Kultur des Digitalen
von Thomas Oberender
Erschienen in: CHANGES – Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit (10/2021)
Assoziationen: Dossier: Digitales Theater Berliner Festspiele
In seinem Buch Kultur der Digitalität beschreibt Felix Stalder, wie Facebook kurz nach dem Erfolg von Conchita Wurst beim European Song Contest die Wahlmöglichkeiten der Geschlechtsidentität für seine Nutzer*innen von zwei auf 60 Optionen erhöhte. Für Felix Stalder ist nicht die scheinbare Immaterialität der Datensphäre, die Perfektion oder Virtualität ihrer Produkte das, was die Kultur des Digitalen prägt, sondern die enorme Vervielfältigung der kulturellen Möglichkeiten. Diese Prozesse setzen bereits im 19. Jahrhundert ein, und seit den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts, so Stalder, haben sie sich enorm beschleunigt und dazu geführt, dass immer mehr Menschen sich an kulturellen Prozessen beteiligen. „Die Anzahl konkurrierender kultureller Projekte, Werke, Referenzpunkte und -systeme steigt rasant an, was wiederum eine sich zuspitzende Krise der etablierten Formen und Institutionen der Kultur ausgelöst hat, die nicht darauf ausgerichtet sind, mit dieser Flut an Bedeutungsansprüchen umzugehen.“ (Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Suhrkamp Verlag 2016, S. 11) Viele dieser Prozesse sind in komplexe Technologien eingebettet und verbinden sich um das Jahr 2000 zu etwas, das sich in Stalders Worten als eine neue kulturelle Konstellation beschreiben lässt, eine neue Galaxis in Nachfolge jener Gutenbergs.
Dieses Bild des „Digitalen“ ist insofern ungewöhnlich, als es nicht die etablierte Dichotomie zwischen alt und...