Theater der Zeit

Auftritt

Düsseldorfer Schauspielhaus: On Stage mit Keun

„Die fünf Leben der Irmgard Keun“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz (UA) – Regie Mina Salehpour, Bühne Andrea Wagner, Kostüm Maria Anderski

von Sarah Heppekausen

Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Sarah Nemitz Mina Salehpour Lutz Hübner Düsseldorfer Schauspielhaus

Claudia Hübbecker als Irmgard Keun in „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ am Schauspielhaus Düsseldorf.
Claudia Hübbecker als Irmgard Keun in „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ am Schauspielhaus Düsseldorf.Foto: Melanie Zanin

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Was für eine Frau! Pelzmütze auf dem Kopf, Sektglas in der Hand, der klassische Trenchcoat bleibt geschlossen. „Ich interessiere mich nicht für die Vergangenheit, nicht mal für meine eigene“, sagt sie. In ihrer lässigen Schnoddrigkeit, die bei Schauspielerin Claudia Hübbecker zugleich unbezweifelbare Ernsthaftigkeit innehat. Jedes Wort glaubt man ihr, selbst wenn sie es mehr wegrotzt als vorträgt oder angetrunken lallt. Jeder Satz hängt nach. Abgeklärte, zynische, brutal ehrliche, einsam klingende, witzige, knapp analysierende, austricksende Sätze. Klar, Sprache ist die Stärke dieser Frau. Irmgard Keun war eine erfolgreiche Schriftstellerin, bis die Nazis ihre Bücher auf die Vorläufer der „Schwarzen Liste“ setzten. Jetzt – 1977, über 40 Jahre später – schaut sie dabei zu, wie ein WDR-Fernsehteam ihr Leben für einen 30-minütigen Dokufilm in Szene setzen will. 

Eine absurde Situation, die Lutz Hübner und Sarah Nemitz in ihrem neuen Stück „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ zur Grundlage machen. Keun nimmt die Filmsequenzen auseinander, sie wurde schließlich danach gefragt: „Spiel keine Inspiration, Liebes … Inspiration ist was für Dilettanten, Profis setzen sich hin und arbeiten.“ Und formuliert gleich im Anschluss in wenigen Worten ein ganzes Lebensgefühl, ein Bild der Geschichte: „Dafür sind wir Schriftsteller. Beobachten, ordnen, aufschreiben und dann hoffen, dass man etwas bewirkt. Anstatt eine Waffe zu nehmen und Hitler zu töten, solange das noch möglich war.“ Es ist ein bitterer Genuss, solche Sätze zu lesen. Das Autor:innenduo schreibt kurzweilig, aber nachhallend. Und Hübner und Nemitz mischen die Zeitebenen. Keun trifft auf Joseph Roth am Strand in Ostende (wo sie 1936 einige Wochen mit anderen Exil-Schriftstellern verbrachten), trinkt auf einer Party in den USA mit dem Arzt Arnold Strauss, der sie jahrelang finanziell unterstützte. Und diskutiert mit Ärzten und Therapeutin in der Psychiatrie (ab 1966 verbrachte sie sechs Jahre im Landeskrankenhaus Bonn). Keuns fragmentarisches Leben spiegeln die Autor:innen im Wechselspiel von Erleben und Erinnerung, von Fiktion und Realität, wobei letztere im Theater doch wieder Fiktion ist – oder? 

Dafür schmeißt das Team am Düsseldorfer Schauspielhaus um Regisseurin Mina Salehpour die Illusionsmaschine an. Das Publikum sitzt auf weißen Drehstühlen auf der Bühne. Kreisrund läuft ein Gaze-Vorhang um die Bühne – gespielt wird davor und dahinter, das Licht zeichnet dann großformatige Schattenbilder, stimmungsvolle Szenen eines filmreifen Lebens. Dann plötzlich dreht sich die Bühne oder schwankt, weil wir auf einem Schiff sitzen. Oder wir blicken in den realen Backstage-Bereich (natürlich, es ist ein Filmstudio). Das Setting (von Andrea Wagner) ist spannend, aber es will zu viel. Zu viele Lichteffekte, zu viele Sichtwechsel, zu viele Drehmomente, die das Tempo des Stücks unnötig verlangsamen und gegen die Schärfe arbeiten. Dabei ist es genau diese Klarheit, die fasziniert, in der Figur wie im Stücktext. Claudia Hübbecker gibt sie ihrer Keun in ihrer Haltung, in ihrem Blick, in ihrem Sprechen. In ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit dem banalen Leben gegenüber ist ihre Figur nie emotionslos, immer gradlinig. In ihrer Verletzlichkeit ist sie zäh. Sitzt sie mit ihrer Sonnenbrille vor den Augen im sonst leeren Zuschauersaal, füllt sie das Bild ikonisch. 

Und dann sind da ja noch die anderen, die Begegnungen der Jetztzeit und die der Vergangenheit. Aber sie sind hier vor allem Dialogpartner:innen für die Protagonistin. Die ersten zwei Szenen, in denen Irmgard Keun noch nicht als reale Figur auftritt, sind in Salehpours Uraufführung gleich ganz gestrichen. So bleiben die anderen schwächelnde Statist:innen gegen die Einsamkeit. Die eine knabbert an ihren Fingernägeln (Pauline Kästner als junge Keun-Darstellerin), die andere ist zickig, will sich vor allem selbst verwirklichen (Tabea Bettin als alte Keun). Thiemo Schwarz spielt den Film-Regisseur unbeholfen komisch. Zu bedauern ist der in seiner Möchtegern-Professionalität.  

So prägt vor allem Hübbecker diese Inszenierung – neben dem Bühnenbild. Irmgard Keun sagt zum Ende hin: „Ich glaube niemandem mehr. Ich habe selbst zu viele Lügen erzählt, als dass ich irgendjemandem glaube. Die junge Frau: Du wirst wiederentdeckt. Keun: Ich war nie weg.“ Ihre Klarheit trägt immer auch die Tragik in sich. Schmerz und Lebenslust, Empörung über Nazideutschland, Humor und immer wieder dieser Zynismus. Alles in ihren Worten, alles im Stück. Da braucht es keinen Fährmann, der Keun als Todesbote über die Drehbühne schippert.  

Das Stück wurde in TdZ 01/2023 veröffentlicht und kann hier gelesen werden. Ein Interview mit Lutz Hübner und Sarah Nemitz über die Uraufführung ihres neuen Stücks „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ am Düsseldorfer Schauspielhaus finden Sie hier.

 

Erschienen am 21.1.2023

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