Theater der Zeit

Auftritt

ETA Hoffmann Theater Bamberg: Liftboys und Logbücher

„Felix Krull“ von Paula Kläy (UA) – Regie Tamara Sonja Aijamathiesen, Bühne und Kostüme Anna Siegrot

von Sabine Leucht

Assoziationen: Theaterkritiken Bayern Dossier: Uraufführungen Paula Kläy ETA Hoffmann Theater

Marek Egert und Leon Tölle in der Uraufführung der„Felix Krull“-Überschreibung von Paula Kläy am ETA Hoffmann Theater Bamberg. Foto Marian Lenhard
Marek Egert und Leon Tölle in der Uraufführung der„Felix Krull“-Überschreibung von Paula Kläy am ETA Hoffmann Theater BambergFoto: Marian Lenhard

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Was kommt wohl dabei heraus, wenn eine junge Autorin und eine fast ebenso junge Regisseurin sich heute Thomas Manns Felix Krull vornehmen? Das Hochstapler-Gen hat sich ja als sehr robust und durchsetzungsfähig erwiesen. Fast jede:r möchte gerne größer, schöner, erfolgreicher und beliebter erscheinen, als er oder sie ist. Und genommen wird, was dabei hilft. Sei es das retuschierte Bikini-Selfie auf Social Media, die automobile Penisverlängerung oder der gefakete Studienabschluss.

Felix Krull ist also unser Zeitgenosse. Und doch blinken im Bamberger ETA Hoffmann-Theater weder polierte Karossen noch Handybildschirme auf. Einen Zwitter zwischen leicht verlottertem Archiv und Hotelruine hat Anna Siegrot auf die kleine Bühne im Studio gebaut. Vor einem Baugerüst hängen ein paar Vorhangbahnen, zwischen beschrifteten Kartons liegen Zeitungen und ein Kronleuchter auf dem staubigen Boden. Und Armand benutzt ein altes Tonband als eine Art Logbuch: „Außentemperatur: 9 Grad Celsius. Nebelwand. Seit drei Nächten im Gespräch mit einem, von dem ich nicht weiß, ob er ein Geist oder ähnliches ist“, diktiert er in sein Mikro. Das sind die ersten Worte von Felix Krulls Alter Ego in Paula Kläys Stück

Die 1997 geborene Schweizer Autorin hat das Auftragswerk zum 150. Geburtstag von Thomas Mann geschrieben und dafür seinen Fragment gebliebenen letzten Roman „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ noch weiter geschreddert. Aus dem Kleinholz zieht sie ein paar Namen und Motive, die sie erfrischend unbekümmert an eine neue Assoziationskette hängt. Die führt in großen Sprüngen und auf gewundenen Wegen hinein in die Kunst des Geschichtenerfindens als edelste Form der Hochstapelei, streift aber auch viele andere Themen. „Felix Krull (Über Vergänglichkeit und Illusion, die Zeit, den Verfall, die Erinnerung, das Wetter und die Liebe)“ lautet der volle Titel des Stücks. Und dazu passen das Bühnenbild wie Armands Eingangsworte schon gleich viel besser. Das Liftboy-Ich des Protagonisten ist bei Kläy eine eigene Figur und irgendwie auch nicht, denn seine emotionale Abhängigkeit von diesem Sonnyboy und Sonntagskind ist groß. Vor dem Tonband probt Armand sein Liebesgeständnis an ihn. Und wenn eine Tätigkeit oder ein anderer Mensch Felix’ Aufmerksamkeit beanspruchen, wirft ihn das komplett aus der Bahn.

Ob Kläy hier die Selbstverliebtheit des jungen Mannes thematisiert, der sich im Roman spielend in die Gunst der Reichen und Schönen einschleicht, oder die Figur spaltet, weil das mehr Spielszenen ergibt, bleibt offen. Vermutlich trifft beides zu. Und beides löst sich in der Uraufführung durch die dänische Regisseurin Tamara Sonja Aijamathiesen (*1992) auch ein.

Zwischen Marek Egerts verunsichertem Armand, der sich anfangs in einem weißen Schutzanzug versteckt, und Leon Tölles Felix, dem es selbst in Unterwäsche nicht an Selbstbewusstsein fehlt, entspinnt sich eine Beziehung auf mehreren Zeit- und Realitätsebenen. Armand amüsiert sich über die altmodischen Worte wie „groß Ungemach“, die er in Felix’ Tagebuch – „deinen Bekenntnissen“ – gelesen hat und bewundert seine schönen Handgelenke. Sie schlüpfen in Portiers- und Liftboy-Uniformen und versetzen sich in die Vergangenheit und Zukunft der Hotelruine. Und auch auf manch Metaebene wird zumindest verbal gestiegen: „Im Theater wie im Hotelgewerbe ist das wichtigste die Form“, heißt es einmal. Oder – fast semidadaistisch: „Die Schönheit steckt im Fragenkatalog.“

Das hat eine schöne Leichtigkeit und lebt sehr von der Ausstrahlung dieser beiden Spieler, die gerade noch aufgehellten Beckett-Figuren ähneln und sich gleich darauf in Impro-Theater versuchen. Dafür werden die Zuschauer:innen um Begriffe gebeten, die vor allem Egert dann illustriert und extemporiert („Eichhörnchen!“) oder als emotionale oder dialektale Grundierung für seine Hotelgast-Persiflage benutzt. Eine Variante der Kunst der Verführung durch Hochstapelei, Lüge oder Spiel, die den Zuschauer:innen einige Lacher entlockt. Ebenso wie das identitätsverwirrte Spiel mit immer neuen Pistolen, die sich einer von ihnen an den Kopf hält, damit ihn der andere davor retten kann: Im Doppelsinn Täter und Opfer in einer Person. Später wird die Szene geschickt mit Felix’ traumatischen Erinnerungen an den Selbstmord seines Vaters verschränkt.

Wer allerdings eine Fortschreibung von Manns unvollendeter Schelmengeschichte erwartet hat, wird enttäuscht. Wer den Originaltext sehr gut kennt, bekommt zwischen einigen großen Fragen und sehr viel tagträumerischem Nonsense immerhin hier und da etwas Bekanntes zu packen. Wer ihn nicht kennt, dem hilft nur, sich auf das Spiel selbst einzulassen, in das zuletzt auch Stephan Ullrich als alternde Diva Diane Philibert eintritt. Deren etwas eindimensionale Lüsternheit und die französischen Chansons, die in den Pausen zwischen den Szenen eingespielt werden, bringen die dekadente Außenwelt mit Felix’/Armands Innenwelt in Kontakt. Die Ebenen zwischen Traum, Literatur, Fantasie und Realität verschwimmen noch stärker. Und vom Ende her wird es noch einmal aktuell oder zumindest überaktuell. In einem wortgewaltigen Gefühlsausbruch Philiberts geht um die existenzielle Einsamkeit. Armands letzte Worte: „Ich habe Angst“. Es ist die Angst des ewig um sich selbst kreisenden Narzissten vor der Vergänglichkeit.

Erschienen am 21.11.2025

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