Theater der Zeit

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Auftritt

Residenztheater München: Ekstase in Zeitlupe

„Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth – Regie Barbara Frey, Bühne Martin Zehetgruber, Mitarbeit Bühne Stephanie Wagner, Kostüme Esther Geremus, Musik Barbara Frey, Josh Sneesby

von Anne Fritsch

Assoziationen: Bayern Theaterkritiken Martin Zehetgruber Barbara Frey Residenztheater

Vorn: Anna Drexler in „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Barbara Frey am Residenztheater München. Foto Matthias Horn
Vorn: Anna Drexler in „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Barbara Frey am Residenztheater MünchenFoto: Matthias Horn

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In München ist Oktoberfest. Auf der Theresienwiese. Und im Residenztheater. Dort nämlich hat Barbara Frey zur Saisoneröffnung das Volksstück „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth inszeniert. Auf die Bühne hat Martin Zehetgruber drei gigantische Maßkrüge drapiert, zwei stehen, einer liegt umgeworfen da, umringt werden sie von ungezählten verwaisten Biergartenstühlen und jeder Menge Herbstlaub. Keine Bierbänke, keine Menschenmassen, keine Ekstase. Alles verströmt Endzeitstimmung, die passende Atmosphäre für ein Totenlied oder eine Geisterbeschwörung. Und das ist insgesamt der Duktus dieses 100-minütigen Abends: Alles geschieht wie in Zeitlupe, über lange Strecken ist es gespenstisch still. Wenn doch mal Feiergeräusche durchdringen, sind sie merkwürdig gedämpft. Auch die Musik, schaurig-schöne Anklänge bayerischer Lieder, die Barbara Frey mit Josh Sneesby komponiert hat, scheint von weit entfernt zu kommen. Als würde sich das alles unter einer Glasglocke abspielen, nicht an einem der Orte, die in diesen Tagen am lautesten und vollsten sind.

Horváth erzählt in seinem Stück von zweien, die an der Zeit leiden und an sich selbst, die sich lieben wollen, sich aber irgendwie nicht vertrauen können. Denen ihre Liebe an diesem Abend auf dem Oktoberfest abhanden kommt, weil der Kasimir seinen Job als Chauffeur verloren hat und nicht glauben kann, dass seine Karoline ihn auch ohne Geld liebt. Und weil die Karoline zwar unbedingt glauben will, dass „das wertvolle Weib“ noch intensiver an ihrem Mann hängt, wenn es diesem schlecht geht, aber so eine Fahrt mit der Achterbahn halt doch Geld kostet und das Leben ohne Geld halt wenig Spaß macht. Anna Drexler spielt diese Karoline mit einer gehörigen Portion Trotz und einer ebenso großen Sehnsucht. Sie will etwas von ihrem Leben, hoch hinaus wie der Zeppelin, der über dem Oktoberfest kreist, und will nicht wahrhaben, dass das Leben und vor allem die Männer in diesem Leben oft etwas ganz anderes von ihr wollen. Simon Zagermann zeigt den Kasimir als einen, dessen Selbstbewusstsein nurmehr ein Noagerl im Maßkrug ist, seit er „abgebaut“ ist. Beim Hau-den-Lukas hat er einen Orden gewonnen, doch in ihm ist nichts als Selbstmitleid. „Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist“, sagt er gleich zu Beginn zu Karoline, macht ihr ihre gute Laune zum Vorwurf, auch wenn diese ohnehin auf wackligen Füßen steht. „Vielleicht sind wir zu schwer füreinander“, erwidert diese. Und zumindest an diesem Abend hat sie damit wohl mehr als recht.

2011 hat Frank Castorf „Kasimir und Karoline“ hier am Residenztheater inszeniert: derb, dreckig, gegen den Strich. Die innere Leere der Horváth’schen Figuren hat er schäumend aufgefüllt und überfüllt, hat Ernst Jünger und Bert Brecht verbratwurstet zu einem Viereinhalb-Stunden-Parforce-Ritt durch den braunen Sumpf der frühen 1930er Jahre. Die Inszenierung von Barbara Frey nun ist das komplette Gegenteil: Was damals zu viel war, fehlt hier irgendwie. Den Worten Horváths fügt Frey nichts hinzu, ihre Figuren halten Abstand, auch körperlich. Da gibt es keine tätlichen Übergriffe, kaum eine Berührung. Wie Geister ihrer selbst irren sie durch den Abend, treffen mal aufeinander, laufen aber vor allem immer wieder aneinander vorbei. Alles ist irgendwie ausgebremst, auch die Bedrohlichkeit. Der Rauch und der Speer, diese beiden reichen Männer, die meinen, sich die Welt und die Karoline mit Geld kaufen zu können, faseln zwar von allerlei „Ritten“ nicht nur auf Pferden, pennen aber immer wieder einfach weg im Bierrausch. Man sieht Oliver Stokowski und Robert Dölle gerne zu, wie sie da sitzen und sinnieren, ihrer Stellung so gewiss, dass ihre bloße Präsenz einschüchtert.

Gleichwohl: Eine Fallhöhe gibt es hier nicht. Alle sind vom ersten Moment an Verlorene und Vereinzelte. Ein bisschen ist diese Inszenierung wie eine Horváth-Ausstellung. Man sieht diese Menschen und ihre Nöte und hört diese Sätze, die einfach sitzen. Zum Beispiel, wenn Anna Drexler als Karoline ernüchternd sagt: „Ich müsst so tief unter mich hinunter, damit ich höher hinauf kann.“ Vieles in diesem beinahe 100 Jahre alten Stück ist auch heute stark und wahr und bitter. Das Ensemble liefert präzise Charakterstudien. Leider aber lässt die Regie sowohl Sätze als auch Figuren im luftleeren Raum hängen, ohne Beziehung zueinander. Das mag gewollt sein, trägt aber dazu bei, dass einem das Schicksal dieser Menschen nicht wirklich nahegeht.

Erschienen am 30.9.2025

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