Theater der Zeit

Rezension

Kritisch, international, persönlich

Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations

von Christina Röfer

Erschienen in: double 41: Puppe* – Figurentheater und Geschlecht (04/2020)

Assoziationen: Buchrezensionen Puppen-, Figuren- & Objekttheater

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Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles legen mit „Women and Puppetry“ einen Sammelband vor, der sich als erste Publikation in dieser Komplexität dezidiert dem Themenfeld Frauen und Puppentheater widmet.

Ausgehend von der Beobachtung, dass Frauen – wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen – zwar im Figurentheaterbereich stark vertreten, aber im öffentlichen Diskurs damals wie heute weit weniger sichtbar sind als ihre männlichen Kollegen, versammelt der Band konsequent diverse und ausschließlich weibliche Stimmen von Theoretikerinnen und Künstlerinnen, die sich jeweils differenziert mit (weiblichem) Puppentheater in speziellen historischen und kulturellen Kontexten auseinandersetzen und dabei Aspekte wie Gender oder soziales Umfeld ebenso mit einbeziehen wie persönliche Perspektiven.

Dieses breite Themenfeld strukturieren die Herausgeberinnen, indem sie die Beiträge in drei Kapitel einordnen und damit dramaturgisch den Fokus vom Abstrakten ins Konkrete, von gesellschaftlichen Diskursen zu persönlichen künstlerischen Statements schärfen.

Im ersten Teil, „Critical perspectives on women in puppet theatre“, werden gesellschaftliche Diskurse zum Thema Weiblichkeit beleuchtet und im Kontext von Figurentheater erforscht. Während Laura Purcell-Gates den weiblich gelesenen Puppenkörper vor dem Hintergrund des Unheimlichen diskutiert (siehe auch S. 20ff. im Heft), analysiert Deniz Basar Puppentheater als Möglichkeit, um dort über Weiblichkeit und Sexualität zu sprechen, wo kulturelle Normen diese tabuisieren. Kyounghye Kwon wiederum entschlüsselt im Kontext traditionellen Puppentheaters und überlieferter Spuren die gesellschaftliche Rolle von Frauen in Korea.

Historisch gewachsene lokale Szenen an unterschiedlichen Orten werden im Kapitel „Local contexts: challenges and transformations“ untersucht, indem spotlightartig verschiedene Herausforderungen, denen Puppentheatermacherinnen auf vielfältige Weise begegne(te)n, beleuchtet werden. Sei es in Westafrika, wo Frauen sich gegen historisch gefestigte männliche Strukturen durchsetzen müssen (Heather Jeanne Denyer); im Iran, wo Frauen sich mithilfe des Mediums Puppe mehr und mehr von sozialen und familiären Hierarchien emanzipieren (Salma Mohseni Ardehali), oder in England, wo entlang der Frauenbewegungen Punch and Judy Shows adaptiert und im Sinne des Empowerments radikal umgedeutet wurden (Naomi Paxton).

„Women practitioners speak“ versammelt abschließend Beiträge zeitgenössischer Künstlerinnen, die ihre persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen in der Arbeit teilen, ihre Zugriffe und Einflüsse offenlegen und Bilanzen ziehen. So reflektiert die argentinische Künstlerin Ana Alvarado etwa ihre Ästhetik vor dem Hintergrund der Diktatur und im Kontext einer männlich dominierten Kunstwelt, während Parmeres (Veronica) Silanka mit ihrer Arbeit in Kenya vor allem für Mädchen und Frauen alternative Räume jenseits kultureller Restriktionen schafft.

Damit sei nur beispielhaft die Vielstimmigkeit und Multiperspektivität innerhalb des Themenfelds Frauen und Figurentheater verdeutlicht, die der Sammelband eindrücklich erahnbar werden lässt – auch wenn sich die Diversität sicher noch extensivieren ließe. Dass aber selbst eine so sorgfältig ausgewählte Zusammenstellung eher punktuelle Einblicke bieten als ein allumfassendes Bild abgeben kann, ist den Herausgeberinnen durchaus bewusst. So schreiben sie selbst, wenn sie am Ende ihrer Einleitung in die Zukunft blicken, dieses Buch sei „a beginning, not an end“. Ein höchst gelungener Anfang!

Women and Puppetry.
Critical and Historical Investigations. 
Hg. von Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles
Routledge 2019, 222 S., ISBN 9780415787390

www.routledge.com

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