Theater der Zeit

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Auftritt

Schaubühne Berlin: Klacker-di-klack-Minimalismus

„House of Dance“ von Tina Satter (DEA) – Regie Tina Satter, Bühne Parker Lutz, Kostüme Enver Chakartash, Choreographie Hannah Heller

von Thomas Irmer

Assoziationen: Theaterkritiken Nordamerika Performance Berlin New York City Players Richard Maxwell Tina Satter Schaubühne am Lehniner Platz

Ein Vormittag in einem Tanzstudio in einer Kleinstadt, inszeniert von Tina Satter auf dem FIND Festival in Berlin.
Ein Vormittag in einem Tanzstudio in einer Kleinstadt, inszeniert von Tina Satter auf dem FIND Festival in Berlin. Foto: Gianmarco Bresadola

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Toni lebt in einer Kleinstadt, wahrscheinlich in einer amerikanischen, hat Stress mit ihrer neu zusammengesetzten Familie und möchte sich aus diesen Verhältnissen heraustanzen. Am nächsten Tag kommt nämlich eine Show in die Stadt, die Tanztalente, genauer Stepptanzkünstlerinnen, aufgabelt und vielleicht in einer bekannten Tour-Show einsetzt. Also verabredet Toni eine Einzelstunde mit dem örtlichen Stepptanzstudio, das von Martle geleitet wird, mit Musiker und Ko-Stepper Jo als Kollegen. Als es mit der ersehnten Einzelstunde losgeht, taucht Gigi auf und erzwingt ihr Mitmachen. „Das ist keine Einzelstunde mehr“, wendet Toni zaghaft ein – und das ist typisch für den äußerst reduzierten, mit eigentlich auch redundanten Äußerungen gebauten Dialog. 

Das Bühnenbild dieser Auftaktpremiere des FIND-Festivals an der Berliner Schaubühne zeigt ein schlichtes Tanzstudio mit Spiegeln an der Seite, einer Tür zu einem hinteren Raum als Fundus und ein paar Platten auf dem Boden, mit denen das Klicker-Klack der Stepptanzschuhe zur Geltung kommt. An der Seite steht noch ein Klavier, auf dem Jo ein paar ebenso sparsam gebaute Akkorde spielt, wobei ihm wiederholt ein Medizinfläschchen aus der Hosentasche rutscht, das er dann linkisch zu verbergen sucht. Auch das gehört zu dem insgesamt minimalistischen Stil, in dem Tina Satter ihr eigenes Stück hier in Szene setzt. „House of Dance“ wurde bereits 2013 von Satters Theatergruppe Half Straddle in New York uraufgeführt und erinnert stark an Inszenierungen von Richard Maxwell, dessen Figuren ebenfalls in einem ausgenüchterten amerikanischen Idiom in banalen Settings mit den traurigen Dingen des Lebens hadern. Tatsächlich war Maxwell der Mentor Satters und seine Theater-Kompagnie die New York City Players Koproduzent der Uraufführung. 

Von dieser hat Satter die Choreografin Hannah Heller mitgebracht, die zusammen mit Cristina Delius als Trainerin den vier Schauspieler:innen zu einer wunderbar anzuschauenden Geschichte mit dem Stepptanz verhilft. Das hat die Magie des Staunens über die an sich banale Story, in der natürlich auch noch mal der amerikanische Traum in seiner Schwundstufe steckt. „Mit 40 von hier weg und Millionen haben“, lautet Tonis Programm, obwohl sie mit den drei anderen, die viel besser als sie steppen, Beispiele dafür vor Augen hat, dass es wohl nicht so einfach ist. Zum anderen steckt in der auf den ersten Blick so einfachen Geschichte auch das halbe amerikanischen Theater mit drin, denn die vier müssen tanzen, spielen, singen wie in einem Musical. Und wenn auf einer Art Meta-Ebene darüber gesprochen wird, dass auch der Tanz eine Geschichte erzählen soll – offenbar Tonis Problem –, dann geht es wie in einem B-Movie gleich mit Zombies im Todesrausch zur Sache, als ob man sich gar keine anderen Geschichten mehr vorstellen kann. „Das ist eine Geschichte“, fasst Martle in stilprägender Einsilbigkeit die Lehrstunde zusammen. 

Die Besetzung der vier ist absolut stimmig: Hêvîn Tekin spielt die leicht eingeschüchterte, aber durchaus begeisterungsfähige Toni – Genija Rykova ist dagegen die welterfahrene und selbstbewusste Frau, die ihre Niederlagen und buchstäblich Schmerzen manchmal aber nur schlecht verbergen kann. Holger Bülows Martle wiederum tritt mit einer beherrschten Arroganz auf, von der er freilich weiß, dass er sie allein in seinem Studiorevier zur Anwendung bringen kann. Und der Jo von Henri Maximilian Jakobs gehört zu jener Sorte unterschätzter Musiker-Paradiesvögel, die neben zehn Instrumenten auch noch das Steppen beherrschen. Nichts davon dürfen diese Figuren selbst erzählen, sie müssen alles zeigen oder durch minimale Gesten zum Ausdruck bringen. Und natürlich klacker-di-klack – alles steppen. 

Erschienen am 24.4.2023

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