Theater der Zeit

Auftritt

Deutsches Theater Berlin: Im Monolog-Drei-Satz aufs Ende zu

„Angabe der Person“ von Elfriede Jelinek (UA) – Regie Jossi Wieler, Bühne und Kostüme Anja Rabes, Musikkonzept und Komposition PC Nackt

von Thomas Irmer

Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)

Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Jossi Wieler Elfriede Jelinek Deutsches Theater (Berlin)

Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse in „Angabe der Person“ von Elfriede Jelinek in der Regie von Jossi Wieler am Deutschen Theater Berlin. Foto Arno Declair
Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse in „Angabe der Person“ von Elfriede Jelinek in der Regie von Jossi Wieler am Deutschen Theater BerlinFoto: Arno Declair

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„Angabe der Person“, in diesem Steckbrieftitel steckt einiges, wenn man die 150 Seiten des Stücktexts vor sich ausbreitet. Die gleichzeitig erschienene Buchausgabe bringt es auf 200 Seiten, Volumen für einen mindestens fünfstündigen Abend oder – wie fast immer bei Jelinek – die Möglichkeit einer kürzeren Erst-, Zweit- oder Drittversion, die sich dann in Personen- oder Sprechaufteilung in der Tonalität stark unterscheiden werden. Und ja von vornherein auch sollen.

Jossi Wieler, der zu den bedeutendsten Textergründern Jelineks gehört, hat sich für die Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin für Klarheit und, was die Textanteile angeht, Gerechtigkeit zwischen drei Schauspielerinnen entschieden. Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff haben in aufsteigender Alterslinie jeweils einen rund halbstündigen Part. Drei Monologe, sorgfältig aus der Textmasse gestaltet, deren Entstehung wohl durch einen Finanzamtsterror in Sachen Doppelbesteuerung an zwei Wohnsitzen in zwei Ländern angeregt wurde. Bekanntlich lebt Jelinek in Wien und München und reist schon lange nicht mehr. „Sie sind so arm an Leben, da ist ja keine Reise verzeichnet im Buch Ihres Lebens, welches hier vor uns liegt, Sie sind arm an Leben, wir machen Sie noch ärmer!“ Da hat die Nobelpreisträgerin entsprechende Nachfragen zu Reisekosten in schön verständliches Deutsch und in ihren autobiografischen Komplex übersetzt. Um die dabei wohl erfolgte Beschlagnahmung von Literatur als Akten fürs Finanzamt geht es aber nur am Rande.

Denn der Text handelt über weite Strecken von der Familiengeschichte des jüdischen Vaters, dessen Verwandte verfolgt, vertrieben oder umgebracht wurden. Andere Familien wie die des in Nürnberg verurteilten Reichsjugendführers Baldur von Schirach erhielten ihren Besitz zurück zurück und erblühten mit ihren Nachkommen erfolgreich wieder auf, während mit Elfriede Jelinek sich keine Familie fortsetzt, wie sie selbst sagt. Der Tod steht im Raum. Endgültig, aber mit vielen Kalauern. Die sonst großen mythologischen Echoräume fehlen hier, sieht man einmal von ein paar Anspielungen auf Jesus ab. Insofern wirkt der Text weniger vielschichtig als viele ihrer Stücke der letzten Jahre. Aber eben auch direkter, für die eigene Person unverstellter.

Auf der Bühne von Anja Rabes dreht sich ein ausgeräumtes Zimmer mit Bilderschatten an der Wand und einem rätselhaften Toilettenbecken, dessen Verzierungen an neureichen Prunk denken lassen und aus dessen Untiefen einmal kurz Rauch aufsteigt. Links der Bühne steht ein mit Bach und Schubert bespieltes automatisches Klavier, dessen Töne manchmal die drei Monologe begleiten oder abbrechen lassen. Rechts die Souffleuse Bärbel Kleemann, wie eine weitere Musikinstanz vor Instrumentenpult. Ganz vorn die drei Schauspielerinnen mit ihrem Text und in Kostüm, Haartracht und Makeup als Jelinek-Repräsentantinnen leicht zu erkennen. Linn Reusse ist zunächst die in den Text ganz jugendlich Einsteigende, die dem Publikum auch mal zuzuzwinkern scheint. Bei Fritzi Haberlandt schaut in den Kalauerkaskaden auch schon das bitter Verzweifelte hervor, das dann bei Susanne Wolff noch zum strengen Sarkasmus gesteigert wird. In der Musik wäre das ganz klar eine Drei-Satz-Struktur mit Variationen und verschiedenen Temperamenten samt einer kurzen Coda aller drei. Wieler bringt so den Text buchstäblich nach vorn, schnörkellos kraftvoll in der von ihm gesetzten Dynamik.

Doch im Hintergrund sitzt die ganze Zeit Bernd Moss an einem Tisch voller Computer und anderer Geräte wie in einem Studio zur Aufzeichnung des Ganzen. Ab und zu neigt sich eine der Jelinek-Damen ihm zu oder er ruft ihnen kaum verständliche Halbsätze entgegen. Am Ende, da sind die drei Schauspielerinnen schon abgegangen und auch die Souffleuse schon weg, läuft noch ein Stück Text vom Band kurz weiter und er schleicht über die Bühne, schaut prüfend ins Textbuch, dann ins Publikum. Und weg ist auch er, die Figur des im September 2022 verstorbenen Gottfried Hüngsberg. Jelineks Ehemann, der als Informatiker ihre Website entwickelte und betreute, hier Live-Archivar für diese Angabe der Person.

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