Auftritt
Theater Oberhausen: Die Menschheits-Show wird abgesetzt
„Menschliches Repertoire“ von Noah Haidle aus dem Amerikanischen von Barbara Christ (UA) – Regie Kathrin Mädler, Bühne und Kostüme Franziska Isensee, Musik Cico Beck
von Stefan Keim
Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Dossier: Uraufführungen Noah Haidle Kathrin Mädler Theater Oberhausen

Das Bühnenbild ist ein großes, kreisrundes Loch. Das Publikum sitzt darum herum. Zwei beleuchtete Kreise umgeben es, wie die Ringe eines Planeten. In dieser Spielzeit ist der Publikumsraum des Theaters Oberhausen geschlossen. Bei allen Stücken sitzen die Besucher:innen mit auf der Bühne. Für die Uraufführung von „Menschliches Repertoire“ von Noah Haidle ist das ideal. Denn es spielt in einer Art Himmel, der ein Theater ist. Durch das Loch kann man auf die Erde herabschauen, regelmäßig kommen die frisch Verstorbenen hindurchgekrabbelt. Und werden dann von Bühnenarbeiter:innen in Empfang genommen.
Noah Haidle schreibt philosophische Komödien mit schwarzem Humor und Herzenswärme. Viele spielen in Küchen und in seinem Heimatstaat Michigan. Haidle war auch als Drehbuchautor aktiv, konzentriert sich aber seit einiger Zeit wieder auf das Theater. Das hat auch mit einer privaten Entscheidung zu tun. Er hat einen vierjährigen Sohn und ist mit seiner Familie in die Berkshire Mountains nach Massachusetts gezogen. Seinem Sohn Butch ist das Stück auch gewidmet. In einem Gespräch vor der Premiere hat Haidle mir erzählt: „Er ist mein Publikum. Nur er. Ich möchte, dass er einmal versteht, wer sein Vater ist. Deswegen schreibe ich.“
Diese Hingabe an die Vaterschaft hat im Stück deutliche Spuren hinterlassen. Einer der durch das Loch in den Himmel kommenden Toten, Lloyd, hat einen vierjährigen Sohn auf der Erde zurückgelassen. Seine Begleiter:innen lassen sich sofort in einen Nebenraum lotsen, wo ihnen Kaffee, verschiedene süße Teilchen und Gurkensandwiches versprochen werden. Lloyd bleibt da, denn nur durch das Loch kann er seinen Sohn beobachten und an seinem weiteren Leben teilhaben. Er fragt sich, wie das Kind mit dem Tod des Vaters klarkommt und singt in einer sehr berührenden Szene ein Gute-Nacht-Lied für ihn. Weil Lloyd (Khalil Fahed Aassy) ein Technikfreak ist und alles reparieren kann, was im maroden Himmel kaputtgeht, lassen ihn die Bühnenarbeiter gerne gewähren.
Hollis und Bellamy – so heißen die beiden, Bellamy wird wie Bel Ami ausgesprochen – sind schon seit vielen Tausend Jahren im Job. Sie sind in der Routine abgestumpft und leiern die Sätze auswendig herunter, mit denen sie schon Milliarden an Toten in die Kantine geschickt haben. Engel als Bühnenarbeiter, das hat was. Doch nun geraten sie aus dem Takt. Die Katastrophen und Kriege auf der Erde nehmen zu. Und neben Lloyd kommen zwei Frauen aus dem Loch, die sich ebenfalls nicht wegschicken lassen. Roxanne (Nadja Bruder) ist wütend, weil sie eigentlich zusammen mit ihrem Partner Selbstmord begehen wollte. Doch der lebt einfach weiter, nachdem sie sich das Hirn aus dem Kopf geschossen hat. Und die Lehrerin Samantha (mit hinreißend jugendlicher Spiellust Susanne Burkhard) will die Direktorin sprechen. Das ist schon oft vorgekommen, doch bisher war niemand so beharrlich wie Samantha. Franziska Roth als Hollis und Torsten Bauer als Bellamy zeigen sehr feinfühlig die Entwicklung ihrer Charaktere. Sie tauen auf, verlassen die Schemata des Arbeitens in der Ewigkeit, zeigen Verletzungen und Gefühle.
Mit viel Wortwitz und präzise gezeichneten Charakteren diskutiert Noah Haidle grundlegende Fragen. Bringt es überhaupt noch etwas, sich für diese kaputte Welt zu engagieren? Oder ist es überfällig, dass die abwesende Direktorin irgendwann verfügt, dass die Menschheitsshow nur noch nervt und abgesetzt wird? Kathrin Mädler hat schon viele Stücke von Noah Haidle inszeniert, sie trifft mit ihrem wieder einmal wunderbaren Oberhausener Ensemble genau den Ton des Stücks. Der diesmal noch emotionaler geraten ist als in früheren Stücken Haidles. Jede der Hauptfiguren bekommt eine Geschichte und erklärende Monologe, was die Aufführung gegen Ende ein bisschen ausbremst. Kathrin Mädler folgt dem Grundsatz, dass eine Uraufführung möglichst ohne Striche gezeigt werden sollte. In weiteren Inszenierungen könnte die Regie etwas straffen. Und am Ende wird es fast schon kitschig. Es ist die menschliche Fähigkeit zur Liebe, die alles rettet. Klar, so etwas schreibt man für seinen vierjährigen Sohn. Aber ehrlich gesagt auch für mich. Es ist schon großartig, dass sich ein Autor traut, die Kriege und Katastrophen zu benennen und dennoch ein Happy End zu schaffen. Mit ganz vielen Fragezeichen. Und ebenso viel Hoffnung.
Erschienen am 2.10.2025