrende Echo der Abgestorbenheit. Sein Bellen, Rotzen, Husten und Keuchen verunsichert das Schwelgen in verstanden geglaubten Texten, wird dem Kanon zur Antithese.

Thiemes sprachliche Perfektion ist sein Werkzeug, mit dem er ebenso souverän wie unauffällig hantiert. Ihm dabei zuzuhören ist ein Genuss, vergleichbar mal mit der Fingerfertigkeit des Kalligraphen, mal mit der brutalen Treffsicherheit des Messerwerfers. Wie hingetuscht entstehen Nuancen wissender Ironie, die Schaudern machen, selbst in Miniaturen und Kabinettstücken, wenn er Jimmy Hartwig als »Neger« (sprich: »Näschä«) tituliert oder Hitler seinen missglückten Leasingvertrag mehr als poltern lässt. Das sind freilich nur die Fingerübungen.

Die großen Monologe, für die er geliebt und gefürchtet ist, entziehen uns den sicheren Boden der bürgerlichen Bildungsidylle und des Klassikkults. Da werden die erbeschweren Mantras der Hochkultur plötzlich wieder zu Ausbrüchen, die uns betreffen, da wird statisches Kulturgut wieder zum Ursprung gefährdeten Menschseins zurückgeführt - gegen unsere Neigung, gerade das Fürchterliche, Ungeheuerliche gern auf hohe Piedestale zu stellen, wo es, kanonisiert und aus der mildernden Ferne betrachtet, sich noch jeder Räson anbequemen lässt. Aber nicht mit Thieme.

Und nicht nur Klassiker. Zeitgenössischere Schreckenstexte wie Hermann Brochs fiktive »letzte Rede Hitlers« spricht er mit tiefsinnigem Grauen, schneidender Kälte, mit dem bösen Charme der Selbstvernichtung und voller Genugtuung über das Ende im Abgrund. Thieme treibt die letzten Worte bis zur robusten Vollstreckung des eigenen Untergangs. Den glaubt man ihm ganz.

3.
Thieme ist ein Kerl. Wenn er die Szene betritt, gehört sie ihm. Er ist von bärenkräftiger Natur, doch im Gegensatz zum Bären ist er nicht tapsig und honigschleckerisch, sondern in aller Massivität von beunruhigender Geschmeidigkeit. Bräsig ist er nur, wenn er will, wenn er den Bräsigen gibt, doch dann verspottet er ihn meist. Und wenn er seiner eigenen percevalschen Spottfigur gewahr wird, kann er nur mit tragisch-verstörtem Erkennen geschlechtsgeschüttelt an sich herummachen.

So viel Authentizität war nie. Thieme braucht keine Masken. Er spielt nichts als sich selbst aus. Seine Physis ist sein Trumpf gerade auch in ihren vermeintlichen Unzulänglichkeiten, derer er sich in herrlicher Unbekümmertheit bis zur Entäußerung bedient. Authentizität und Selbstentäußerung - kein Widerspruch für einen großen Darsteller. Es steckt alles drin in dieser Physiognomie, aber immer gerade nur das, was er uns zeigen will, je übler, umso genüsslicher, aber glaubhaft, weil selbstgelebt; das unterscheidet ihn von einer Marionette. Seine feinsinnig nuancierten Gemeinheiten kommen naiv staunend daher, sein »aufgerissen zynisch-liebendes Gesicht« spottet, sich entziehend, buchstäblich jeder Beschreibung. Seine Kreatürlichkeit ist fast quälend, still und laut und von perfider Faszination.
Wenn er gierig-korrupte Blicke wirft, macht sich sarkastisch-wissende Selbstsicherheit breit. Doch dann wieder hat er in seinen Augen so viel Naivität, Neugier und kindliches Erstaunen über die Welt, dass man ihn wie Simplicius Simplicissimus fragen hört: Sag mir Mutter, was ist Gott?

Thieme provoziert, raunzt, schafft Begeisterung, aber auch Zorn, den er hemmungslos auf sich zieht, denn er kann richtig nerven. Doch selbst wenn er unendlich leise wird, wenn seine stumme Präsenz fast erstickend wirkt - eines ist sicher: bei Thieme kriecht nie die Langeweile auf die Bühne, ob er nun »Diesseitskrakeler« oder - getreu der Frage: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? - eine Versuchsanordnung aus der Geisterbahn der deutschen Seele präsentiert. Und das ist auf dem Theater schon fast ein »Alleinstellungsmerkmal«.

4.
Mit Thieme ist immer einer am Werk, der das Gesetz der Bühne bei der Zeugung berücksichtigt bekam. Natürlich sieht man bei ihm keine Mühe. Muss er sich mühen? Er steht in der Szene und ist es eben. Getreu dem Wort Einar Schleefs: »W-wenn Sie hm-mir jetzt zeigen w-wollen, wie sch-schwer das ist, dann g-gehen Sie lieber sch-schlafen.« Bei Thieme sieht man keine Arbeit, nur das Ergebnis: Perfektion. Auch dies unterscheidet ihn von vielen anderen Schauspielern, bei denen auch der Zuschauer spüren soll, dass es mühsam war. Es macht ihn zum wirklichen Charakterdarsteller, im Gegensatz zu den vielen Textverwaltern und Charakterdarsteller-Darstellern, denen man mangels eigenen Lebens Rollen auf den Leib schreiben muss.

Die Abbilder, die Thieme schafft, sind immer ohne Übertreibung. Sie brauchen keine vordergründige Komik mit Tendenz zur Albernheit und sind keineswegs Karikaturen. Ihre tiefe Ironie beziehen sie aus jenen Nuancen des Spiels, die so unmerklich wie treffend das Vorbild distanzieren und damit entlarvender sind als jede Slapstick-Nummer für die brüllende Heiterkeit. Thiemes Gelächter ist von anderer Art.

5.
Dabei geht es keineswegs abgehoben zu. Thieme liebt schweißtreibende Germanenseligkeit und den bigotten Blick nach oben - mit dem Spott des Mitverschwörers. Wo er Gelächter schafft, entsteht zuweilen Gänsehaut, er kann hinreißend auch noch als Spießerkopf lauern und Fallen legen. Er gibt den »seelischen Schweißfuß« des Bürgers unnachahmlich. In einer Eigenproduktion über die dem Ballungsraum Weimar vorgelagerte Provinz »Taubach« färbt er thüringische Elemente der Einfalt in raffinierte historische Unterhaltung um, zaubert durch kluge Sätze Stimmungen wie auf einem gehobenen Bockbierfest herbei und beherrscht dabei wie keiner die Komik des Trübsinns. Er schafft es, thüringische Spießersatiren mit Gesangsverein, Hühnerzucht, grünherziger Lungen- und Waldeslust und Köstritzer Schwarzbrauerei vorzuführen und dabei Fußangeln von Klischees auszulegen, die mit zielsicherer Chuzpe die desaströse Wirklichkeit aufscheinen lassen.

Diese Kunst: mit denkender Genauigkeit in den Niederungen der »Volksseele« zu wühlen und zugleich zu keiner Zeit die Höhe der Urteilskraft und die Distanz des (Mit-)Wissenden und (Selbst-)Kritikers einzubüßen, sie speist sich aus dem seltenen Zusammentreffen von Gespür und Wissen, von Körperlichkeit und Intelligenz, von Lebensbejahung und Zähneknirschen, von Darstellungskraft und Durchblick, von Hedonismus und Reflexion. Wer Thieme sieht und kennt, fühlt sich an Emil Jannings und Gert Fröbe erinnert, weil auch sie diese so rare Kombination aus Geistesverfassung und Körperlichkeit besaßen.

6.
Die Bruchstücke aus dem Steinbruch seiner Konfession sind die großen Bühnenarbeiten, dazu einige außergewöhnliche Filme, die gemeinsam ein Menschen- und Weltbild zeigen, das der Welt- und Menschenkenner Thieme Stück für Stück zusammenfügt und vor uns hinstellt, dass wir es nicht übersehen und nicht übergehen können. Wir werden hier kein Namen- und Titel-Defilee veranstalten. Es sind sowieso fast alle darunter. Und sowieso schert sich Thieme nicht um die Technik der Titel- und Thesendramaturgie. Er liebt die Figuren, die er spielt, nie ganz. Es sind
ja bloß Figuren, und Thieme wäre der Letzte, der seinen selbstgeschaffenen Illusionen erliegen würde. Thiemes Kunst hat immer ein Eigenleben, das er seinen Figuren gibt, und das speist sich aus seiner unverstellten Natur und seiner steten Neugier. Die Gestalten der Theaterliteratur,
sie sind ihm Inspirationsquelle, nicht Programm. Wer wäre er denn, dass
er einen schillernden Wallenstein anbetete. (Freilich: was wäre er für
ein Wallenstein!)

7.
Der einzige, den er zuweilen beneidet hat, weil er im Spielen, im Inszenieren, im künstlerischen Gestalten nie ganz an ihn herankam, war Einar Schleef. Aber im beiläufig während einer Unterhaltung bei »Herrengetränken« hingeworfenen Sketch »Thieme gibt den Schleef« ist er mehr Schleef, als der es je hätte sein können. Es ist eine Beziehung aus Liebe und neidvoller Bewunderung. Aber »Beziehung« bedeutet für Thieme auch nicht »Hingabe« oder gar »Aufgabe«. Thieme hat sich nie an andere ausgeliefert, auch wenn er ihnen unendlich nahestand. Er hat in Schleef seinen Meister gefunden, und dieser in Thieme einen kongenialen »Vollstrecker« seines sperrigen, ungeduldigen und unduldsamen Bühnenwerks.

8.
Thieme stellt sich, flieht nicht, auch nicht aus der DDR: Er geht mit Antrag. Nicht sosehr, weil er sich an den politischen Verhältnissen gerieben oder weil man ihn »verfolgt« hätte. Es war ihm zu langweilig im spießigen Arbeiter- und Bauernstaat.

Allerdings klebt auch ihm die Heimat an den Sohlen. Wer ihn in seiner Weimarer Stammkneipe poltern hört, mag nicht glauben, dass Thieme je fort gewesen ist. Seine vielleicht sogar für ihn selbst überraschende Rückkehr in die Ilmstadt im Jahre 1993, als Mephistopheles im schwarzen Kubus auf dem Weimarer Schlosshof, war triumphal in künstlerischer und ein wenig sentimental in persönlicher Hinsicht. Hinter mancher Ladentheke alte Schulfreunde (und mehr noch Freundinnen) wiederzutreffen,
die ihn auch noch erkannten - da wird dem Umtriebigen heimatlich zumute. Seither kann er nicht von Weimar lassen - vielleicht hält er hier jetzt doch einmal fest, was er nie zu haben und zu brauchen geglaubt hatte. Und eine andere Eigenschaft mag sich da ausleben: Thieme ist treu,
was etwas anderes ist als Loyalität. Der Neger Hartwig kann davon ein
Lied singen.

9.
Thiemes Rückkehr nach Weimar im Faust ist von symbolischer, fast schicksalhafter Bedeutung, denn das Werk ist der rote Faden seines Lebens und ewig wiederkehrendes Thema: der Weltendialog von Gut und Böse. Und
in diesem Kontext ist er immer Wortträger und Stichwortgeber selbstverschuldeten Untergangs. Er ist ja hochintelligent, vermutlich der Intelligenteste; im Gegensatz zu den intellektualen Nur-Schauspielern voll angeschwemmtem Bildungsgut ist er ein gedanklicher Minenleger. Als Wissender, als Gebildeter, als Wissen sich Aneignender, der vom Theater und seinen Inhalten, von seinen Figuren und vom Menschen viel weiß, stößt er mit
allem, was er tut und was ihm widerfährt, immer wieder auf Faust, der
ihm so zum Lebensmittelpunkt wurde. Er ist für Thieme Selbstversuch in demselben Maße, wie auch seine Figuren zwischen Gut und Böse,
zwischen Ungefährdetheit und Absturz angesiedelt sind. Sein Faust ist
immer der Mephisto mit Schwindsucht. Thieme kennt die moralische Patsche, in der wir sitzen, sehr genau. Er sieht den Menschen längst aus der Gnade jedes Gottes gefallen. Wenn uns ein Untergang bereitet ist, und danach sieht es aus, dann werden uns die alten Welt- und Gottesbilder nicht davor bewahren.

Folgerichtig sieht er die Bühne als moralische und als noch ganz andere Anstalt, als Tatort, Verhandlungs- und Richtstätte in einem - und eben gerade nicht als Laufsteg der Eitelkeiten.
Viel zu sehr liebt er die gänzlich anderen Themenfelder; die Bühne ist nur das Medium, um dieses Andere zu verhandeln. Sei es als Darsteller, sei es als Regisseur: es geht ihm immer um die Gestaltwerdung von Inhalten, und wie die überzeugend gelingt, das weiß er, denn er kennt sich in unendlich vielen Belangen der Bühnenkunst glänzend aus. So wird er Seismograph im Sinne eines Urteils von Theodor W. Adorno über Paul Valéry: ein Artist als Statthalter seiner Zeit.

10.
Das ist im Theaterbetrieb selten, und es bringt Probleme. Oft ist er unterfordert, auch in dieser Republik langweilen ihn das laute, vordergründige, unendlich banale Tagesgeschehen und die Hochzivilisation menschlicher Rat- und Trostlosigkeit.

Die alltägliche Niedertracht steht vor dem illusionslosen Analytiker klar und übel da, wenn man nur gründlich unter die Oberfläche dringt. Überall finden sich die geschmeidig Gesinnungslosen und Charakterverräter, die Thieme so zeigt, dass man sie auf der Straße wiedererkennt. Da gibt er das Aas auf leisen Sohlen und ist ein Virtuose der Qual. Dazu braucht er keinerlei Theaterdonner und Bühnenblut. Selbst fürchterlichste Figuren stellt er nüchtern dar, ohne Mühe zeigt er, als Regisseur des Baal zum Beispiel, die Extreme der Verkommenheit. Da gibt es keine Berührungsängste, und es lässt ihn kalt, wenn etwas von dem verruchten Image an im kleben bleibt. Denn er hat kein Imago von sich selbst, braucht keinem Rollenfach nachzutrauern, weil er auf keinen Charakter fest abonniert ist. Sein eigener Charakter ist die Energiequelle seiner Arbeit, aber nicht die Blaupause seiner Figuren.

Sein radikaler Pessimismus wird vom seltenen Effekt trauriger Heiterkeit begleitet. Thieme kann unsagbar gelassen und klar sein, hat sarkastischen Weltblick und lebensstörende Erkenntnis. Thieme besitzt die hölderlinsche Nüchternheit und agiert wie ein großer Zauberer, der sich nie in die Karten schauen lässt. Thieme wäre seinerzeit der genialste Vertreter der Neuen Sachlichkeit gewesen.
11.
Sowenig wie seine Kunst seine Person beflecken kann, sosehr ist er im kleistschen Sinne ein verkappter Romantiker, auch wenn er es nie zugeben würde. Denn das ist es doch, was ihn treibt, ihm die Gleichgültigkeit immer wieder austreibt: dass er sich aufregt über Schweinerei und Indifferenz, dass er sich reibt an den Widersprüchen, dass er aus der Haut fahren kann, wenn ihm etwas nicht passt - und dass er sich die Weltübel und ihre Protagonisten künstlerisch anverwandelt und uns wieder vor Augen führt. Mit dieser Anverwandlung ist Thieme immer gefährdet in seinem Spiel, geht sehr weit damit, seine tragische Verlassenheit korrespondiert mit Lebensliebe und Menschenzärtlichkeit, auch im Privaten. Aber er liefert sich nie ganz aus, er ist mit sich selbst im Reinen und über sich im Klaren, weil er sich selbst beherrscht. Das bewahrt ihn davor, zu enden wie Oskar Werner.

12.
Thieme ist der Mann für deutsche Affären. Insofern hat er eine große Ähnlichkeit mit Peter Lorre, und man möchte wünschen, dass er M noch einmal spielt, den Mörder, den eine Stadt sucht.

Thieme spielt jetzt den olympischen Reichssportführer von Tschammer und Osten in Berlin 1936, im großen Krupp-Film den Gustav von Bohlen und Halbach, später dann Kohl, und man darf gespannt sein, ob er ihn so geben kann und darf, wie er im Kontext der Geschichte (»Gechichte«) wohl zu sehen wäre. Im Leben der Anderen war er, Ulrich Mühe wird es verzeihen, unzweifelhaft der Beste, weil er es eben ist, der am besten die Abgründigkeit der Handelnden als Normalität darstellen kann. Seine Figuren atmen die Banalität des Bösen.

Es bleiben noch Wünsche offen. Der Mörder M wurde schon erwähnt, Wallenstein ebenso. In der Nachfolge Gert Fröbes und Klaus Maria Brandauers wäre Thieme als deutscher Bond-Bösewicht nicht zu überbieten.
Im Folgenden spricht Thieme selbst. Für das Buch, in dem er das tut, ist dem Autor Frank Quilitzsch auf Knien zu danken. In der Summe der einzelnen Gespräche, die eher die Form eines Charaktersteinbruchs besitzen, hat er ein Ganzes geschaffen, von dem man sagen möchte: Von Thieme lernen heißt leben lernen.

Gelernt haben Gerhard Ahrens, Ralf Schlüter, Martin Siebert und Bernd Kauffmann, die in Weimar zu Thieme gefunden haben und ihm in Berlin und anderswo nicht ferner sind.

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