Theater der Zeit

Magazin

Stimme und Schönheit

Ermanna Montanaris ungewöhnliches Gesangsstudio in Ravenna

von Renate Klett

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Europa Tanz Musiktheater Akteure

Ermanna Montanari und Enrico Pitozzi (beide Künstlerische Leitung von Malagola)
Ermanna Montanari und Enrico Pitozzi (beide Künstlerische Leitung von Malagola)Foto: Fabrizio Zani

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Als ich nach dem Palazzo Malagola frage, zeigt mir die Apothekerin an der Straßenecke ihr gut sortiertes Regal mit Halsschmerztabletten und Hustenbonbons. „Non chiedo la medicina“, sage ich schüchtern, „chiedo il palazzo.“ „Un palazzo non c’è“, sagt sie. Die Stammkundin hat inzwischen gegoogelt und zeigt ihr leicht hämisch die Ergebnisse. Die Apothekerin ist beleidigt, dass man sie nicht informiert hat, und ich bin froh, eine Adresse in der Hand zu haben.

Der Palast steht hier seit 300 Jahren, mitten in Ravenna. Kürzlich wurde er nobel restauriert und für neue Ehren gerüstet. Warum sein Name so viel wie Halsschmerzen bedeutet, ist nicht hinterlegt. Aber der Name passt: Ist doch in das stattliche Gebäude eine Ausbildungsstätte eingezogen, die sich der „Malagola – pratica creazione vocale e sonore“ verpflichtet fühlt. Gegründet wurde sie von Ermanna Montanari, selbst ein Stimmwunder, Co-Direktorin des Teatro delle Albe in Ravenna. Für die Malagola hat sie sich mit Enrico Pitozzi von der Universität Bologna zusammengetan.

Die handverlesenen 15 Student:innen werden ein Semester lang in multiplen Variationen von Stimme und Gebärde unterrichtet. Die Unterrichtsmethode der langjährigen Monk-Mitarbeiterinnen Ellen Fisher und Katie Geissinger ist eine Mischung aus Gesang und Tanz, verklappt, verkeilt, verbogen, und dann wieder ganz emotional und tastend. Stimme und Gebärde inspirieren einander, schrauben sich gegenseitig hoch und befreien sich zu großer Harmonie und Gemeinschaft. Und dann, zack!, werden daraus lauter rätselhafte Theaterbilder voller Schönheit und Vergänglichkeit. Das alles sieht leicht aus, ist es aber natürlich nicht. Und am Ende bewertet niemand Geringeres als Meredith Monk die Fortschritte der Studierenden.

Im nächsten Semester werden andere 15 Auserwählte ein anderes Studium absolvieren.

Das Malagola-Experiment ist derzeit auf fünf Jahre angelegt. Wer weiß, was da noch alles passieren kann.

Eine persönliche Anmerkung sei mir vergönnt: Mit Meredith Monk zu frühstücken, ist ein Himmelsgeschenk. Die Frau ist 80 und sprüht vor Energie und Lebensfreude. Sie ist klug, frohgemut und, ja, man muss es so nennen – weise. Als wir übers Älterwerden sprechen, hat die bekennende Buddhistin einen guten Rat:

„Wenn man als Darsteller alt wird, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du wirst rigide und fixierst dich immer mehr auf das, was du glaubst zu sein. Damit wirst du zu einer Cartoon-Version deiner selbst. Oder du lässt das alles, was schmerzvoll sein kann, aber so kannst du dich verändern und wachsen. Das ist sicher der bessere Weg.“ //

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