Auftritt
Lausitz Festival: Ein Abend der großen Schauspielerinnen
„Empusion“ nach Olga Tokarczuk, Dramatisierung von Lucien Haug (UA) – Regie Antú Romero Nunes, Bühne, Kostüme und Licht Matthias Koch, Musik Anna Katharina Bauer und Max Kühn
Erschienen in: Theater der Zeit: Ensemblekultur heute – Gisèle Vienne Unheimliche Collagen (10/2024)
Assoziationen: Brandenburg Theaterkritiken Antú Romero Nunes Theater Basel Schauspiel Köln Staatstheater Cottbus
„Könnten Sie sich jetzt endlich ausziehen“, fragt Anne Haug als Dr. Semperweiß. Doch der neue Patient Mieczyław Wojnicz (Aenne Schwarz) weigert sich. Es ist sein erster Tag als Patient im Sanatorium für Lungenkranke in Görbersdorf in Niederschlesien, 1913.
Und das ehemalige Niederschlesien ist gar nicht so weit entfernt vom Forster Hof in Forst in der Lausitz, wo im Rahmen des Lausitz Festivals die Uraufführung von Olga Tokarczuks Roman „Empusion“ in der Regie von Antú Romero Nunes als Ko-Produktion zwischen dem Theater Basel, dem Schauspiel Köln und dem Staatstheater Cottbus auf die Bühne kommt. Das Setting passt, der Saal des ehemaligen Hotels (erbaut vor dem Ersten Weltkrieg) diente zunächst der lokalen Theatergruppe als Saal, später zu DDR-Zeiten dann als Kino und Saal für Jugendweihen.
In einer dialogischen Fassung hat Lucien Haug den Roman, der als eine feministische Replik auf Thomas Manns „Zauberberg“ beschrieben wird, geschickt zu Szenen werden lassen und das Personal des Romans, die Bewohner des Gästehauses für Herren, reduziert.
Gleich an Wojnicz’ ersten Tag findet der Hausherr des Gästehauses Opitz (ebenfalls Anne Haug, die für die Verwandlung nur die Perücke umdrehen muss) seine Frau erhängt. Frauen spielen in dieser Welt des Sanatoriums keine sichtbare Rolle. Sie sind Hausmädchen und leisten Carework, sind dabei unsichtbar. In Woinicz’ Familie gab es nach dem Tod der Mutter keine mehr.
In dieser Welt misogyner Männlichkeit hat Nunes alle männlichen Figuren mit Frauen besetzt. Die anderen Kurgäste Thilo von Hahn (Gro Swantje Kohlhof), Longinus Lukas (Charlotte Müller) und August August, ein anarchistischer Scherz der Eltern (Sabine Waibel), spielt das Ensemble als Männer mit einer Verfremdung. Mal skurril wie Anne Haug den Gasthausbesitzer Opitz, mal großäugig und österreichisch-bizarr wie Sabine Waibel August August, der bei der Vesper übertrieben „Ähn Äeih“ anbietet. Dann wird mit Eiern und Würsten hantiert. Besonders deutlich tritt der Effekt der Verfremdung dann zutage, wenn die Männer, unter anderem bei einer Wanderung in den Wald (hallo verdrängtes, weibliches Unbewusstes) misogyne Pseudoweisheiten und Urteile austauschen. Bei diesen handelt es sich nicht etwa um Fiktionen der Autorin, sondern um Paraphrasen von Sätzen von Männern wie Nietzsche, Schopenhauer, Darwin, Platon, Sartre und Strindberg.
Im Wald treffen sie auch auf Unheimliches, Kröten („Kröten und Frauen tun nichts Gutes kund / Sie sind mit dem Teufel als Drittem im Bund“, wie es heißt), es wird klar, dass die Empusen, weibliche Schreckgespenster der griechischen Mythologie, die Männer beobachten. Und nicht nur das, einmal im Jahr fordert der Wald ein Opfer.
Das ist alles skurril und überdreht in der Darstellung in einem recht schlichten Bühnenbild aus weißen Tüchern mit blauen und schwarzen Sprenkeln, Paravents und Bänken, das das Innere des Gästehauses bildet genauso wie den Wald, aber vor allem schauspielerisch und inszenatorisch gelungen und präzise.
Aenne Schwarz spielt den Protagonisten knabenhaft, präzise und regressiv, zu zart für eine Welt aus Misogynie und Militär voller Phallussymbole. Sie gibt dem Abend Tiefe, vor allem auch in den verschiedenen Einzelkonstellationen mit den anderen Figuren, wie der zarten Beziehung zu Thilo von Hahn, den Gro Swantje Kohlhof beeindruckend husten lassen kann, und den psychoanalytischen Ausflügen mit Dr. Semperweiß.
Es ist ein toxisches Klima des patriarchalen Gesetzes, das hier Blüten treibt – wie die „Tuntschies“, Sexpuppen aus Ästen und Moos – das letztlich aber durch Wojnicz’ Geheimnis gebrochen werden kann. In schlichten Kostümen, die zwar historisch, aber nicht präzise oder kompliziert sind, tragen die starken Schauspielerinnen durch den Abend – mal klamaukig mit Anlass zum Lachen, mal schmerzhaft in Anbetracht der (biopolitischen) Konsequenzen von Misogynie. Schwarz’ Anzug als Wojnicz hat die Farben des Rades eines männlichen Pfaues, ein subtiler Männlichkeitsverweis. Davon gibt es auch weniger subtile.
Es ist nicht der Abend der großen Mittel, wohl aber einer der großen Schauspielerinnen, wenn nach und nach klar wird, dass die Landschaft selbst zurückschaut auf die Männer, dass die unterdrückten weiblichen Anteile der toxischen Männer sie qua Naturgeister einholen werden, und dass das Patriarchat binärer Geschlechterlogiken ein Ende erlebt.