Auftritt
Staatstheater Mainz: Realität, Suff und Rollenspiel
„Opening Night“ von John Cassavetes – Inszenierung Wolfgang Menardi, Ausstattung Martin Miotk, Musik und Sounddesign Erik Herkrath
Assoziationen: Rheinland-Pfalz Theaterkritiken Wolfgang Menardi Staatstheater Mainz

Das Bühnenleben als Himmelfahrtskommando. Da führt die brüchige Showtreppe konsequenterweise ins Nirgendwo. Myrtle Gordon kapert sie trotzdem; sie, die in die Jahre gekommene und aus der Bahn geworfene Schauspielerin aus John Cassavetes Film „Opening Night“ aus dem Jahr 1977. Gena Rowlands, Cassavetes Ehefrau, spielte damals Myrtle Gordon, wobei „spielen“ als Wort zu mickrig für ihre überragende schauspielerische Leistung scheint. Keine dankbare Aufgabe also, in ihrer Nachfolge aufzutreten, wie es jetzt Hannah von Peinen am Mainzer Staatstheater tut. Sie hat wenig von einem Showstar, was auch an ihrem etwas biederen Look liegen mag. Wie im Film bringt eine Begegnung mit einer jungen Frau, die bei einem Autounfall ums Leben kommt, Myrtle aus dem Gleichgewicht. Die verschiedenen Rollen, die sie im Leben spielt, geraten in Disbalance, der Alkohol tut sein Übriges. Regisseur Wolfgang Menardi übersetzt dieses Ungleichgewicht in stürmische Bilder. Sein Ausstatter Martin Miotk hat ihm dafür eine Spielfläche in die Bühnenmitte gelegt, die wirkt wie eine umgedrehte Leinwand. Drumherum arrangieren sich die anderen, die mittelbar mit dem Bühnenstück im Stück zu tun haben, darunter der vor Geltungssucht geifernde Produzent (ordentlich chargierend: Daniel Mutlu), die Autorin des Stücks (mit arroganter Grandezza von Iris Atzwanger verkörpert) sowie die zwei guten Seelen des Abends: Lorenz Klee als traumtänzerischer Requisiteur Bobby und Lisa Mies als treuherzige Ankleiderin Kelly.
Myrtle gerät dabei unter den Einfluss verschiedener Dinge, Alkohol, Alter, Einsamkeit, Überdruss. Die Proben werden auf jeden Fall für alle Beteiligten zur Tortur. Allen voran für den Regisseur, den Johannes Schmidt als Nervenbündel ohne Impulskontrolle gibt. Ebenso betroffen Myrtles Bühnenpartner, im Film von Cassavetes selbst gespielt. In Mainz sieht man in dieser Rolle sehr gern Vincent Doddema zu, der sichtlich Spaß hat, einen Schauspieler zu spielen. Dabei erzählt die mitunter zerfahrene, immer aber ambitionierte Inszenierung nicht nur den Film nach, sondern verhandelt heutige Fragen nach Bühnen- und Hinterbühnenpraxis. Wo fängt Machtmissbrauch an? Wie viel Gewalt auf der Bühne ist erlaubt? Das muss sich auch dieser Abend fragen lassen, der Gewalt gegen und unter Frauen zuweilen drastisch in Szene setzt, sodass Myrtle am Ende als blutverschmiertes Opfer ihrer selbst über die Bühne taumelt. Die Prügelszenen zwischen ihr und Nancy erinnern an Schlammcatchen, trotz ihrer Vehemenz hört man vereinzelte Lacher im Publikum.
In seinen wirklich heiteren Momenten indes wirkt der Abend wie „Der Nackte Wahnsinn“ für Fortgeschrittene. Der rote Vorhang ist zuweilen gut einsehbar und bietet freie Blicke auf das, was hinter den Kulissen geschieht. Im Theater ohnehin oft interessanter als das Geschehen auf der Bühne. Das wiederkehrende musikalische Erik-Satie-Motiv wirkt allerdings so abgenudelt wie manch ein von oben herabfahrender Prospekt für zu viel Brimborium sorgt. Schon bald sind an dem rund zweistündigen Abend Realität, Suff und Rollenspiel nicht mehr auseinanderzuhalten, und die Inszenierung schafft es, zuweilen derart zu irritieren, dass man nicht mehr weiß, ist das jetzt echt oder fake? Dabei wiederholt Menardi Genrekonventionen des amerikanischen Kinos, inszeniert etwa ein Gespräch zwischen Regisseur und Hauptdarstellerin wie ein Verhör in einem Agententhriller, entführt uns später zu einer spiritistischen Sitzung in eine kitschige Tempelanlage, die dem Abend vor allem weitere Schauwerte liefert. Die Eskalationen des Stücks gipfeln in einem Kampf der beiden Stars rund um die eingangs erwähnte abgehalfterte Showtreppe. Die beiden schenken sich nichts und triumphieren als würdige Nachfahren von Martha und George aus Edward Albees Eheschlacht-Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Ein Streifen Stoff mit der Aufschrift „You have changed“ fährt aus dem Bühnenhimmel, ein mehrdeutiges Motto, das auf wechselnde Lebensstufen und Theaterrollen verweist und nahelegt, dass Veränderung nicht nur zur Schauspielerei, sondern zum Leben gehört.
Erschienen am 10.9.2025