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Aktivismus mit Aussichten
Am Teatr Współczesny in Szczecin sorgt eine neue Truppe für Aufsehen in Polen
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Frank Castorf – „Wallenstein“ in Dresden (06/2022)
Assoziationen: Akteur:innen Europa Dossier: Polen

„Edukacja Seksualna“ heißt das Stück von Michał Buszewicz, das in Polen ein per Gesetz neuerdings verbotenes Schulfach adressiert. Denn die Sexualerziehung wurde von der nationalkonservativen PiS-Regierung an Schulen abgeschafft, fast im gleichen Atemzug, in dem sie das Abtreibungsrecht praktisch bis auf ganz wenige Ausnahmen aufhob. Eine offenbar panische Angst vor der Darstellung von Sexualbeziehungen in differenzierteren Geschlechterverhältnissen trieb die in diesem Punkt antiliberale Kaczynski-Partei in die weitere Spaltung der Gesellschaft, mit der katholischen Kirche im Hintergrund und dazu traditionsfremden Ideen überhaupt.
Die Inszenierung in der Regie des Autors ist eine lockere Szenenfolge ohne jeglich explizite Darstellungen, als Revue des „Entschämens“ dieses Themas. Das Besondere ist vielleicht gar nicht so sehr die pädagogische Aufklärung von Jugendlichen, sondern dass Sex auch für Erwachsene ein schwieriges soziales Problem bleiben kann, jenseits von Beziehungshändel und Pornoeinsamkeit. Fast immer zeigt es Dialoge mit Ende unbekannt – oder eben zum Weiterführen auffordernd. Angeboten wird das Stück für Schüler:innen ab 15 und ist vom Bürgermeister von Szczecin eigens abgesegnet. Der gehört der PO (Bürgerplattform) an und unterläuft damit die Volkserziehung der Regierenden in Warschau. Es ist der in Polens Kultur nicht untypische Konflikt zwischen der Landesregierung und den in vielen großen Städten auch für die Kultur verantwortlichen...