SCORES – Insert Tanzquartier Wien
Anmerkungen zur Musik von uncanny valley
von Peter Jakober
Erschienen in: Theater der Zeit: Jürgen Holtz – Schauspieler und Scharfdenker (04/2015)
Assoziationen: Österreich Tanz
Definiert man die Sprache als Medium, die Kommunikation ermöglicht, also als Übermittlung von Informationen, und die Stimme als Träger dieser Vermittlung und betrachtet man das Verhältnis von Stimme, Sprache und dem erzeugenden Körper, so begegnet man dem Ausdruck der Akusmatik der Stimme. Mladen Dolar schreibt in seinem Buch His Master’s Voice dazu: »Die akusmatische Stimme ist einfach eine Stimme, deren Ursprung man nicht sehen kann, eine Stimme, deren Herkunft nicht auszumachen ist, eine Stimme, die sich nicht verorten lässt. Es ist eine Stimme auf der Suche nach einer Herkunft, auf der Suche nach einem Körper, doch selbst wenn sie ihren Körper findet, stellt sich heraus, dass die Verbindung nicht wirklich funktioniert, die Stimme bleibt nicht beim Körper, sie ist ein Auswuchs, der nicht zum Körper passt.« Und später: »Wollen wir auf die Schnelle ein Beispiel, das trotzdem eindringlich ist, müssen wir nur an Hitchcocks Film Psycho denken, der sich gänzlich um die Frage dreht: ›Woher kommt die Stimme der Mutter? Welchem Körper ist sie zuzuordnen?‹ Man sieht hier sofort, dass die Stimme ohne Körper von Natur aus unheimlich ist und dass der Körper, dem sie zugeschrieben wird, ihren gespenstischen Eindruck nicht zerstreut.«
Die Sehnsucht vieler Menschen vor dem Ersten Weltkrieg, den technischen Fortschritt durch den Krieg zu stoppen, durch den Kampf wieder eine Art Urzustand zu erreichen, erlebte in den Kämpfen ihre katastrophale Negation. Soldaten erlebten, wie technisch hoch entwickelte Kanonen, nicht sichtbar, Granaten abschossen, die in den Gräben explodierten und die Kameraden töteten. Der ›Körper‹ der Waffe war unsichtbar. Die Einschläge der Granaten für die Soldaten traumatisierend: Versteckt in den Schützengräben, waren nur diese Einschläge zu hören. Diese Intensität führte teilweise zur Erkrankung der Soldaten, genannt ›shell shock‹. Eine Akusmatik also, des Kampfes, der Waffe selbst.
uncanny valley beginnt mit Sängerinnen, die außerhalb des Aufführungsraumes, im Foyer, hinter der Bühne entfernt hörbar singen. Die Klänge nicht genau zuordenbar: Werden diese absichtlich für die Performance gesungen, oder sind sie nur zufällige Klänge aus einem Nebenraum? Erst durch die Technik, der Verstärkung dieses Gesangs auf den Lautsprechern, wird der Klang als absichtliches Klanggeschehen wahrgenommen. Die Lautsprecher, die Technik, erzeugt also erst eine Art Köper des Sängers, doch emanzipiert sich dieser Körper, indem der Klang des Gesangs nach und nach elektronisch verarbeitet wird.
In einer weiteren Szene werden über einen portablen, über die Bühne getragenen und positionierten Lautsprecher, Klänge einer Geige wiedergegeben. Material, das vorher von dem Instrument aufgenommen wurde und hier in seiner reinen technischen Form abgespielt wird.
In einem anderen Moment werden die Stimmen durch einen Ringoszillator entfremdet und synthetisiert. Orgelpfeifen, am Labium angeblasen, werden durch die elektronische Vervielfältigung plötzlich als Gewehrschüsse wahrgenommen. Ein synthetisierter, technisierter Klangprozess, weg vom menschlichen, instrumentalen Klang.
Musik und Performance, Zeit
Ausgehend von der Idee, die Wahrnehmung des Betrachters selbst zu thematisieren, der Frage nachzugehen, inwiefern man überhaupt Geschichte begreifen kann, wurde in uncanny valley das Verhältnis von Musik, Zeitwahrnehmung, Klangwahrnehmung, Performance und deren Gleichzeitigkeit, sowie deren Nebeneinander thematisiert.
Die Musik entspricht teilweise dem Geschehen auf der Bühne: Einzelne Dioramaszenen haben ihre eigene Musik, doch geht die Musik in Umbauphasen der Performance weiter, emanzipiert sich plötzlich vom Bühnengeschehen und verändert so die Zeitwahrnehmung.
Im Film, bzw. in der Filmmusik gibt es eine Technik, um eventuell zu kurz oder zu lang geratene Szenen zeitlich zu dehnen oder zu kürzen: Startet die Musik zum gleichen Zeitpunkt wie die Szene, dauert jedoch über diese Szene hinaus, wird diese als kürzer empfunden. So können also unabsichtlich lang gewordene Szenen ›kürzer gemacht werden‹. Endet die Musik schon während der Szene, wird diese als länger empfunden. Obwohl diese Technik, dieser Trick, künstlerisch sicher hinterfragungswürdig ist, wurde in uncanny valley dieses Verfahren mit Absicht verwendet, um beim Betrachter, beim Hörer auch das Zeitempfinden zu entfremden.
Die Klanglichkeit ändert sich so öfter während des Szenenwechsels bzw. nach oder genau mit dem Szenenzwechsel auf der Bühne. In einer Dunkelphase während des Umbaus steht das Geschehen auf der Bühne still und die Musik ist plötzlich Mittelpunkt und in der Konsequenz ohne sichtbaren Körper.