Theater der Zeit

Deutsches Theater Berlin: Moral und Ästhetik in Zeiten des Kriegs

„Danse Macabre“, ein Projekt von Vlad Troitskyi mit den Dakh Daughters und Tetiana Troitska (DAKH Theatre, Kyjiw) in Zusammenarbeit mit Le Préau CDN de Normandie-Vire, Frankreich – Regie Vlad Troitskyi mit den Dakh Daughters und Tetiana Troitska

von Tom Mustroph

Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Dossier: Ukraine Deutsches Theater (Berlin)

„Danse Macabre“ in der Regie von Vlad Troitskyi mit den Dakh Daughters und Tetiana Troitska Foto: Oleksand Kosmach
„Danse Macabre“ in der Regie von Vlad Troitskyi mit den Dakh Daughters und Tetiana TroitskaFoto: Oleksand Kosmach

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Das Left Bank Theatre aus Kyjiw kehrte zur Eröffnung der fünften und letzten Ausgabe von Radar Ost mit einer Uraufführung ans Deutsche Theater zurück. Am 24. Februar 2022 wollten sie eigentlich mit den Proben zu „Hamlet“ beginnen – nun begann „HA*L*T“ mit der Vorbereitung eines Publikumsgesprächs zu einer Aufführung, die gar nicht stattgefunden hat. Die beziehungsreich aus dem Titel entfernten Buchstaben, die „me“ formen, bildeten den buchstäblichen Auftakt zu Reflexionen über Theatermachen im Krieg, aus denen die Regisseurin Tamara Trunova mit insgesamt sieben Schauspielern ihres Theaters eine Inszenierung über die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Theater entwickelt hat. Das Schöne und damit umso mehr Berührende an dieser auch mit pirandellesken Einfällen überraschenden Arbeit: Sie versucht die Situation des Theaters und seiner einzelnen Mitglieder wirklich in Spiel zu übersetzen und verliert dabei nie ihr Hamlet-Thema.

Die Kyjiwer Postpunk-Band Dakh Daughters legte dann am letzten Abend einen gewagten Ritt zwischen Betroffenheit, Anklage und Hoffnung hin. Die Musikerinnen berichten von Gräueln, die vor allem ukrainische Frauen und Kinder bei der russischen Besetzung erdulden mussten. Sie reflektieren eigene Auseinandersetzungen mit dem Schuldgefühl, es ins Exil geschafft zu haben. Und sie sorgen über teils mythisch-skurrile Erzählungen auch für Momente von Hoffnung, Humor und Erleichterung. Das ist im patriotisch immens aufgeladenen Theaterkosmos exilierter Künstler:innen aus der Ukraine eher selten und daher umso bemerkenswerter.

„Danse Macabre“ beginnt mit einem typischen Konzert der Dakh Daughters. Mit Schlagzeug, Gitarre, Violincello, Geige und Keyboards werden Songs aus einer ganz eigenen Mischung aus Punkrock, Reggae und Folkloreelementen angestimmt, die zum Repertoire dieser seit Jahren weltweit tourenden Band gehören. Dann zerreißen Sirenen die Musik. Der Nebel, der eben noch die Show begleitet hat als mittlerweile klassisches visuelles Element von Rockkonzerten, wird zum Nebel von Zerstörung und Krieg. Die Musikerinnen verlassen den Platz, an dem ihre Instrumente sich befinden. Sie kauern sich auf den Boden, schminken sich ab. Eine andere Zeit beginnt, ein letztlich ewiges Leiden. Der Charakter der Ewigkeit wird durch Bibelzitate eingeführt. Während die Musikerinnen ihren Transformationsprozess von Bühnenstars hin zu Flüchtlingen mit Koffern vollziehen, zitiert die Performerin Tatiana Troitskyi die biblische Geschichte von Hiob, den Gott dem Teufel überließ, der ihn mit allerschlimmsten Schicksalsschlägen bedachte, nur um zu demonstrieren, dass Frömmigkeit und rechter Glaube nicht an materiellen Besitz gebunden seien.

Es handelt sich um eine extreme Überhöhung. Sie bereitet andererseits auf die folgenden dokumentarischen Szenen real erfahrener Grausamkeit dar. Berichte von Frauen, die Opfer von Mehrfachvergewaltigungen durch russische Soldaten werden von den Musikerinnen erzählt, während Fragmente ihrer Musik in Wiederholungsschleifen aus den Lautsprechern dringen. Von Kindern, die die Vergewaltigungen ihrer Mütter miterleben mussten, wird berichtet. Die Erinnerung an die Grausamkeiten dieses Krieges, der medial auch in hiesige Wohnzimmer drang, wird noch einmal aktualisiert. Das löst unterschiedliche Reaktionen im Publikum aus: Trauern, Mitleiden, Erschütterung, zuweilen Wut, zuweilen auch Ärger, hat man doch diese und ähnliche Geschichten schon mehrfach gehört, war damals berührter und erlebt sich jetzt, teils aufgrund des Abnutzungseffekts auch extremster Erzählungen, als weniger ergriffen, ja fast schon belästigt.

Gespräche nach der Vorstellung kreisten auch darum, ob es moralisch statthaft ist, weniger ergriffen sein, ob gar den Künstlerinnen anzukreiden sei, nicht die ästhetischen Formen gefunden zu haben, die wieder die ganz tiefe Ergriffenheit oder ein neues Maß an Reflektion auslösten. „Danse Macabre“ führte auch das Publikum auf sehr dünnes Eis, zu Debatten über Moral und Ästhetik.

Kongenial war der Einsatz von Lichtelementen. Bei den ersten Liedern, denen aus Vorkriegszeiten, stellten große Kästen mit hell leuchtenden Rechtecken Fassaden bewohnter Hochhäuser dar. Später färbte das Licht sich rot, Feuer schien aus den Fenstern zu dringen. Die Leuchtplatten wurden von den Kästen abgenommen. Letztere wurden Koffer, die die Habe der Flüchtenden auf ein materielles Minimum konzentrierten. Die Leuchttafeln hingegen lagen wild durcheinander und bildeten eine künstliche Feuerstelle, um die sich die Frauen lagerten.

Diese szenische Dichtheit verlor sich allerdings im Laufe der Inszenierung. Vor allem Einzelszenen wechselten mit musikalischen Intermezzi. Diese Einzelszenen enthielten unter anderem schmerzhafte Auseinandersetzungen über den Sinn des Lebens im Exil. Eine fast märchenhafte Geschichte handelte von einer alten Frau, die im von der russischen Armee besetzten Gebiet weiterhin ihre noch ältere Schwester besuchte und dabei von einem Konvoi russischer Soldaten begleitet wurde. Bei denen löste sie Angst aus durch ihre Prophezeiungen, dass alle sterben würden. Sie starben dann bei einem Angriff ukrainischer Soldaten auch allesamt, verkündet die Erzählstimme.

Elemente der mittelalterlichen Totentänze greift diese Inszenierung des Gründers des Dakh Theaters Vlad Troitskyi ebenfalls auf. Der Tod, der zu allen kommt, wird besungen. Er wird präsentiert als ein Gleichmacher, den materieller Besitz eben nicht interessiert. Es bleibt in der Schwebe, ob das ein Element der Hoffnung ist oder nur eines der Starre, ein Durchhaltemoment inmitten des Schreckens.

Natürlich ist auch „Danse Macabre“ ideologisch aufgeladen, wie die meisten Produktionen ukrainischer Exilkünstler:innen, die sich als Soldat:innen an der Kunst-Front empfinden und auf diese Art für die Befreiung ihres Landes kämpfen wollen. Solch Ansinnen ist moralisch legitim. Die Kunst droht dabei allerdings zu einem Instrument von Agitation und Propaganda zu werden. Glücklicherweise wurde im Kontext der Vorstellung von „Danse Macabre“ nicht lauthals zu weiteren Waffenlieferungen aufgerufen – wie nach anderen Theateraufführungen durchaus geschehen. Die patriotischen Rufe nach Ruhm und Helden von Seiten des Publikums blieben ebenfalls weitgehend aus – vielleicht auch deshalb, weil die Inszenierung vielschichtiger war, weil sie auf die Komplexität des Lebens wie des Sterbens, des Kämpfens wie des Erduldens hinwies. Mit dem Wunsch an die kämpfenden Männer, dass sie durchhalten mögen, endet das Stück schließlich. Leuchtelemente sind jetzt Kerzen. Es können Grablichter sein, Kerzen auf einem Altar oder auch die einzigen Lichtquellen, die in einem verwüsteten Land noch vorhanden sind. „Danse Macabre“ entfaltet diverse Möglichkeitshorizonte. Düster sind sie freilich alle. Zu ihrem fröhlichen Post-Punk finden die Dakh Daughters in diesem Reigen des Schreckens nicht zurück. Auch das ist ein Statement.

Erschienen am 17.3.2023

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