Theater der Zeit

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Auftritt

Opernhaus Zürich: Mehr als eine Farce

„Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss – Musikalische Leitung Joana Mallwitz, Inszenierung Lydia Steier, Ausstattung und ästhetische Gesamtkonzeption Gottfried Helnwein

von Elisabeth Feller

Assoziationen: Schweiz Theaterkritiken Musiktheater Lydia Steier Opernhaus Zürich

Ein Plädoyer gegen Opern-Machos? Lydia Steier inszeniert Strauss „Der Rosenkavalier“ am Opernhaus Zürich.
Ein Plädoyer gegen Opern-Machos? Lydia Steier inszeniert Strauss „Der Rosenkavalier“ am Opernhaus Zürich.Foto: Matthias Baus

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Schön, dass es im Theater immer wieder Momente gibt, die einen wissen lassen: Das kommt gut. Eben dies denkt man, wenn im Opernhaus Zürich zu Beginn der neuen Intendanz von Matthias Schulz die ersten Takte von Richard Strauss’ „Der Rosenkavalier“ gespielt werden und sogleich klar wird: Bei Joana Mallwitz ist diese Oper in den besten Händen. Der Orchesterklang blüht in der Eingangsszene schon kräftig auf, doch ohne Schwere – „dick“ wird er auch in der Folge nie werden. Dafür setzen Orchester und Opernhaus-Debütantin Joana Mallwitz auf eine Transparenz, die selbst komplexe Stellen der Partitur entflechtet und wunderbar zum Leuchten bringt, woran die Soli von Streichern oder Bläsern ihren maßgeblichen Anteil haben. Man bewundert an dieser Premiere vieles – etwa die präzisen Akzente und das stete Fließen der Musik – das Zügige, das selbst die gebrochen melancholische Walzerseligkeit vorwärtstreibt, ohne ins Hektische zu verfallen. Fließen soll die Musik – und so fließt auch die Zeit: „Unaufhaltsam“, singt die übers Altern sinnierende Marschallin und bilanziert bittersüß: „Allein man muss sich auch vor ihr nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat.“ 

Fließen, vielmehr das Voranschreiten der Zeit, steht als ungeschriebenes Motto über der Inszenierung von Lydia Steier: auch sie wie Joana Mallwitz erstmals am Opernhaus Zürich arbeitend und kürzlich für die Spielzeiten 2027 bis 2029 zur neuen und bisher jüngsten Intendantin der Ruhrtriennale gewählt. Steier hat den „Rosenkavalier“ vor zwei Jahren am Luzerner Theater inszeniert, wo sie Operndirektorin war. Nun stellt sie ihre neue Sichtweise vor, die geprägt ist von der Ausstattung und ästhetischen Gesamtkonzeption Gottfried Helnweins. Wohlig zurücklehnen im Sessel kann man sich dabei nicht. Helnwein setzt mit Knallgelb, Knallrot und kalkigem Weiß (für Gesichter) auf grelle und ungemütliche Farben sowie auf Masken, Fratzen und – starke Bilder. 

Wenn die Marschallin etwa nach dem Besuch ihres Vetters Baron Ochs auf Lerchenau allein zurückbleibt, erscheinen im dunkelblauen Bühnenbild Videos von Totenschädeln. Die Botschaft mag plakativ sein, aber sie wirkt: niemand kann der Zeit und dem Tod entfliehen. Diese intime Szene steht in krassem Gegensatz zu anderen Szenen, in denen Lydia Steier große Gruppen in temporeiche, mitunter bis ins Aberwitzige gesteigerte Arrangements führt. Diese Menschen verweisen mit ihren fantasievollen Kostümen ebenso auf das Rokoko eines fiktiven Wien wie auf das Fin de siècle.

Als leichtfüßige Komödie einer dekadenten Epoche kann man Steiers Inszenierung nicht sehen.  Dafür werden die Intrigen vor dem Hintergrund einer zerfallenden Gesellschaft zu drastisch aufgefächert: eine Gesellschaft, die Macht und Luxus des Adels kennt (Marschallin), aber auch Neureiche wie Faninal, die gesellschaftlich nach oben drängen. Ochs wiederum ist die derbe Verneinung all dessen, was man als Vornehmheit (des Herzens) bezeichnet, weshalb er sich auch mit einer Dienerschaft umgibt, die in Faninals Haus Jagd auf weibliche Bedienstete macht. Das wirkt im Verbund zu Ochs’ verachtenden Äußerungen über Frauen, die in der heutigen Zeit Alarmglöckchen läuten lassen, heftig. Doch es kommt noch schriller im letzten Akt, in dem sich die Intrigen schließlich auflösen.

Blutrot und mit riesigen Frauenporträts versehen, ist der Raum, in dem Ochs mit dem als Zofe Mariandl verkleideten Octavian, speisen will. Dieser wird zur Folterkammer, wo sich Ochs von Octavian fesseln und schlagen lässt, bis die Marschallin auftritt und mit Octavian und Sophie zum berühmten Terzett anhebt, das alles Vorherige vergessen lässt. Denn laut Marschallin ist doch alles nur eine „Farce“ – im Rahmen der fließenden Zeit. Ende gut, alles gut? Zwar endet Strauss’ Oper, zu der Hugo von Hofmannsthal das unvergleichliche Libretto geschrieben hat, versöhnlich – trauen will man der Sache aber dennoch nicht. Zumindest nicht den ambivalenten Figuren und deren unwägbaren Zuständen in Lydia Steiers Inszenierung, die von Orchester, Dirigentin sowie Sängerinnen und Sänger kongenial mitgetragen wird. Diana Damrau lässt als Marschallin in ihre so bewegliche, warme Stimme stets einen Hauch von Distanz einfließen, wenn sie nicht mit ihresgleichen im Kontakt ist; analog zu ihrer Kollegin vereint auch Angela Brower in ihrer Octavian-Interpretation exzellente Artikulation, Klarheit und sichere Höhe zu einem souveränen, dem Image des harmlosen „Buben“ trotzenden Rollenportrait; Emily Pogorelc schwingt sich als Sophie mit ihrem Sopran leicht in die Höhe, behält aber eine gewisse Erdverbundenheit. Günther Groissböcks Ochs ist ebenfalls eine Idealbesetzung. Auch er hat wie die Genannten eine natürliche Lust an der Gestaltung. Stimmlich gibt er in mannigfachen Schattierungen alles: er ist deftig, derb, schneidend scharf, aber auch schmeichelnd. Somit ist das Strauss-Glück in Zürich perfekt. 

Erschienen am 23.9.2025

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