Es war eine veritable Traumaufgabe, die sich das Performancekollektiv She She Pop auferlegt hatte. Zum zwanzigsten Jahrestag von Hans-Thies Lehmanns genrebegründendem Buch „Postdramatisches Theater“ ging es im Rahmen des Festivals „Alles ist Material“ am HAU – Hebbel am Ufer in Berlin um die performative Erstellung eines „Kanons“ des Postdramatischen. She She Pop, diesen in Theorie wie Praxis bewanderten Galionsfiguren der Szene, war das Unterfangen natürlich zuzutrauen. Etwas Inzestgefahr bestand allerdings auch. Lehmann hatte schließlich den Studiengang für Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Gießen mitbegründet, in dem sich auch She She Pop zusammenfanden. Lehmann schrieb sogar in genau der Zeit an dem Buch, als sich She She Pop gründeten; später bezog sich die Gruppe auf die von Lehmann beschriebenen Praktiken.
Ihr aninszenierter „Kanon“ im HAU2 umschiffte immerhin diese inzestuösen Klippen. Als „Kanon“-fähig wurden zunächst Arbeiten der Vorgängergenerationen gewertet. Pina Bausch tauchte auf, Johann Kresnik, Einar Schleef – Künstlerinnen und Künstler also, die schon Lehmann als Beleg für postdramatisches Arbeiten herangezogen hatte.
Das Format des Abends war schnell ersichtlich. Eine Person begann, einen wichtigen Theatermoment als persönliche Erfahrung beziehungsweise Erinnerung daran zu erzählen. Die anderen stellten dazu Fragen, griffen schließlich zu Requisiten und versuchten, Situationen des Erzählten szenisch darzustellen. Das erinnerte an...