Julian Beck oder Theorie und Praxis der Unreinheit
von Milo Rau
Erschienen in: Das Theater leben – Der Künstler und der Kampf des Volkes (05/2021)
Assoziationen: Theatergeschichte Performance
Im Dezember 2020 war’s, als Yvonne Büdenhölzer und Thomas Oberender mich fragten, ob ich ein paar Worte schreiben wolle für die deutsche Übersetzung von The Life of the Theatre. Ich freute mich, dachte aber auch: Warum war das nicht längst übersetzt worden? Als wir am NTGent vor ein paar Monaten den Band Why Theatre? herausgaben und dafür 106 Theatermacher*innen um Beiträge fragten, war es das erste Mal, dass die meisten von ihnen in Deutschland überhaupt gedruckt wurden. Wenn man sich für die Theorie von Größen wie Zé Celso oder Ariane Mnouchkine interessiert, findet man praktisch nichts außerhalb des Internets. Was auch damit zu tun hat, dass ihre Bücher meist nur als „Beipackzettel“ gelten: als gäbe es eine implizite Aufgabenteilung zwischen Theoretiker*innen und Praktiker*innen, zwischen schriftlicher Kritik und inszenatorischer Praxis. Als wäre schon die Idee, gemäß einer Theorie zu handeln, eine Verunreinigung der Kunst – welche „zweckfrei“ sein soll, wie es bei Kant heißt.
Für die Welt des Living Theatre galt das nicht. Schreibtisch, Probenraum, Straße: In der Ästhetik des Living Theatre ist das alles eins, alles durchmischt, alles unrein. Ich sagte also sofort zu, denn zum einen sind die Ideen des Living Theatre auch meine, zum anderen sind es...