Theater der Zeit

Gespräch

Rufer in der Wüste

Der Thüringer Intendant Steffen Mensching fordert Theaterreformen, der Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff lehnt sie ab. Dabei liegen sie eigentlich auf derselben Wellenlänge

von Michael Helbing

Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)

Assoziationen: Thüringen Dossier: Tarife & Theater Benjamin-Immanuel Hoff Steffen Mensching Theater Rudolstadt

Der Intendant aus Rudolstadt Steffen Mensching
Der Intendant aus Rudolstadt Steffen MenschingFoto: Anke Neugebauer

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Thüringen spielt Schwarzer Peter. So empfindet es Steffen Mensching. „Jeder schiebt’s auf den anderen, keiner will die Initiative übernehmen“, sagt Rudolstadts Intendant. Er hält die hiesige Theaterlandschaft für reformbedürftig – nicht heute, nicht morgen, doch dringend genug, dass man jetzt mal anfangen müsste. Idealerweise alle an einem Tisch: der Freistaat, die Kommunen, die Intendanzen. Denn wie es ist, wird es nicht bleiben. So oder so. Da ist sich Mensching sicher.

Er leitet seit bald 15 Jahren das Landestheater Rudolstadt, das über ein Schauspiel und die Symphoniker aus Saalfeld verfügt. Das kleine Haus ist längst „einen ganz schönen Schritt nach vorne gegangen“, so Mensching, „aber nicht aus Einsicht, sondern aus der Not heraus“. Schon seit 2004 arbeitet es mit dem Musiktheater und Ballett aus Nordhausen zusammen, um das eigene Orchester halten zu können, seit 2017 gastiert man außerdem in Eisenach, wofür es vom Land etwas mehr Geld für zusätzliche Stellen gibt. Trotzdem gelangt man oft genug an Leistungsgrenzen. Zugleich aber erreichen so die Schauspielinszenierungen mit zwanzig Aufführungen „einen höheren Amortisierungsgrad“. Davon geprägt, forciert Mensching die Reform­debatte, um das kulturelle Angebot im Land strukturell zu erhalten, dafür aber „effektivere Lösungen“ zu finden.

Ausgerechnet der Kulturminister, den der Intendant so schätzt, hält einstweilen dagegen: „Wir eröffnen keine neuen strukturpolitischen Debatten“, hatte ­Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) erklärt. Solche führte er vor acht Jahren ausgiebig, er ersann auch im Verbund mit Intendanten Kooperations- und Fusionsmodelle, die von Stürmen öffentlicher Entrüstung hinweggefegt wurden. Ihm wurden die „politischen Opportunitätskosten“ zu hoch. Übrig blieben eine Orchesterfusion (Gotha/Eisenach) und ein sukzessiver Stellenabbau hier und dort.

Aktuell gibt es wieder Finanzierungsverhandlungen, für erneut acht Jahre (2025 bis 2032). Der Minister führt sie mit dem Ziel, bestehende Verträge weiterzuführen und hochzurechnen, um die Tariflücken überall zu schließen. Sie umfassten zusammen zuletzt fast sechs Millionen Euro. Tarifgebunden sind die Staatstheater in Weimar und Meiningen, die Oper Erfurt und seit einem Jahr der Fünf-Sparten-­Betrieb Altenburg/Gera, nachdem dort der Haustarifvertrag auslief (für Eisenach klagt v.erdi gerichtlich auf Rechtmäßigkeit der einseitigen Kündigung des Haustarifs). Das ist bislang ein Drittel der öffentlich geförderten neun Theater sowie drei eigenständigen Konzertorchester, darunter mit dem Theaterhaus Jena und dem Puppentheater in Erfurt zwei privat getragene.

Auf seinem Weg errang Minister Hoff soeben einen Etappensieg. Er setzte im Kommunalen Finanzausgleich eine Theaterpauschale durch, wie sie Brandenburg mit anders gelagertem Finanzierungs­modell vormachte: Dort werden alle Theater und Orchester zu dreißig Prozent aus dem Finanzausgleich gefördert. In Thüringen erhalten nun an der Finanzierung eines Hauses beteiligte Städte und Kreise zwanzig Prozent ihrer Zuschüsse derart ausgeglichen.

Ursprünglich hatte Hoff „mit einem deutlich höheren Wirkeffekt gerechnet“. Durch erhöhte Mindestgagen und viel höhere Energiekosten werde der „quasi aufgesaugt“. Die Deckelung der Energiepreise durch den Bund wiederum kann helfen. Und so erklären zum Beispiel die drei kommunalen Träger des Theaters ­Rudolstadt auf Nachfrage: „Die Pau­schale wird kurzfristig dazu beitragen, für die Beschäftigten den Abstand zum Flächentarif zu verkleinern.“

Er umfasst derzeit ein Minus von zwanzig Prozent. Um die Lücke komplett zu schließen und Tarifsteigerungen zu bewältigen, seien „jedoch weitere Erhöhungen der Zuschüsse erforderlich“. Was weniger an die eigene Adresse geht als an die des Landes. Ähnlich äußern sich betroffene Rathäuser und Landratsämter, die für 2025 andernfalls ein Millionendefizit in Altenburg/Gera voraussagen.

Da hat Intendant Mensching allerdings so seine Zweifel. Dass die rot-rot-grüne Landesregierung versucht, mit der Theaterpauschale die größten Löcher zu stopfen, hält er für sehr beachtenswert. Sie habe ohnehin schon viel geleistet. Und sie wird auch ihre Zuschüsse weiterhin dynamisieren, was sie künftig auch von allen Kommunen erwartet. Aber noch mehr Geld obendrauf? Sehr unwahrscheinlich! Also müsse man im Verbund „mit dem vorhandenen Geld klüger wirtschaften“.

Er sieht mit Genugtuung, dass Hoff es ablehnt, an der Wiedereinführung eines Schauspiels finanziell mitzuwirken, wie sie in der Landeshauptstadt Erfurt diskutiert wird (TdZ 09/2022). „Solange andere Standorte wie Eisenach oder wir keine Tarifgerechtigkeit haben, werde ich mich nicht dafür einsetzen, dass aus dem Landestopf für solche ,Luxusprojekte‘ Geld ausgegeben wird.“

Diese Gerechtigkeit braucht es auch, da sind sich Intendant und Minister einig, um attraktiv und konkurrenzfähig zu sein. „Schauspieler gibt es ja noch genug, aber in anderen, technischen Bereichen muss man die Mitarbeiter erstmal nach Thüringen kriegen“, so Mensching. Zugleich weiß er, was in den Kommunen teilweise demografisch los ist – und also absehbar mit den Steuereinnahmen gerade in „etwas abgehängteren“ Regionen wie Rudolstadt/Saalfeld.

Über dergleichen denken Thüringer Intendanten seit vielen Jahren nach, gemeinsam und „sehr kollegial“. Aber sobald davon etwas öffentlich wird, regiert extreme Aufgeregtheit, auch im eigenen Haus. Hasko Weber hat das am Nationaltheater Weimar (DNT) erlebt, als er bereit war, über eine engere Gemeinschaft mit Erfurt zu reden: „Kein halbes DNT. Unsere Oper bleibt hier“, schallte es ihm entgegen.

Darin steckt ein Dilemma von Intendanten, die für den Erhalt ihrer Häuser arbeiten, aber – wenn sie über’n Tellerrand schauen – sehen, dass der Status quo mittelfristig kaum zu halten ist. Und so klingt es ein bisschen nach verkehrter Welt und neuer Arbeitsteilung, wenn ein Minister neue Reformen absagt – maximal an Stellschräubchen drehen will –, während ein Theaterchef sie einfordert.

„Vielleicht bin ich ja auch nur der einsame Rufer in der Wüste“, überlegt Mensching. Doch sei jetzt noch Zeit, sich womöglich darüber zu verständigen, wie die Theaterlandschaft in zehn Jahren funktionieren soll. Schon 2024 könnte alles anders sein: im Superwahljahr, wenn nicht nur der Landtag neu bestimmt wird, sondern auch Oberbürgermeister und Land­räte, Stadträte und Kreistage.

Mensching hatte sich ein gemeinsames Beraten aller vorgestellt: „Das ist eine schöne Idee, geht aber wahrscheinlich aus wie das Hornberger Schießen. Wenn sich nicht einmal Weimar und Erfurt einigen können, wie sollen sich dann größere Regionen verständigen?“

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