Auftritt
Maxim Gorki Theater: Kunst ist da, wo Schmerz ist
„Brasch – Das Alte geht nicht und das Neue auch nicht“ mit Texten von Thomas Brasch – Regie Lena Brasch, Bühne Karl Dietrich, Joel Winter, Kostüme Marilena Büld, Musik Paul Eisenach, Wenzel Krah, Choreografie Greta Baumann
Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Thomas Brasch Maxim Gorki Theater

„Wir sind die Töchter der Angst / Von den Müttern der Angst / Von den Vätern der Angst den Söhnen der Angst / sind wir die Enkel der Angst / irgendwo hats angefangen“, singen Jasna Fritzi Bauer und Klara Deutschmann im vernebelten Studio Я des Maxim Gorki Theaters. Zwischen den Silben dieser Zeilen tritt hervor, woran sich die Regisseurin Lena Brasch mit dieser Inszenierung versucht: Es ist eine generationelle Begegnung in der Sprache – in alten und neuen Sätzen, fremden und eigenen Worten und immer wieder auch in der liebevollen Arbeit an ihnen. Denn: Lena Brasch ist die Nichte des Schriftstellers und Dramatikers Thomas Brasch und hat sich für ihre Inszenierung „Brasch – das Alte geht nicht und das Neue auch nicht“ die Texte ihres Onkels vorgenommen. Ausgangspunkt ist sein 1983 uraufgeführtes Stück „Mercedes“, in dem sich zwei arbeitslose Menschen auf der Straße begegnen und ins Gespräch kommen. Sie heißen Oi und Sakko und phantasieren sich gemeinsam in erdachte Lebensrealitäten. Doch ihr Dialog gleicht einer Eisbahn: Die Aussagen schlittern aneinander vorbei, rutschen ungelenk hin und her. Ihr Sprechen erscheint künstlich – wie ein haltloses Hin und Her ohne absehbares Ziel, in dem sich hin und wieder eine diffuse Sehnsucht nach Nähe aufdrängt. Das Stück entwirft das Portrait einer Jugend, die – in der Starre eines drohenden Atomkriegs verharrend – mit diversen ‚Losigkeiten‘ konfrontiert ist: Arbeitslosigkeit, Bindungslosigkeit, Lieblosigkeit.
Lena Brasch erkennt in der Arbeit ihres Onkels eine Aktualität, die sie mit ihrer Inszenierung aufzudecken beabsichtigt. Der entscheidende Hebel: eine dritte Figur, mit der die Regisseurin den „Mercedes“-Dialog immer wieder unter- und aufbricht. Es ist eine Figur mit verschiedenen Gesichtern – mal ist es Thomas Brasch, mal Lena Brasch und mal eine Spiegelfläche für uns alle: „Jeder ist auch Keiner / Und ich bin Alle auf einmal“, singt Jasna Fritzi Bauer, während das Bühnenbild – polierte Autofelgen in einem mit Schiebetüren verkleideten Regal – in rotes Licht getaucht werden. Alle Mittel, die an diesem Abend zum Einsatz kommen, verfolgen ein gemeinsames Ziel: Es geht darum, der Sprache Thomas Brasch‘ eine Bühne zu bauen. Wenn Nebel den Saal flutet, dann nur, um den anschließenden Worten einen Teppich auszurollen. Wenn Ironie eingesetzt wird, dann so, dass der anschließende Text das Publikum unmittelbarer trifft – den Schmerz sichtbarer werden lässt. Lena Brasch wählt eine Form, die bewusst ein Stück zurücktritt. Eine Form, die darauf zielt, die Worte des Autors wirken zu lassen. In der tastenden Erkundung der Texte wächst die Inszenierung Schritt für Schritt zu einer vorsichtigen Liebeserklärung. Die Regisseurin erkennt in den Texten ihres Onkels einen Schmerz und hebt seine Zeilen bewusst hervor: „Ich flüstere meine Liebe in den Saal […] Durch die Reihen geh ich, seh Gesichter, / hör die Träume durch die Schädel schleichen. […] Nehm das Messer und / zerschneide meine Sprache. Blut fällt auf die Bretter. / Mein Gesicht zieh ich vom Kopf wie eine Haut und / die Masken aus der Tasche.“ Dass ihre eigens erdachte, dritte Figur mit solchen Passagen immer wieder den Dialog zwischen Oi und Sakko außer Gefecht setzt, um sich in verschiedene Texte des Autors zu versenken, folgt einer Dringlichkeit: Es geht darum, den Schmerz nicht zu beenden. Denn „den Schmerz beenden zu wollen, ist nichts anderes als eine Todessehnsucht.“, erklingt es in einer Tonaufnahme des Autors. Kunst ist hier – das scheint die Regisseurin in der Arbeit ihres Onkels zu erkennen – der Versuch, in dem Erleben von Schmerz die Welt zu überleben.
Lena Brasch folgt mit ihrer Inszenierung den Spuren ihres Onkels, doch sie stößt nach ein paar Schritten ganz unmittelbar auf eigenen Schmerz: Sie erzählt davon, wie sie einen Schwamm kauft, um einen beschmutzten Stolperstein zu reinigen. Und wie sie dabei an ihre jüdische Großmutter denkt. Die Texte des 2001 verstorbenen Dramatikers öffnen eine Pforte, durch die unsere Gegenwart in seine Worte strömt. Lena Brasch mischt diesen Strom mit Musik: Ein Cover von Tanita Tikarams Song „Twist in my Sobriety“ untermalt einen wilden Bewegungsrausch Edgar Eckerts, in dem sich alte und neue Zerrissenheiten physisch Bahn brechen. Eckert wirft sich hin und her; gerät außer sich, während der Popsong langsam ausklingt. Am Ende des Abends lauscht das Publikum einem Cover von Chris Isaaks „Wicked Game“, das Bauer wütend überschreit. „No, I don’t wanna fall in love.“, brüllt sie das Lied an. Das ist es, was Brasch in Brasch findet: die Kunst als Ort, an dem Schmerz gefühlt wird.
Erschienen am 24.2.2025