Auftritt
Frankfurt/Main: All die verdammten Horsts dieser Welt
Schauspiel Frankfurt: „In letzter Zeit Wut“ von Gerhild Steinbuch. Regie Christina Tscharyiski, Bühne Sarah Sassen, Kostüme Svenja Gassen
von Björn Hayer
Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Hessen Theaterkritiken Schauspiel Frankfurt

„Ich bin die Rose am Weltfrauentag, nur als tägliches Geschenk“ – spätestens bei diesem Satz sollten Feminist:innen aufhorchen. Denn wie ernst kann man einen vermeintlich emanzipierten Mann nehmen, der sich mit solchen Sprüchen verkauft und überdies Mützen mit der Aufschrift „Nice“ verteilt? Die vier Damen in Gerhild Steinbuchs „In letzter Zeit Wut“, das nun gemäß seinem Titel mit reichlich bissiger Komik am Schauspiel Frankfurt Premiere hatte, haben das Spiel ihres smarten Chefs Horst jedenfalls durchschaut. Während er täglich den Kämpfer für Frauenrechte mimt, muss sich eine von ihnen ständig vor Zorn übergeben. Ihre Erregung scheint berechtigt. Noch einmal rekapitulieren sie ihre tatsächlich wenig erbaulichen Bewerbungsgespräche und die sich daran anschließende Ausbeutung im ach so ‚nicen‘ und hierarchielosen Betrieb. Bald schon schmettern die Rebellinnen und Empörten chauvinistische Sprüche von Männern à la „Bist du immer so hysterisch oder nur unterfickt?“ auf die Bühne. Es muss sich also etwas ändern. Die ersehnte Abhilfe schafft glücklicherweise eine Zauberuhr, mit der sich alle Verhältnisse zurück auf null führen lassen sollen.
Bevor die vier Frauen (Sarah Grunert, Tanja Merlin Graf, Katharina Linder, Melanie Straub) nun den Umsturz der Verhältnisse versuchen, nimmt zu Beginn schon das Bühnenbild die hehre Ambition vorweg. Wir schauen auf ein halbrundes Plenum. An den Wänden befinden sich hier und da kleinere Schmierereien, ein Gummibaum fristet ein trauriges Dasein. Obwohl die Kulisse abgewirtschaftet wirkt, rekurriert sie auf eine große utopische Idee, nämlich ein Parlament der Frauen. Erstmals dramatisch umgesetzt wurde die Idee in Aristophanesʼ satirischer und aus heutiger Sicht misogyner Komödie „Die Weibervolksversammlung“, in der die Protagonistinnen ihre Ehemänner erst betäuben und sie dann – im Ornat maskuliner Abgeordnete – ihrer Macht berauben. Als weitere Vorlage ließe sich übrigens auch an den nicht minder galligen Roman „Die Insel der großen Mutter oder Das Wunder von Île des Dames“ von Gerhart Hauptmann denken, einer galligen Farce über einen letzthin heuchlerischen Amazonenstaat.
Diesen wollen auch die Heldinnen im zweiten Teil der unter der Regie der 1988 in Wien geborenen Christina Tscharyiski realisierten Inszenierung errichten. Nachdem sie ihre verzauberte Uhr nutzen, lassen sich hinter den Holztüren des Plenums Urwaldpflanzen finden. Auch Rüstungen und ein Speer sind zur Hand, um die Welt von den verkommenen männlichen Subjekten zu befreien. Um die Botschaft auch noch den letzteren Pseudo-Emanzipierten näher zu bringen, stimmt das Quartett sodann noch das letztlich gegen Rassismus wetternde Pocahontas-Lied „Das Farbenspiel des Winds“ an.
Dass sich dieser Abend trotz seines streckenweisen Leerlaufs in der unentwegten Anklage der binären Geschlechterordnung lohnt, verdankt sich dem durch seinen schwarzen Humor, seine zynische Verve und überhaupt den mit pointierten Wortspielen brillierenden Text. Er entlarvt nicht nur das inhaltsarme Gerede jener Männer, die sich wie Horst selbstbeweihräuchernd als „Tempel der Fürsorge“ präsentieren, sondern gleichsam sämtliche Codes und Mythen, die Frauen über Jahrhunderte aus dem Zentrum der Macht hinausbeförderten. Zum Gelingen trägt übrigens auch die weise Schlussszene des Stücks bei. Horst hat sich und seine Phrasen – nun am Bühnenrand liegend – selbst dekonstruiert und gleichsam den Damen die Angriffsfläche genommen. Ferner müssen diese einsehen, dass eine Welt ohne Macht und Konstruktionen in der Sprache genauso wenig bestehen kann wie ein Amazonenstaat. Gegennarrative verfallen eben auch Klischees und Stereotypen. Was bleibt, ist einzig der versehrte Körper – als sichtbares und unmissverständliches Symbol des Widerstandes. Mit dieser Aussage bringt das Diskursdrama glücklicherweise die Differenziertheit ein. Es zeigt sich, dass guter Protest eben stets auch mit einer kritischen Selbstreflexion einhergeht. //