Theater der Zeit

Auftritt

Staatsschauspiel Dresden: Dantons Rausch

„Dantons Tod“ von Georg Büchner unter Verwendung von „Der Auftrag“ von Heiner Müller – Regie Frank Castorf, Bühne Aleksandar Denić, Kostüme Adriana Braga Peretzki, Musik William Minke, Videodesign Andreas Deinert

von Thomas Irmer

Assoziationen: Sachsen Theaterkritiken Adriana Braga Peretzki Aleksandar Denić Heiner Müller Frank Castorf Staatsschauspiel Dresden

„Dantons Tod“ unter der Verwendung von „Der Auftrag“ von Heiner Müller in der Regie von Frank Castorf am Staatsschauspiel Dresden. Foto Sebastian Hoppe
„Dantons Tod“ unter der Verwendung von „Der Auftrag“ von Heiner Müller in der Regie von Frank Castorf am Staatsschauspiel DresdenFoto: Sebastian Hoppe

Natürlich wird noch über die Länge dieser Inszenierung diskutiert. Nach fast sieben Stunden, mit einer Pause nach dreieinhalb Stunden, endet die vielfache Verschränkung von Heiner Müller und Büchner kurz vor zwei Uhr in der Nacht mit dem Applaus für ein wie berauscht wirkendes Ensemble. Das ist selbst in Castorf-Dimensionen ein ungewöhnlich langer Ritt mit allerhöchst aufreizender Aufmerksamkeitsbeanspruchung – ein Theaterexzess der Extraklasse.

Im ersten Teil steht Heiner Müllers 1979 geschriebene „Erinnerung an eine Revolution“ im Vordergrund. Drei Abgesandte des französischen Konvents, die eigentlich die Revolution in die koloniale Karibik bringen sollten, haben erfahren, dass die Sache abgeblasen wurde. Denn Napoleon ist inzwischen das Resultat einer Revolution, die auf halbem Wege zu Freiheit und Gleichheit stehen geblieben ist oder mit ihrem Terror schon zu weit gegangen war – das ist Büchners Drama vom revolutionsmüden Danton und einem halbblind mit entfesselter Gewalt in die Geschichte preschenden Robespierre, der selbst zum Opfer seines Tuns wird. Castorf schließt im Ganzen für seine heutige Perspektive zwei Stücke zusammen, die die Französische Revolution von 1789 bis 1794 als kritisch-negativ mit bis in die Gegenwart wirkenden Folgen darstellen und in grellen Szenen mit ihrer wuchtig metaphorischen Sprache jeweils Gipfel der deutschen Dramatik im 19. und 20. Jahrhundert sind. Der „grässliche Fatalismus der Geschichte“, den Büchner in einem Brief über die Beschäftigung mit dem Stoff bilanzierte, wird dann weit nach Mitternacht einmal zitiert – er könnte als Titel über dieser immer wieder sich selbst spiegelnd assoziativen Müller-Büchner-Montage stehen.

Im Ausdruck dieser dramaturgischen Setzung läuft die Inszenierung aber ganz anders als eine den Untergang der Zivilisation für abgemacht haltende Geschichtsphilosophie Müllers. Schon die ersten Texte des „Auftrags“ spielen vor dem legendären Pariser Café „Procope“, das Aleksandar Denić in seinem filmszenographischen Aufbau als historisches Zitat dieses ersten Kaffeehauses Europas neben einen Laden für moderne Schusswaffen gesetzt hat. Der Kampf der Ideen kann also auch immer mit Kugeln ausgetragen werden, so der Befund, aber schöner ist doch der Rausch von Alkohol und verfeinertem Geschlechterkampf, für den Castorf Büchners Frauenrollen um einiges aufgewertet hat: nicht mehr nur wie in „Dantons Tod“ Huren und Wahnsinnige, sondern als Julie und Lucile echte Gefährtinnen ihrer in den Untergang taumelnden Männer Danton und Desmoulins.

Jannik Hinsch ist ein noch fast jugendlich wirkender Danton, der das Risikospiel der Revolution durchaus zu durchschauen scheint. Die zentrale Szene der Begegnung mit Robespierre, den Franz Pätzold mit ebenso jugendlichem Eifer spielt, hat Castorf sich aus Andrzej Wajdas Film „Danton“ geborgt – Lebenslust und puritanischer Verzicht für ein höheres Prinzip werden mit zwei Gläsern Wein veranschaulicht, die Danton nach einem geselligen Angebot an seinen Gegenspieler allein austrinkt.

Müllers Kritik an der nur halben Revolution mündet in den Traumtext vom „Mann im Fahrstuhl“, der dienstbeflissen auf dem Weg zum Chef auf einer Dorfstraße in Peru in Todesangst landet. Torsten Ranft gibt dieses Solostück als verirrter Bürger mit sächsischem Zungenschlag („in Beruh!“), als Abschluss des ersten Teils ein Höhepunkt dieser an schauspielerischen Leistungen geradezu überschäumenden Inszenierung.

Ja, es ist wieder ein Wunder, wie Castorf ein ohnehin hochtouriges Ensemble zum Exzess verführt, in Dauerspannung mit den immer wieder ins Heute wechselnden show-zelebrierenden Kostümen von Adriana Braga Peretzki, vor Andreas Deinerts inzwischen mit Doppelbildern arbeitenden Kameras und dem keineswegs ausgedient wirkenden Müller-Sound: Der Tod ist die Maske der Revolution. Die Revolution ist die Maske des Todes. Man denke nur an die amerikanische Revolution – damals und heute.

Ein Wunder der stundenlangen Schauspielenergie von Nihan Kirmanoğlu, Friedrike Ott, Nadja Stübiger, Josephine Tancke, Marin Blülle, Philipp Grimm, Sven Hönig und Lukas Vogelsang (neben den schon Genannten). Ein sehr üppiges Theaterwunder.  

Erschienen am 29.4.2025

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