Theater der Zeit

Thema

Den Körper befreien

Adrienn Hód, Gründerin der Tanzkompanie Hodworks, im Gespräch mit Csaba Králl

von Adrienn Hód und Csaba Králl

Erschienen in: Theater der Zeit: Unter Druck – Das Theater in Ungarn (04/2018)

Assoziationen: Akteure Tanz

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Adrienn Hód, seit wann betrachten Sie sich selbst als Choreografin?
Praktisch seit der Zeit, als ich mit dem Tanzen aufgehört habe, also ungefähr ab meinem dreißigsten Lebensjahr. Ab da betrachtete ich schon von außen, was die anderen tun. Ich tanzte nicht mehr vor, sondern bewegte die Tänzer mit Worten und anderen Praktiken.

Sie arbeiten nicht nur als Choreografin, sondern auch als Tanzpädagogin. Sie unterrichten regelmäßig an der Budapester Zeitgenössischen Tanzhochschule, und auch Ihre Gruppe Hodworks hat ein pädagogisches Programm, womit Sie durch das Land touren. Wie unterrichtet man heutzutage Tanz?
Mein Trick ist, dass ich nicht die Rolle der Pädagogin einnehme, sondern versuche, direkt zu sein. Damit die Schüler sehen, dass ich den Mut habe, alles zu machen; ich bin frei, sowohl emotional als auch gedanklich, physisch und verbal. Das befreit sie sehr. Sie öffnen sich viel leichter, wenn ich auch ein bisschen schräg bin. Die Arbeit mit meiner Gruppe färbt oft auf den Unterricht ab und umgekehrt. Es gibt eine Wechselwirkung, eine Rückkopplung zwischen den beiden Dingen. Oft bringe ich Aufgaben von der Arbeit mit meiner Truppe zum Unterricht mit. Es interessiert mich, wie die Kinder auf diese Fragestellungen reagieren und welche Antworten sie darauf geben.

Sie haben Ihre Gruppe Hodworks vor mehr als zehn Jahren, im Jahr 2007, gegründet. 2011 hat sich viel verändert. Sie haben angefangen, als ein professionelles Ensemble zu funktionieren, nach einer bestimmten Methode zu arbeiten, abendfüllende Choreografien zu produzieren und zu präsentieren. Dann kamen auch internationale Erfolge, Gastspiele und Festivaleinladungen. Wie sehen Sie diese zwei Perioden?
2007 startete ein wichtiges Projekt mit dem Titel „Die Erforschung des Unbekannten“, das brachte uns ein großes Stück weiter, weil wir frei experimentieren konnten. Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, zu verstehen, was es bedeutet, ohne Produktionszwang zu forschen. Das befreite mich. Dann entstand daraus zwar doch noch eine Aufführung, aber es hat in mir vieles gelockert. Ich fing an, die Vorstellung als Form anders zu behandeln. Damals konnte ich loslassen, ich wollte nicht erfolgreich sein, sondern nur experimentieren; am radikalsten 2010 mit dem Stück „Alltägliche Routine“, damals hörten wir auf, Förderung zu beantragen. Ab 2011 mit dem Stück „Basse danse“ gab es viele Veränderungen. Die Probenprozesse dauerten ein bis zwei Jahre, zu dieser Zeit wurde Hodworks zu einem richtigen Ensemble. Zu den Tänzerinnen – Júlia Garai und Emese Cuhorka – gesellten sich die großartigen Tänzer – Csaba Molnár, Marco Torrice und Márcio Canabarro –, es entwickelte sich ein belastbarer Kern, auf den ich mich auch als einen kreativen Partner stützen konnte. Die Arbeit eines Choreografen ist immer mit Verantwortung verbunden. Mit wem arbeite ich zusammen, wie lange und was ist unser Ziel. Es wird nicht ausgesprochen, aber wenn es ernst wird, die Energien sich verdichten und auch die Tänzer die Situationen auf sich nehmen, dann darf ich mit Zeit, Energien, Menschen und Geldern nicht spielen. Das ist Verantwortung.

Seit Ihrem „Basse danse“ im Jahre 2011 sind sechs weitere Stücke entstanden, in denen Nacktheit vorkommt. Inzwischen ist Nacktheit in Ihren Arbeiten so natürlich wie woanders das Kostüm.
Ich möchte den Körper von Vorurteilen befreien. Den Körper so zeigen, wie er ist. Nacktheit ist nicht immer sexuell, sie ist die natürlichste Sache der Welt. Ich bewundere den Körper, für seine Vollkommenheit, es ist alles dran. Fett, Muskulatur, Haut, Proportionen, Knochensystem, Schweiß. All dies verschwindet, wenn sich jemand anzieht. Für mich ist die Nacktheit die Kleidung selbst. Evidenz des Körpers. In manchen Situationen stört mich die Kleidung an den Tänzern, weil ich keine andere Bedeutung auf sie packen möchte als das, was an ihren Körpern sichtbar ist. Der nackte Körper ist gleichzeitig schön und absurd, ist voller Perspektiven. Es geht mir nie darum, den Zuschauer damit zu provozieren. //

Übersetzung aus dem Ungarischen von Réka Gulyás.

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