Theater der Zeit

Bericht

Edelstahlgefühle und Sprünge vom Beckenrand der Sparten

Die Studioinszenierung „Der thermale Widerstand“ an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch

von Leah Wewoda

Erschienen in: double 44: Regie? – Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick (11/2021)

Assoziationen: Berlin Puppen-, Figuren- & Objekttheater Akteure

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Überdacht oder im Freien, zum reinen Badevergnügen oder zur körperlichen Verausgabung. Spaßbäder, Sportbäder, Solebäder – und dann wären da Kurbäder. Baden per Verordnung, zur Kur, zur Genesung. Im Zweifel zur Genesung im Alter.

Ausgehend von einer in sich geschlossenen Badegesellschaft, entspinnt Ferdinand Schmalz in der dramatischen Vorlage exemplarisch gesellschaftliche Zusammenhänge. Eine gemeinnützige Kuranstalt wird zum Austragungsort von wirtschaftlichen und persönlichen Konflikten. Welche Zukunft das Bad vor sich hat, darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Erholung für alle bieten, oder investieren und zur Marke werden?

Edelstahlgefühle, die aufkommen beim Blick auf die Bühne, die in sterilem Weiß und Silber eingerichtet ist (Ausstattung Atif Mohammed Nour Hussein). Sanftes Wasserplätschern ist zu hören. Riecht es wirklich nach Chlor? Oder ist das der Geruch, den das Gehirn ergänzt, sobald es an Baden erinnert wird?

Die meditative Stille des Einstiegsmoments währt gerade so lang, bis die Kurgäste auf der Bühne erscheinen – antropomorphe Wesen (Puppenbau Atif Mohammed Nour Hussein), die von vier Puppenspielerinnen auf die Bühne geschoben werden, auf Servierwagen, ganz gemäß der Edelstahlästhetik. Den Puppen steht das Alter ins Gesicht geschrieben, ihre vier Spielerinnen Johanna Kunze, Evi Arnsbjerg, Linda Fülle und Lilith Maxion schaffen es durch ihr Spiel, vier quietschig-frische Charaktere zum Leben zu erwecken. Das ist es, was das Puppenspiel in dieser Inszenierung (Regie Jörg Lehmann) reich macht: Alte Körper, deren Alterungsprozess die Spielerinnen durch ihre Handhabung und Spielweise entgegen wirken und damit das Paradoxon der altersunabhängigen Agilität eines Körpers eröffnen.

Spannungsfeld der Sparten

Im artifiziell wirkenden ‘wetterlosen Raum’ schattieren die Schauspieler*innen ihre Figuren vergleichsweise naturalistisch. In ihrem Spiel sticht Emma Petzet hervor, die als Geologin Dr. Folz das Kurbad für ihre wissenschaftlichen Arbeiten nutzt – erfrischend, mit welcher Schroffheit in der Sprache sie das Bad inspiziert. Später wird es überflutet, von transparenter Folie, die zu beeindruckenden Wellenbergen animiert wird. Wie effektvoll das Zusammenspiel von Puppen- und Schauspiel auf der Bühne sein kann, zeigt sich dann, wenn Puppe und Mensch auf Tuchfühlung gehen: Bademeister Hannes (Benedikt Kalcher) wird von seinen Kurgästen zu Boden gedrängt, forsch erkunden sie seinen Körper. Beklemmend und amüsant zugleich, wie der menschliche Körper hier bloß Material ist.

Man sehnt sich nach mehr Momenten dieser Art, die das Spannungsfeld zwischen Puppen- und Schauspiel ausreizen würden. So ließe sich gegen Längen arbeiten, die auch dadurch entstehen, dass sich viele Szenenwechsel wie Schlusspunkte anfühlen. Zwischendurch fragt man sich, ob es nun die Kälte des Stoffs ist, oder das kühle Verhältnis der Sparten untereinander, die sich als Kälte im Spiel miteinander zeigt. Sicher hängt dies auch mit den pandemiebedingten Probenumständen zusammen, umso schöner sind die Momente, in denen zwischen Parallelgeschehen wirkliches Zusammenspiel aufblitzt. „Das Springen ist hier drinnen sowieso verboten“ heißt es im Stück – doch es wäre nur ein kleiner Sprung vom Beckenrand, der die Schwelle der Sparten überwinden würde. – www.hfs-berlin.de

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