Akteure
Das Ritual-Event
Philipp Hochmair, Salzburger „Jedermann“ 2024, über seine Geschichte mit dem Stück im Gespräch mit Thomas Irmer
von Philipp Hochmair und Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Puppen- und Figurentheater (06/2024)
Assoziationen: Österreich Akteure Salzburger Festspiele
Was ist der Reiz am „Jedermann“, den Hugo von Hofmannsthal nach einem mittelalterlichen Stück schrieb und der seit 1920 jeden Sommer als Ritual-Event der Salzburger Festspiele vor dem Dom aufgeführt wird?
Philipp Hochmair: Der „Jedermann“ war 1920 das Gründungsstück der Festspiele, und somit ist er untrennbar mit den Salzburger Festspielen verbunden. Dabei war es eigentlich nur eine Notlösung, weil Hofmannsthal mit dem eigentlichen, ganz anderen Stück, zeitlich nicht fertig wurde. Es gab damals vier ausverkaufte Aufführungen für jeweils 2000 Zuschauer. Es wurde Hofmannsthals erfolgreichstes Stück! Es ist seither in Salzburg unzählige Male neu und anders interpretiert worden. Deshalb hat jeder Theaterfreund eine ganz eigene Vorstellung davon, wie der „Jedermann“ sein soll – weshalb es völlig unmöglich ist, es allen recht zu machen. Das macht die Reaktionen auf das Stück so emotional, denn jeder nimmt den „Jedermann“ persönlich. Bei keinem anderen Stück überfällt die Zuschauer im Vorfeld so eine nervöse Neugierde!
Max Reinhardt und Hofmannsthal wollten bei der Gründung der Festspiele: das Beste vom Besten. Allerdings war der äußere Anlass für die Gründung das Ende des Ersten Weltkriegs, woran heute kaum noch erinnert wird. Aber wie kam es zu dem Projekt „Jedermann reloaded“ und darin alle Rollen zu spielen?
PH: Reinhardt wollte mit den Salzburger Festspielen eine Art Anti-Bayreuth, also anti-preußisch, erschaffen. Die Einnahmen sollten zur Linderung der Kriegsnot verwendet werden. Der Erzbischof hatte dem Domplatz als Bühnenbild für das katholische Moralstück zugestimmt, samt Dom-Orgel und Glockengeläut – ganz im Sinne von Max Reinhardt, der sich „die ganze Stadt als Bühne“ wünschte. Meine erste Begegnung mit „Jedermann“ in Salzburg als junger Schauspielschüler war dagegen erst einmal enttäuschend. Der Ereignischarakter blieb mir fremd. Ich bin mit der Frage, was der Reiz an „Jedermann“ sein sollte, alleine geblieben. Diese Irritation hat sicher später zu dem Wunsch geführt, aus dem großen und auch moraltriefendem Theaterspektakel einen leichtfüßigen Monolog zu machen. 2013 kam es dann zur Gründung der Band ‚Die Elektrohand Gottes‘.
Wir wollten mit „Jedermann Reloaded“ ein besonderes Hörerlebnis schaffen, um näher an Jedermanns Denken und Fühlen heranzukommen. Auch an die Lyrik, an den Klang, an diese spezielle Sprache. Entstanden ist dann ein intimer Einblick, eine Reise in den Kopf Jedermanns. Und während Hofmannsthal die Gegenwart in der Vergangenheit sichtbar machen wollte, holt unsere Interpretation in der provokanten Attitüde eines Rockkonzerts das Vergängliche im Gegenwärtigen hervor.
2018 sind Sie für den erkrankten Tobias Moretti als Jedermann nach Salzburg gerufen worden. Wie spielte sich das ab?
PH: Ich saß gerade mit der Band in Dresden im Studio, um unsere Platte „Jedermann Reloaded“ aufzunehmen und wir versuchten, den richtigen Sound für die Szene „Auftritt Glauben“ zu finden. Da kam völlig unvermittelt der Anruf. Die Intendantin fragte, ob ich am nächsten Tag einspringen könne. Ich habe ohne nachzudenken Ja gesagt. Es gab eine Art Verständigungsprobe, und schon ging es mit der ersten Vorstellung los. Es war zum Glück eine Abendvorstellung, nicht in der Nachmittagshitze, und alle, inklusive mir, wussten eigentlich nicht, was passiert und haben gebangt, ob es funktioniert.
War das denn schwierig, den Jedermann so wieder auszukoppeln, wenn man schon alle Rollen intus hat?
PH: Ich habe teilweise mit den anderen Rollen mitgesprochen. Manche Kollegen hat das natürlich irritiert. Aber ich habe so versucht, mich in das gemeinsame Spiel einzubringen. Und Dank der tollen Buhlschaft Stefanie Reinsperger, die mich sehr liebevoll an die Hand genommen hat, ist das ein ganz toller Abend geworden. Es war vielleicht die verrückteste Vorstellung meines Lebens (lacht).
Jetzt ging es ja dieses Jahr mit einem Eklat los, Regisseur Michael Sturminger und das Ensemble wurden praktisch entlassen. Robert Carsen führt nun Regie. Wieviel Eigenes kann man bei einer solchen Produktion einbringen?
PH: Der Regisseur Robert Carsen wurde berufen, eine neue Inszenierung zu machen, und er hat sich, aus einer Reihe von Vorschlägen, für mich entschieden. Robert Carsen kommt von der Oper. Was er konkret vorhat, weiß ich noch nicht. Die Proben fangen ja erst Anfang Juni an.
Was sollte erzählt werden, nach den verschiedenen „Jedermann“-Varianten, die Sie schon gemacht haben?
PH: Einen Klassiker wie „Jedermann“ mit seinen Themen über Vergänglichkeit und das Sterben kann man in heutigen Zeiten sehr gut neu entdecken und neu aufladen. Als dieses Stück das erste Mal in Salzburg gezeigt wurde, war Europa in Gefahr, es wurde aufgeteilt und zerteilt, die Monarchie war zerbrochen, keiner wusste, wie es weitergehen würde. Jetzt gibt es wieder überall auf der Welt Gefahren und Kriege – und dieses Stück vom Sterben des reichen Mannes hat nichts an Aktualität verloren und eignet sich hervorragend zur Reflexion und Selbstbesinnung.
Ich denke, mit der Musik, vielleicht ist das Stück eher wie eine Gitarre, auf der man ganz verschiedene Stücke spielen kann: Flamenco, Western-Gitarre, Sachen von Bach, Heavy Metal unplugged, also ganz verschiedene Stile mit demselben Instrument. Man muss sich entscheiden.
PH: Aktuell spiele ich selbst zeitgleich drei unterschiedliche „Jedermann“-Aufführungen; eine mit meiner Band „Jedermann Reloaded“, dann den „Jedermann Remix“, eine Variante mit mehr Beats und Dancefloor-Charakter mit dem österreichischen Mash-up-Künstler Kurt Razelli, und dann noch „Jedermann Reloaded Symphonic“, ein Zusammentreffen meiner Band mit den Salzburger Philharmonikern. Meine Interpretation lässt sich also auch noch immer wieder weiter variieren.
Carsen wird es wahrscheinlich eher ernsthaft und ästhetisch angehen. Es wird sehr spannend, was er als Kanadier mit den merkwürdigen österreichischen Knittelversen macht. Das wird auch für mich sehr interessant, denn meine Auseinandersetzung mit dem Thema ist noch nicht zu Ende.
Katharina Pethkes Film „Jedermann und Ich: ein Porträt in 3 Kapiteln“ von 2023 – es gibt inzwischen eine neue Schnittfassung – identifiziert Ihre Person so mit der Rolle, dass in diesem filmischen Experiment eigentlich das Verschwinden oder die Nichterreichbarkeit des realen Philipp Hochmair thematisiert wird und deshalb kein regulärer Porträtfilm mehr möglich ist.
PH: Das Material zu dem Film stammt aus der Zeit, als ich mich 2013 in den „Jedermann“-Text vertieft habe. In einer solchen Phase bin ich wie auf einem anderen Planeten. Sie konnte mich also nicht mehr für die bei Dokumentarfilmen üblichen Begegnungen und Beobachtungen kriegen und hat dann genau das daraus gemacht.
Sie haben mir mal erzählt, dass Sie eigentlich große Schwierigkeiten haben, Texte zu lernen. Einmal geschafft, die aber nie wieder vergessen. Was ist das für ein Phänomen?
PH: Textlernen ist für mich wie Bergsteigen im Nebel – oder in der Nacht durch eine fremde Stadt taumeln. Aber wenn ich da einmal ganz durchgewandert bin, vergesse ich die erkämpften Wege nicht mehr. So entwickle ich zu einem Text ein Verhältnis wie zu einer Person: Er wird zum Freund – oder zu einer Art Heimatort. Er wird zu einer vertrauten Energie, die ich dann mit dem Publikum teilen kann, wie Musik. Meine grundsätzliche Frage ist immer: Wie komme ich mit diesen komplizierten Texten, mit den Kollegen und dem Publikum in einen gemeinsamen Groove?