Auftritt
Berlin: Ein Gedicht als Raum
Deutsches Theater: „Starker Wind“ von Jon Fosse. Regie Jossi Wieler, Bühne & Kostüm Teresa Vergho
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Berlin Theaterkritiken Jon Fosse Deutsches Theater (Berlin)
Dieses neue Stück des norwegischen Minimalisten, uraufgeführt beim Fosse-Festival im September in Oslo, ist mit der Bezeichnung „ein szenisches Gedicht“ versehen. Ein Mann sinniert, wie er sagt, nach langer Abwesenheit, an einem Fenster im 13. Stock eines Hochhauses. Ein höchst ungewöhnlicher Ort für Fosse, dessen Figuren zumeist in einsam stehenden Häusern an dunklen Fjorden siedeln, und auch für Norwegen überhaupt, was also heißen könnte, das Stück hat keinen konkreten Ort. Der Monolog des Rückkehrers bewegt sich, nach vielem über Sein und Zeit, auf ein Ehedrama zu: Die Frau hat ihn verlassen für einen Jüngeren – und was jetzt kommt, ist für alle unklar. Und eben auch nicht erklärbar. Oder sehr schwer.
Man kann sich das als einen Monolog vorstellen, der noch zwei weitere Figuren ausstülpt. Das von Fosse häufig genutzte Grundmodell von Drama – zwei sind da, eine dritte Figur kommt und zerstört alles – wird hier ein weiteres Mal gleich doppelt variiert. Jossi Wieler hat dafür zusammen mit Teresa Vergho ein ungewöhnliches Raumkonzept in den Kammerspielen des Deutschen Theaters entwickelt, das den Text buchstäblich öffnet.
Denn zunächst sitzt Bernd Moss in den leeren Stuhlreihen dem Publikum auf der Bühne gegenüber: kein Hochhaus, kein Fenster, kein Interieur, gar nichts für...
