Theater der Zeit

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Röggla I–III. I: Wir sind das Klima-Problem

Regisseur Jan Gehler braucht in Dresden keine Effektverstärker für die Uraufführung von Kathrin Rögglas „Das Wasser“

von Michael Bartsch

Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)

Assoziationen: Akteure Sprechtheater Theaterkritiken Dramatik Staatsschauspiel Dresden

Im Angesicht einer voranschreitenden Katastrophe: Sarah Schmidt, Philipp Lux, Christine Hoppe, Moritz Dürr in „Das Wasser“ in der Regie von Jan Gehler am Staatsschauspiel Dresden. Foto Sebastian Hoppe
Im Angesicht einer voranschreitenden Katastrophe: Sarah Schmidt, Philipp Lux, Christine Hoppe, Moritz Dürr in „Das Wasser“ in der Regie von Jan Gehler am Staatsschauspiel Dresden.Foto: Sebastian Hoppe

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Wir werden etwas kommen gesehen haben“, blickt die „Frau mit Zukunft“ dreißig Jahre voraus. Die Folgen des Klimawandels in seiner feucht-trockenen Dimension nämlich, mit dem sie sich aber erst befassen will, „wenn die Kinder groß sind“. Unter anderem mit diesem Zitat kündigt das Staatsschauspiel Dresden die Uraufführung des jüngsten Auftragswerks an Kathrin Röggla an. Wäre nicht sie die Autorin, hätte sich erst einmal Skepsis eingestellt. Aha, wieder ein Spiel mit der Apokalypse, gar eine masochistische Untergangsverliebtheit wie in amerikanischen ­Katastrophenfilmen?

Text (siehe Stückabdruck S. 38) und Inszenierung aber verweigern den Besuchern im Dresdner Kleinen Haus jeden reißerischen Kitzel, jedes wohlige Gruseln bei der Vorführung einer Katastrophe. Die steht zwar als unüberwindliche Mauer, als schwarze Wand symbolisch vor uns. Aber sie bietet auch einen Durchbruch, ein Loch, das den Blick auf ein sanft plätscherndes Meeresidyll dahinter freigibt. Dieses starke Bühnenbild von Sabrina Rox stellt von Anfang an klar, dass es eine Handlungsoption, eine Alternative gibt.

Wer aber sollte handeln, wenn nicht wir als Menschheitskollektiv? „Wasser“ ist auch ein Stück über das Anthropozän, zu dem das Programmheft einen kleinen Essay von Eva Horn beisteuert. Die zivilisatorischen Schäden haben wir selbst ausgelöst. Nicht ein anonymes bedrohliches ES macht etwas mit uns, sondern wir sind selbst die Subjekte. Nicht ETWAS kommt auf uns zu, wir selber bedrohen uns.

Dieses Postulat zieht sich durch den gesamten Text. Und Regisseur Jan Gehler folgt dem nicht nur, er gestaltet auch eine Unmittelbarkeit, der man sich nicht entziehen kann, schafft eine interaktive Atmosphäre. Der dramaturgisch geschickte Aufbau ­begünstigt diesen Publikumsanschluss. Der erste Teil „Die Flut“ bindet bei den Leuten und ihren Erfahrungen an. Kathrin Röggla hat in Sachsen zur Starkregenkatastrophe 2002 recherchiert, die 19 Jahre später im Ahrtal noch übertroffen wurde.

Es ist „das Volk“, das sich über solche Folgen beklagt. Plastisch wird geschildert, wie der harmlose Fluss „plötzlich im Wohnzimmer steht“. Auch physisch, nicht nur metaphorisch gesehen steht uns das Wasser bis zum Hals. Adressat sind einmal mehr „die da oben“, aber sinnigerweise drängt die Gruppe der sieben Spieler mit der Anklage bis an die Rampe vor und auf das Publikum ein. Ein langer, chorisch oder aufgeteilt gesprochener Monolog. Warum zu Beginn mit Mühe ein Klavier hereingeschoben wird, erschließt sich als Bild und nach fragmentarischen Traktierungen der Tastatur nicht sogleich. Vielleicht, weil sonst nichts auf der Bühne steht, an dem man sich festhalten kann.

Die Welt ist aus der Ordnung, und die Kostüme von Katja Strohschneider sind es auch. An diesem Volk stimmt auch äußerlich etwas nicht. Der legere, modische Freizeitlook wird gebrochen durch seltsame Verknotungen und Anhängsel, Zwitter zwischen Fell und Jackett. Auch wenn eingangs schon die Ahnung geäußert wird, dass wir „nachher alles gewusst haben werden“, werfen Text und Regie zunächst einen populären Köder aus und machen sich lustig über die, „die uns nicht Bescheid gesagt haben“. Die Politiker und Verantwortungsträger, die im anschaulich-wörtlichen Sinn „auch nur mit Wasser kochen“. Einer dieser Verantwortungslosen, Leiter einer Beratungsfirma, wird übrigens ziemlich treffend von Regisseur Jan Gehler selbst karikiert. Er rettete damit den wegen positiver Corona-Tests bereits einmal verschobenen zweiten Premierenabend und lieferte zugleich eine vergnügliche Probe seines darstellerischen Könnens, die zu genießen den Dresdnern in seiner Zeit als Hausregisseur am Staatsschauspiel versagt blieb.

Doch nach und nach wendet sich die Szenerie immer nachdrücklicher an uns, an alle. Mit dem der Autorin eigenen Sarkasmus, ja manchmal Zynismus einer pointierten Sprache. Als Ausweg aus der sukzessive voranschreitenden Katastrophe bringt sie eine Ökodiktatur, ein „Kurzzeitchina“ ins Spiel. Mit dem alttestamentlichen Propheten Jona hat Kathrin Röggla die passende Parabel entdeckt. Er soll der Stadt Ninive Gottes Zorn und den drohenden Untergang verkünden, kneift aber. Von Bord gegangen und vom Walfisch gerettet, erfährt er in dessen Bauch seine Katharsis.

Diese Hoffnung bleibt immerhin, und folglich liegt der Walfischbauch irgendwo in einem nebligen Raum hinter dem Mauerloch. Jan Gehler verzichtet auf jegliche naturalistische Fantasy-Mätzchen, vertraut ganz auf die fantasievollen Kostüme der Mitbewohner Jonas.

Doch die Mauer rückt bedrohlich weiter vor, die Mahnungen werden eindringlicher, die Skepsis wächst. Sind diese vorgeführten narzisstischen Typen mit ihrem beschränkten Horizont überhaupt zu einer Umkehr fähig? „Ihr habt uns alt gemacht“, klagen zwar die jungen freitagsaktiven Klimaretter. Aber sogar sie kommen auch nicht „aus IKEA oder der Tanke raus“.

Der Ton wird schärfer, während sich die Bewegungen der sieben Spieler verlangsamen. Die Stimmung und die Lichtstimmung verdüstern sich. Ungeheuerliches wird lakonisch besprochen, ein geradezu malthusianistischer Gottesplan erörtert, die Menschheit um ihres Erhalts willen zu dezimieren. Wer soll zuerst sterben? Das Wasser, Symbol der Lebenskraft, besteht nur noch aus Müll, wird zu Beton.

Gerade weil Jan Gehler auf plakative Forcierungen verzichtet und ganz auf die Kraft des Wortes und die Leidenschaft der Akteure vertraut, wirkt dieses Menetekel so eindringlich. Drei Silhouetten schauen final auf das in Dunkelheit versinkende Meer. „Uns betrifft es schon nicht“, belügen sie sich noch einmal selbst. //

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