Theater der Zeit

Auftritt

Salzburg: Ein Flash gescheiterter Beziehungen

Salzburger Festspiele/Schauspielhaus Zürich: „Reigen“ nach Arthur Schnitzler. Regie Yana Ross, Bühnenbild Márton Ágh, Kostüme Marysol del Castillo

von Elisabeth Maier

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Schweiz Österreich Schauspielhaus Zürich Salzburger Festspiele

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Mit dem erotischen Drama „Reigen“ entlarvte der Mediziner und Autor Arthur Schnitzler am Ende des 19. Jahrhunderts die falsche Sexualmoral seiner Zeit. 1920 sorgte das Stück nach seinen Premieren in Wien und in Berlin für einen Theaterskandal. Quer durch alle sozialen Schichten peitschte der österreichische Autor wechselnde Paare von ihren erotischen Dialogen in den Beischlaf. Diese faszinierende Reigen-Struktur hat die in Lettland geborene Amerikanerin Yana Ross bei den Salzburger Festspielen in die Gegenwart übertragen. Zehn internationale Autorinnen und Autoren – vom Schweizer Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss bis zur politischen Kämpferin Sharon Dodua Otoo – haben Schnitzlers Leitmotive überschrieben. Der Gedanke, die politische Sprengkraft des Skandalstücks ins 21. Jahrhundert zu übertragen, ist brillant. Doch an der Umsetzung hapert es. Mit dem Ensemble des Schauspielhauses Zürich gelang der Regisseurin kein großer Wurf.

Das lag nicht zuletzt daran, dass Ross die grandiose Reigen-Mechanik des Fin-de- Siècle-Dramas auflöste und in einem Flash gescheiterter Beziehungen verwässerte. Viel bleibt in ihrer modernen Lesart nicht übrig von Schnitzlers virtuoser Dramenkunst, die bis heute immer wieder im Original den Text auf deutschsprachige Bühnen findet. Sexualität kennt heute keine Tabus mehr, wie das noch zu Schnitzlers Zeiten der Fall war. Deshalb kreisten die Dialoge der zehn Autor:innen eher um Entfremdung, wirtschaftliche Zwänge und die Angst vor der Einsamkeit. Die estnisch-finnische Autorin Sofi Oksanen machte aus Schnitzlers Soldaten und Stubenmädchen eine Essenslieferantin und einen Computer-Nerd. Urs Peter Halter verkörpert den Hacker oder „Trollsoldaten“, der in einen Informationskrieg verstrickt ist, ebenso überzeugend wie geheimnisvoll. Tabita Johannes lässt ihre prekäre Existenz des 21. Jahrhunderts zwar zärtliche Gefühle antäuschen. Am Ende aber erstickt alles in kapitalistischen Zwängen. Sobald da Gefühle aufkeimen, droht der Jobverlust.

Eine glanzvolle Melange von Wiener Kaffeehaus ist das Bühnenbild, das der ungarische Filmarchitekt Márton Ágh geschaffen hat. Mit einer riesigen Spiegeldecke öffnet er den Raum. Der dicke Teppichboden erstickt diese Offenheit aber sofort wieder. Marysol del Castillos Kostüme reflektieren klug die soziale Schicht, der die Menschen in Ross’ Universum angehören. In dieser Welt zwischen Schein und Sein gelingt es der Regisseurin Yana Ross nicht, die durchweg überzeugenden Texte so ineinander zu verschränken, wie das Arthur Schnitzler Anfang des 20. Jahrhunderts gelang. Wie einsame Herzen in einer modernen Partnerbörse treiben die Menschen im leeren Raum. Sexualität spielt in diesem Kontext keine Rolle mehr. Deshalb wohl berühren die Szenen zu selten – und das, obwohl sie hochkarätig besetzt sind.

Am ehesten überzeugt Yana Ross’ fast zweieinhalbstündige Regiearbeit an den Schnittstellen zur Tagespolitik. Das Gespräch des russischen Autors Mikhail Durnenkov mit seinen Eltern über vermeintliche Familienbande und Homophobie ist auf der großen Videoleinwand zu sehen. „Nachrichten“ heißt dieses beklemmende Skype-Gespräch einer Mutter mit ihrem Sohn. Die Unfähigkeit der Generationen, einander zu verstehen, zeigt die Risse in der russischen Kriegsgesellschaft. Dass die Propaganda bis in die Wohnzimmer greift, ist dabei besonders erschütternd. Politische Position bezieht auch Lukas Bärfuss. Hinter dem klassischen Titel „Der Graf und die Dirne“ verbirgt sich beißende Kritik an der Sponsoring-Praxis der Salzburger Festspiele. Das hochkarätige österreichische Theaterfestival ließ sich bis eben vom Bergbauunternehmen Solway unterstützen, das Menschen gnadenlos ausbeutet und seine Mitarbeiter in den Tod schickt. Kalt, schonungslos und in klirrenden Wortfetzen legt Bärfuss diese Missstände nicht nur auf der Bühne offen. Zwar schrammt er dabei haarscharf am Plakativen vorbei, doch die Botschaft sitzt. Politisch hat dieser „Reigen“ einiges zu sagen. Die formalen Schwächen lässt das aber nicht vergessen. //

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