Literaturnobelpreis für Jon Fosse
Die Musik der stillen Stimmen
Der Literaturnobelpreis für Jon Fosse gilt ausdrücklich auch dem Dramatiker – Eine Jubelgratulation
von Thomas Irmer
Diesmal hat es gestimmt. Einer der hoch gehandelten Kandidaten wurde heute um 13 Uhr in Stockholm von der schwedischen Akademie als Nobelpreisträger für Literatur 2023 bekannt gegeben. Jon Fosse wird für seine „innovativen Theaterstücke und Prosa ausgezeichnet, die dem Unsagbaren die Stimme geben“, so der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie der Wissenschaft, Mats Malm.
Mit dem dramatischen Werk Fosses, dessen Anfänge auf die Überredungskunst des norwegischen Regisseurs Kai Johnsen zurückgehen (der die meisten seiner frühen Stücke uraufführte), wurde 1999 erstmals bei der Bonner Biennale für neue Stücke aus Europa bekannt gemacht. Auf „Sommertag“ folgte ein schnell wachsendes Interesse im gesamten deutschsprachigen Raum an den eher stillen Stücken des Norwegers, in denen immer wieder zerbrochene Familien- und Liebesbeziehungen im Zentrum stehen. Der Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel sorgte (bis heute) für einen stimmigen Fosse-Sound, mit dem das „Unsagbare“ umkreist wird. Regisseure und Regisseurinnen schätzen die zuweilen unergründliche Aufgabe, den Unterboden eines Fosse-Stücks zu erkunden. Wie bei einem Eisberg ist das Stück selbst nur der sichtbare Teil, das gewaltigere Stück liegt darunter. Genau diese Herausforderung zu Fantasie und Genauigkeit mögen auch viele Schauspieler:innen, denen Worte karger Poesie für die Gestaltung ihrer Rollen zur Verfügung stehen. – Und Pausen.
Jon Fosses Stücke wurden in einer ersten Welle der deutschen Rezeption von den besten Regisseuren an den großen Theatern inszeniert. Begonnen hatte es 2000 bei den Salzburger Festspielen mit „Der Name“ in der Regie von Thomas Ostermeier. Es folgten – um nur einige Höhepunkte aufzuzählen – Falk Richter mit „Die Nacht singt ihre Lieder“ (Schauspielhaus Zürich), Luk Perceval mit „Traum im Herbst“ (Münchner Kammerspiele) und das Solostück „Der Gitarrenmann“ mit Josef Bierbichler in der Regie von Christoph Marthaler (eine wie die Titelfigur an verschiedenen Theatern herumziehende Produktion aus Zürich).
Ab ungefähr 2010 legte Fosse eine längere Pause des Schreibens für die Bühne ein und wandte sich wieder der Prosa zu. Ein wichtiges Buch dieser Phase war die „Trilogie“, die 2019 wiederum Luk Perceval in Oslo auf die Bühne brachte, wofür die Produktion mit der Hedda, dem wichtigsten norwegischen Theaterpreis, ausgezeichnet wurde.
Jossi Wieler inszenierte Ende 2021 „Starker Wind“ am Deutschen Theater Berlin, da konnte man die intensive Fosse-Stille wieder erleben. Im September wurde am Det Norske Teatret Fosses Bearbeitung der „Orestie“ uraufgeführt. Das Timing könnte nicht besser sein, auch für diese Bekanntgabe heute.
Theater der Zeit hat insgesamt fünf Stücke von Jon Fosse veröffentlicht, beginnend mit „Der Name“ und „Die Nacht singt ihre Lieder“ im Jahr 2000. Außerdem wurden mehrere Interviews mit Fosse und zahlreiche Artikel zu seinem Werk auf der Bühne veröffentlicht.
Erschienen am 5.10.2023