Theater der Zeit

Auftritt

Theater Orchester Neubrandenburg Neustrelitz: Wendeblues in Rückblenden

„Aus unseren Feuern“ von Domenico Müllensiefen, für die Bühne bearbeitet von Maik Priebe (UA) – Inszenierung Maik Priebe, Bühnen- und Kostümbild Susanne Maier-Staufen, Musik Ludwig Peter Müller, Video Daniel Wolff

von Thomas Irmer

Erschienen in: Theater der Zeit: Amerikanisches Theater (11/2024)

Assoziationen: Theaterkritiken Mecklenburg-Vorpommern Dossier: Post-Ost(deutsch) Susanne Maier-Staufen Maik Priebe Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz

Jacob Keller, Erik Born, Lisa Scheibner und Danne Hoffmann in „Aus unseren Feuern“ von Domenico Müllensiefen in der Regie von Maik Priebe. Foto Gianmarco Bresadola
Jacob Keller, Erik Born, Lisa Scheibner und Danne Hoffmann in „Aus unseren Feuern“ von Domenico Müllensiefen in der Regie von Maik PriebeFoto: Gianmarco Bresadola

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„Aus unseren Feuern“ ist der Name einer selbstgebastelten Bombe, mit der Hobbysprengtüftler Karsten im gleichnamigen Roman das stillgelegte Leipziger Zentralstadion in die Luft jagen wollte. Um politischen Terrorismus geht es aber nicht in Domenico Müllensiefens 2022 erschienenen Debütroman, der jedoch wie eine Bombe gegen Schönrednerei über die aktuell mehr denn je beklagten Ausfälle der Wiedervereinigung zündet. Karsten und seine beiden Freunde Thomas und Heiko, im Buch die erzählende Hauptfigur, sind 1985 geboren und geraten in den Nullerjahren in den ostdeutschen Abstieg, den der Autor mit vielen Details der einzelnen Arbeitsmilieus erzählt. Der Schlachtbetrieb von Thomas’ Vater wird in die Insolvenz getrieben von einem, der nur „der Schalker“ genannt wird – die Firma Tönnies verklagt bekanntlich Kritiker. Tief taucht man in die Arbeitswelten von Heiko ein, der als Elektrikerlehrling zusammen mit seinen Ausbildern als Billigarbeiter nach Frankfurt am Main geschickt wird, dann wieder zurück in Leipzig als Pizzabote arbeitet, schließlich – wie der Autor selbst – in einem kleinen Bestattungsunternehmen anheuert, das ihn nach einem Vertrag mit einem Internetbestatter kreuz und quer durch die ganze Bundesrepublik hetzt. Leichen sind wie vorher Pizzen schnell zu erledigende Auslieferungsware, aber Heiko muss nun auch die Beerdigung seines rätselhaft verunglückten Freundes Thomas vorbereiten.

Das alles, mit zahlreichen Nebenfiguren in allmählich in die Gegenwart vorrückenden Rückblenden erzählt, bietet sich für die Bühne schwerlich an, die Geschichten mit ihren Themen und vor allem deren Enttäuschungswut aber schon. Maik Priebe hat eine bühnentaugliche Fassung für sechs Schauspieler:innen in etwa viermal soviel Rollen entwickelt, die mit den vielen Rollenwechseln schon die Spielweise in kleinen Szenen definiert, die mit einfachen Mitteln wie Perücken, Klebebärten und Schnellwechselkostümen rasch auf den Punkt kommen müssen. Die Bühne von Susanne Maier-Staufen ist ein riesiger Stadtplan von Leipzig mit einer leichten Erhöhung in der Mitte als Podest mit Bodenklappen – ein Grab, wenn man so will. Das Publikum sitzt in Neubrandenburg um dieses Karree herum, und wie gesagt, ein bisschen Vorbereitung setzt diese schon im Roman angelegte raffende Erzählweise voraus.

Das Freundschaftstrio im Kern kann man indes nie aus den Augen verlieren. Erik Born gestaltet einen herben Heiko, dem die Jungenhaftigkeit schon früh verloren gegangen zu sein scheint, auch wenn er in den Beziehungen mit Jana, Juliane und Mandy (jeweils Lisa Scheibner) verschiedene Arten von ungelenker Schüchternheit zeigt. Der zweite im Bunde ist Robert Will als Thomas, der seine so empfundene Nachwendeenterbung mit Blick auf das untergehende Handwerk schildert und sich dabei eine Reichsbürgersicht der deutschen Dinge zulegt. „Kein Friedensvertrag“, der Personalausweis als Personal eines nicht existierenden Landes gedeutet usw. Danne Hoffmann sticht in der Rolle seines Vaters mit exzellenter Dialektrede von der Kunst des Wurstmachens hervor. Karsten, der diesen Verlust der Selbständigkeit mit der Sprengung des vom „Schalker“ kaputtgemachten Familienbetriebs rächt, ist in der Darstellung von Jacob Keller der ruhige, fast nerdige Spezialist in dem Bündnis, der sogar ins texanische Austin abgeworben wurde, aber enttäuscht zurückkehrt, um nun „Aus unseren Feuern“ für diese Niedergeschlagenen endlich zu zünden. Der Rumms, der das auf dem Theater hätte sein können, wird nur indirekt erzählt, als ginge eben alles so seinen Gang – und nicht auch um eine heute als durchaus bedrohlich empfundene Stimmung zwischen Ost und West.

Der scheidende Schauspieldirektor Maik Priebe, der in der vergangenen Spielzeit ein ausführliches Uwe-Johnson-Programm in dem Doppelstadt-Theater Neustrelitz-Neubrandenburg zeigte, knüpft mit Müllensiefens Roman über drastische Wendeverwerfungen, der den Uwe-Johnson-Förderpreis erhielt, direkt daran an (sogar die Katze Erinnerung taucht wie eine Beglaubigung im Programmheft auf): die große Geschichte von unten zu zeigen, in den kleinen Geschichten der Verwundung.

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