Theater der Zeit

Auftritt

Schauspiel Wuppertal: Generalabrechnung mit der Menschheit

„Klimatrilogie“ von Thomas Köck – Inszenierung Jenke Nordalm, Bühne und Kostüme Vesna Hiltmann, Musik Ulf Steinhauer

von Stefan Keim

Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Dossier: Klimawandel Thomas Köck

Lara Sienczak (im Vordergrund) in „Klimatrilogie“ am Schauspiel Wuppertal. Foto Uwe Schinkel
Lara Sienczak (im Vordergrund) in „Klimatrilogie“ am Schauspiel WuppertalFoto: Uwe Schinkel

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Mit riesigen schwarzen Zöpfen tritt Lara Sienczak auf. Blass geschminkt ist das Gesicht, halb Puppe, halb Moderatorin spricht dey mit jelinekschem Sarkasmus einen bewusst bösen Text über Ertrunkene, Geflüchtete, Gequälte, Verachtete. Dann springt die Aufführung in den brasilianischen Dschungel Ende des 19. Jahrhunderts. Es geht um Kautschuk und ein Opernhaus, Ausbeutung und europäische Hochkultur. Ein Lianenvorhang und Plastikmüll illustrieren den Text. Was hat das alles mit dem Klimawandel zu tun? Diese Frage beschäftigt das Publikum nicht selten in der Wuppertaler Aufführung.

Autor Thomas Köck lässt die Gedanken schweifen. Seine „Klimatrilogie“ besteht aus assoziativen Texten voll sprudelnder Gedanken und sprachlicher Dichte, ja sogar Schönheit und Komik. Ein Textungetüm, aus dem sich jedes Theaterteam seine Spielfassung herausschlagen muss. Nicht selten gehen die Gedanken zu den Werken Elfriede Jelineks. Doch Köck schafft eine größere Stimmenvielfalt, bleibt in einigen Monologen durchaus bei Figuren, in die man sich zumindest ansatzweise hineindenken kann. Das macht die Annäherung ein bisschen leichter.

Natürlich gibt es Verbindungen. Der Kautschuk-Abbau und der Kolonialismus sind ein Grund für die Migration und Flucht unserer Gegenwart. Das muss man vorher wissen, und viele, die ins Theater gehen, sind ja auch historisch informiert. Die anderen sind nur leider nicht gemeint in solchen Aufführungen, weshalb das Publikum außerhalb der Metropolen überschaubar bleibt. Wie bei der Premiere in Wuppertal.

Jenke Nordalm inszeniert eine Generalabrechnung mit der Menschheit. Eine Frau (Silvia Munzón Lopez) geht durch eine apokalyptische Vorstadt, durch Krieg und Gewitter (ah, Extremwetter, Klimatrilogie, mal ein direkter Hinweis auf den Titel). Die Szene wechselt in eine herrlich zynische Abrechnung mit der Welt der Kriegsfotografen. Für sie ist das Grauen und Leid vor allem Karrierebeschleuniger und Gelddruckmaschine. Wer den tollsten Tod knipst, ist der King.

Dann kommt der Schauspieler Alexander Peiler ins Publikum, verteilt Kärtchen, verspricht eine große Show, die auch nur noch vierzig Minuten dauern wird. Er fragt mich, ob ich ein Bier will. Und weil ich mich nicht abgeneigt zeige – man will ja auch das Ensemble während der laufenden Premiere nicht verstören – läuft er hinter die Bühne und bringt mir eine kühle Flasche Pilsener Urquell. Das allerdings stürzt mich in Konflikte. Muss ich es nun der Redaktion offenlegen, dass ich einen geldwerten Vorteil vom Wuppertaler Schauspiel angenommen habe? Ich entscheide mich dafür, das in den Text zu schreiben – was ich hier gerade mache –, dann können alle selbst entscheiden, ob ich nun befangen bin.

Mit einem Drittel Liter Bier im Magen macht auf jeden Fall die nun folgende schräge Modenschau durchaus Spaß, ebenso eine wohlformulierte, fast schon kabarettistische Bahnschelte. Doch dann wird es wieder ernst. Chinesische Wanderarbeiter (mein Bierbringer und der Intendant Thomas Braus), die billige Klamotten herstellen, reisen nach Italien. Um dort festzustellen, dass sie dort genauso ausgebeutet werden und sie am Strand in der Nähe nicht baden dürfen, weil das Wasser verseucht ist. Das Finale gestaltet der hünenhafte Stefan Walz als uniformbejackter Rechtsdenker. Er will die Grenzen schließen und alle Fremden aussperren, dann wird alles wieder gut.

Die „Klimatrilogie“ in Wuppertal ist gut gespielt und technisch genau inszeniert, besonders gelingt die Verzahnung der Texte mit Soundscapes und musikalischen Zitaten, die von fern heranwehen. Ein ebenso unterhaltsamer wie aufgrund der mäandernden Themen anstrengender Abend, die teilweise sehr schlechte Luft im Theater ist der Konzentration nicht zuträglich. So richtig wird nicht klar, wohin die Inszenierung will, aber man hat sich mal wieder ein bisschen mit Themen beschäftigt, die in den Nachrichten vorkommen.

Diese Mischung aus handwerklicher Qualität und inhaltlicher Oberflächlichkeit ist keinesfalls ein Wuppertaler Problem. Viel zu oft beschäftigen sich Theater durchaus intensiv mit wichtigen Problemen. Doch dann ziehen sie sich hinter eine Sicherheitswand aus Verfremdungen und bildungsbürgerlichem Anspruch zurück. Der nicht mehr aus der Kenntnis von Goethe und Thomas Mann sondern aktuellen Debattenständen besteht. So verpufft die Wirkung, und der Aperol Spritz danach spült die Ahnung der bevorstehenden Apokalypse hinweg. Nebenher: Danke für das Bier.

Erschienen am 4.9.2023

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