Theater der Zeit

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Auftritt

Ruhrtriennale: Eine Reise zum Mittelpunkt des Menschseins

„Die Erdfabrik“ von Georges Aperghis und Jean-Christophe Bailly (UA) – Künstlerische Mitarbeit Emilie Morin, Bühne, Requisite Nina Bonardi, Video-Design, Animation Jeanne Apergis

von Stefan Keim

Assoziationen: Musiktheater Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Dossier: Klimawandel Georges Aperghis Ruhrtriennale

Ein Hammerschlag auf einen Amboss: Apergis Interpretation des Gedichts von Annette von Droste-Hülshoff ist fein, virtuos und akzentuiert.
Ein Hammerschlag auf einen Amboss: Apergis Interpretation des Gedichts von Annette von Droste-Hülshoff ist fein, virtuos und akzentuiert.Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker

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Musiktheater und Konzert zu verschmelzen ist ein wichtiges Merkmal im Schaffen von Georges Apergis. Der 75jährige hat mit seiner inzwischen aufgelösten Gruppe ATEM (Atelier Théàtre et Musique) über 20 Stücke entwickelt, auch einige Opern komponiert. Aber Kern seiner Arbeit ist die Kammermusik, das leise Nachlauschen, das Hörbarmachen von Klängen, das Öffnen des Publikums für ein pures Erlebnis, ohne einen Sinn suchen zu wollen. Auch in seiner neuen Arbeit „Die Erdfabrik“ bei der Ruhrtriennale sirren die Silben, wabern die Worte, tropft, taumelt und tuschelt die Musik. Leider gibt es um sie herum auch ein paar Abstürze ins Banale.

Doch der Reihe nach: Erst einmal ist es eine grandiose Idee, den vor kurzem mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis – etwas Wichtigeres kann ein Komponist nicht bekommen – ausgezeichneten Apergis mit einer Reise ins Herz des Erdreichs zu beauftragen. Die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord – ein ehemaliges Zechengelände – ist der ideale Spielort. Die zugemauerten Fenster mit den runden Bögen vermitteln eine kirchenähnliche, konzentrierte Stimmung. Nebenan in der Kraftzentrale hat Intendantin Barbara Frey gerade Shakespeares „Sommernachtstraum“ inszeniert – ungewöhnlich leise und philosophisch, auf hohem Niveau. Aber wieder einmal eine aus dem Burgtheater importierte Aufführung, die nach Wien zurück geht und den Spielort im Ruhrgebiet nur als atmosphärisches Sahnehäubchen verwendet. Apergis hingegen wühlt sich hinein in den Boden des Ruhrgebiets.

Kern des Textes ist das Gedicht „Die Erzstufe“ von Annette von Droste-Hülshoff, einer der bedeutendsten deutschen Dichterinnen des 19. Jahrhunderts. Sie beschreibt mit überwältigendem Sprachrhythmus eine phantastische Bergbaugewitterwelt: „Die Winde keucht, es rollt der Hund. Hörst du des Schwadens Sausen nicht? Wie Hagel bröckelt er zum Grund – Der Hammer pickt, die Stufe bricht.“ Zum Teil reagiert Apergis darauf mit direkten musikalischen Umsetzungen. Ein Perkussionist schlägt mit dem Hammer auf einen Amboss ein, viel virtuoser und feiner als es Siegfried in Wagners „Ring des Nibelungen“ tut.

Droste-Hülshoff schreibt auch von einem „Geriesel“, das wie Regentropfen klingt. Nach einem kurzen Kreischen aller Instrumente, beginnt die „Erdfabrik“ mit Tropfen der unterschiedlichsten Art, nicht zu sehen, nur zu hören. Zwei Schlagzeuger haben ungewöhnliche Batterien vor sich, darunter Rohre, Ketten, aufgehängte Trommeln. Die Kontrabassistin Sophie Lücke entlockt ihrem Instrument unfassbar vielschichte Klänge, ein Trompeter ist noch dabei. Und die Sängerin Donatienne Michel-Dansac, die gurrt, wispert, die Worte in Silben und Laute zerlegt, sie umschwirrt und ihrer Bedeutung entkleidet. Sie scheint ihre Stimmbänder zu benutzen als seien sie die Saiten eines Cellos.

Dazu gibt es Videos auf mehreren Projektionsflächen. Am Anfang zeigen sie – leicht verfremdet, in der Art von anspruchsvollen graphic novels – Höhlen, Felsgestalten, bald auch seltsame Wesen. Zwei Augen schauen das Publikum an. Wahrscheinlich sieht und empfindet hier jeder Mensch etwas anderes. Meine Assoziation ging zu Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „Lebendig begraben“, vielleicht weil Barbara Frey bei der Ruhrtriennale schon Poe inszeniert hat. Die rein assoziative Musik, das Spiel mit der Sprache und die nicht allzu konkreten Bilder entfachen einen leisen, angenehmen Rausch, auf den ich mich gern einlasse.

Dann kommt ein Bruch. Nicht in der Musik, aber in den Bildern und Texten. Der Dichter Jean-Christophe Bailly hat sich von Droste-Hülshoff zu eigenen ungereimten Versen anregen lassen, die den Schacht, die Nacht und die Dunkelheit umkreisen, aber eher geschwätzig wirken. Und die Videos von Jeanne Apergis werden konkreter, zeigen wie der Bergbau das Erdreich zerstört. Bis in leeren Tunneln die Pflanzen die Herrschaft übernehmen. Wenn der Mensch fort ist, kann wieder Leben entstehen.

So kritisch-zeitgemäß diese Deutung auch wirkt, so banal ist sie im Kern. Sie passt auch überhaupt nicht zum Geist des Abends. Assoziative Offenheit mündet in einen etwas billig anmutenden Fatalismus, der vielleicht aufrütteln soll, aber bloß nervt. Doch die ersten 45 Minuten dieser Aufführung haben mich bewegt.

Erschienen am 14.8.2023

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