Auftritt
Telfs: Keinesfalls hässlich
Tiroler Volksschauspiele: „Monster und Margarete“ von Thomas Arzt (UA). Regie Susanne Lietzow, Bühne Aurel Lenfert, Kostüme Mirjam Ruschka
von Bernd Doppler
Erschienen in: Theater der Zeit: Der Untergang des russischen Theaters (10/2022)
Assoziationen: Theaterkritiken Thomas Arzt Susanne Lietzow Tiroler Landestheater
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Mit einem großen Auftragswerk zur Tiroler Geschichte verabschiedet sich nach lediglich zwei Jahren Christoph Nix vorzeitig als Intendant der Tiroler Volksschauspiele in der Gemeinde Telfs. Nix war der erste Intendant der Volksschauspiele, denn zuvor waren sie von einem Verein geleitet worden. Seit ihrer Gründung 1980 haben sie sich dabei als Versuch verstanden, ambitioniertes zeitgenössisches Volkstheater in einer bis auf den heutigen Tag sehr lebendigen Theaterlandschaft von Passionsspielen und Dilettantenbühnen zu etablieren. Auch Nix hatte in seiner ersten Spielzeit zunächst in zehn kleineren Produktionen verschiedene Möglichkeiten von Volkstheater erprobt, 2022 konzentrierte er sich aber lediglich auf zwei: im Telfser Kranewitter Stadl zunächst als Uraufführung „Ich bleibe hier“, eine fast intime Beschwörung der Geschichte eines durch Flutung überschwemmten Südtiroler Dorfs. Dieses Kammerspiel, dem der italienische Roman von Marco Balzano „Resto qui“ zugrunde liegt, überzeugt in der Inszenierung von Lorenz Leander Haas als eindringliches Sextett der Dorfbewohner.
Großes Theaterspektakel ist im Gegensatz dazu „Monster und Margarete“, für das die Eislauf-Kuppelarena im modernen Sportzentrum der Gemeinde als Aufführungsort gefunden wurde. Die Alliteration im Titel des Auftragswerks lässt zunächst an Bulgakows „Meister und Margarita“ denken, doch gemeint ist im Stück des österreichischen Autors Thomas Arzt Margarete, Gräfin von Tirol und Görz. Als eigenwillige, durchsetzungsstarke Frau, die vor 700 Jahren ihren angetrauten Ehemann vor die Tür zu setzen wusste, illustriert sie trefflich das Spielzeitmotto „Starke Frauen. Große Legenden“. In boshaften Polemiken wurde sie als „Margarete Maultasch“ verspottet und diffamiert. Lion Feuchtwanger hat über sie seinen Erfolgs-Roman „Die hässliche Herzogin“ (1923) geschrieben, doch Thomas Arzt hat sich historisch genauer kundig gemacht als Feuchtwanger. Hässlich war sie höchstwahrscheinlich nicht. Bruderzwiste nicht nur im Hause Habsburg, sondern darüber hinaus auch unter Wittelsbachern und Luxemburgern, bestimmen das Drama, wobei sich Papst und Kurie immer wieder wollüstig und dreist in die Kontroversen einmischen. Wenn die Männer – Herzöge, Könige und Päpste – über Impotenz, Inzest und nicht vollzogene Ehen – unter anderem in der Sauna – disputieren, teilen sie gleichzeitig mit ihrer Familienpolitik, ja Familienkuppelei ihre Besitztümer neu auf, ohne Rücksicht auf ihre dadurch mit Krieg und Verwüstung überzogenen Ländereien. Auch Tirol leidet sehr!
Als böses, derbes Punch- und Judy-Kasperltheater könnte man sich Arzts spätmittelalterliche Männerrunden durchaus vorstellen, in der Eislauf-Kuppelarena wird – wohl auch durch die elektronische akustische Verstärkung allzu hörspielartig überdeutlich – manchmal ein etwas langatmig doziertes Historiendrama daraus, ein Aufbaukurs in „Heimatgeschichte“, wobei es Thomas Arzt ja auch nicht unterlässt, pädagogisch dezent darauf hinzuweisen, dass „Monster und Margarete“ in einer krisenhaften Übergangszeit spiele und durchaus Parallelen zur Gegenwart habe.
Spektakel allerdings auf der Bühne! Ein riesiger abgestürzter schwarzer Tiroler Adler (Bühnenbild: Aurel Lenfert) bestimmt sie. Inszenierung (Susanne Lietzow) und Kostüme (Mirjam Ruschka) zitieren auf moderne Weise die Tradition der Tiroler Mysterienspiele: Ein Chor weiblicher Fastnachts-Perchten („die Fliegen des Teufelschors“) kommentiert das Geschehen. Ein Pferd wird auf die Bühne getrieben, und drei Musiker begleiten das Geschehen, wobei einer von ihnen, der Komponist und Elektromusikant Gilbert Handler, auch einen Teufelssong zum Besten gibt. Sieht man von der das Geschehen einleitenden „Lumpenfrau“ ab, die von der Puppenspielerin Susi Wirth gegeben wird, stehen acht in der Regel kaum sympathische Männer einer einzigen Frau gegenüber. Keineswegs hässlich also, ganz im Gegenteil, selbstbewusst und überzeugend Lisa Schrammels Margarete. Dass sie sich ausgerechnet mit einem Lied über die Blume „Edelweiß“ – so wie einst die Trapp-Familie im Kultfilm „Sound of Music“ – nach Wien verabschiedet, beschert dem kraftvollen Abend schließlich eine unnötig sentimentale Heimatstück-Apotheose. //